Gewinnwarnung voraus? Siemens muss wohl kürzertreten
01.05.2013, 17:30 Uhr
Aktionärsvetreter haben Peter Löscher auf dem Kieker: "Er ist immer noch nicht bei Siemens angekommen. Er hat kein Netzwerk, das ihn absichert und keine Leute, auf die er im Zweifel zurückgreifen kann."
(Foto: REUTERS)
Diese Quartalsbilanz dürfte Siemens-Chef Peter Löscher wenig Freude bereiten: Die Gewinne wollen einfach nicht so sprudeln wie erhofft. Der Elektronikkonzern könnte deshalb sogar seine Prognose kappen. Es wäre nicht das erste Mal. Probleme bereitet nicht nur die Konjunkturflaute.Die Kritik an Konzernchef Löscher wächst.
Wenn Siemens die Bücher öffnet, werden keine guten Nachrichten erwartet. Bei Siemens läuft es einfach nicht rund. Schwache Geschäfte angesichts des widrigen Wirtschaftsumfelds in Europa und neue Belastungen drohen dem Münchener Industrieriesen erneut einen Strich durch die Rechnung zu machen.
Medienberichten zufolge bewegt sich der Technologiekonzern scheibchenweise auf eine Gewinnwarnung zu. Das Management hat zwar schon im Vorfeld die Stimmung für das zweite Quartal gedämpft. Trotzdem könnte es noch eine böse Überraschung geben.
In Medien häuften sich zuletzt die Berichte, dass Konzernchef Peter Löscher die Prognose zumindest aufweichen wird. Die Skepsis ist nicht aus der Luft gegriffen: Finanzvorstand Joe Kaeser hatte in einem Interview kürzlich selbst gesagt, dass es "in der operativen Betrachtung" auf Jahressicht "enger" wird. Analysten halten sogar eine Gewinnwarnung für möglich.
JP Morgan-Analyst Andreas Willi rechnet damit, dass zum Ende des Geschäftsjahres per 30. September höchstens noch 4,5 Mrd. Euro an Nettogewinn aus fortgeführten Geschäften in den Büchern stehen werden - und nicht mehr 4,5 bis 5 Mrd. Euro, wie von Siemens bislang anvisiert. "Oder, falls Siemens ein Polster für weitere Belastungen will, 4 bis 4,5 Milliarden Euro."
Belastungen im Bahngeschäft
Anders als vom Siemens-Management wiederholt versprochen, ist das leidige Thema Sonderlasten nämlich immer noch nicht vom Tisch. Vor allem die Probleme bei der Windanbindung und der Bahntechnik werden "ihre Spuren hinterlassen", hatte Kaeser gewarnt. Nach den Liefer-Problemen bei der neuesten ICE-Generation für die Deutsche Bahn kamen nun auch noch Schwierigkeiten mit dem Eurostar hinzu.

Der neue Eurostar e320: Bei der Lieferung von Hochgeschwindigkeitszügen für den Eurotunnel-Betreiber Eurostar gibt es Probleme.
(Foto: picture alliance / dpa)
JP Morgan-Schätzungen zufolge wird Siemens darauf im ersten halben Jahr alles in allem 350 Mio. Euro abschreiben müssen. Dazu kommt die Peinlichkeit, dass Siemens nach dem Windpark-Debakel nun auch bei den verzögerten Hochgeschwindigkeitszügen für den Eurotunnel-Betreiber einräumen musste, die Komplexität der Projekte unterschätzt zu haben.
"Eigentlich dürfte es bei den Hochgeschwindigkeitszügen nicht schon wieder Probleme geben", sagte Fondsmanager Peter Ott von MainFirst Asset Management. "Wir hatten gehofft, dass die Zeiten für solche Belastungen vorbei sind." MainFirst hatte ihren Bestand an Siemens-Aktien in den vergangenen zwölf Monaten auf 21.500 Aktien von 56.700 Papieren reduziert, wie aus Daten von Bloomberg hervor geht.
Solarsparte bereitet Bilanzprobleme
Auch das Solargeschäft, von dem sich Siemens eigentlich trennen will, droht das Ergebnis erneut zu belasten. "Der beabsichtigte Verkauf unseres Solargeschäfts ist angesichts des problematischen Marktumfeldes nicht einfach und muss hinsichtlich seiner bilanziellen Behandlung überprüft werden", hatte Kaeser gesagt. Im Klartext heißt das: Siemens wird den Bereich wohl aus seinen nicht-fortgeführten Aktivitäten in das Kerngeschäft zurückbuchen. Kommt es tatsächlich so, würde das das Konzernergebnis weiter verhageln.
Nach Berechnungen von JP Morgan werden sich die Solar-Belastungen im Gesamtjahr auf 250 Mio. Euro summieren. Alles in allem dürfte das Gesamtergebnis des Energiegeschäfts nach Einschätzung von Marktbeobachtern aber leicht steigen. Die Zahl der Aufträge soll zweistellig wachsen.
Die Schwierigkeiten im Solargeschäft seien ein Beleg für ein umfangreicheres Problem bei Siemens, erklärt Fondsmanager Ott. Das Unternehmen sei oft ziemlich spät auf Trends aufgesprungen und habe Portfolioumschichtungen zu langsam vorangetrieben, wie die Solaraktivitäten oder die Sparte Infrastructure & Cities zeige.
Konjunkturflaute bremst Aufträge
Ganz anders die Entwicklung im zweiten großen Unternehmensbereich, dem Industrie-Sektor. Hier hatte der Finanzvorstand vorab schon darauf eingestimmt, dass die Nachfrage im kurzzyklischen Industriegeschäft in den USA und Deutschland abebbt und nicht durch die erhoffte Erholung in China ausgeglichen werden konnte. Schwächelt die Wirtschaft wie aktuell, bekommt Siemens das beim Verkauf von Steuerungen und Antrieben für den Maschinenbau und erneuerbare Energien immer besonders schnell zu spüren.
Experten rechnen mit einem dicken Minus vor allen wichtigen Kennzahlen, das Sektorergebnis soll sogar um ein Drittel einbrechen.
Gesundheitssparte trotzt der Flaute
Die Gesundheitssparte soll sich dagegen vergleichsweise gut geschlagen haben. Hier sagen die Analysten Auftrags- und Umsatzzuwächse voraus, der Gewinn soll sogar zweistellig wachsen. Auch der kleinste Sektor, der sämtliche Produkte und Lösungen rund um Infrastruktur & Städte bündelt, soll mehr Aufträge und Erlöse verzeichnet haben. Das Ergebnis allerdings wird sich den Schätzungen zufolge fast halbieren.
Der Grund dafür ist einfach: Vor einem Jahr hatte Siemens in diesem Sektor gerade einmal 270 Mio. Euro verdient. Die Zug-Sonderkosten aber fallen in diesen Bereich und sollen noch höher ausfallen als im ersten Quartal, wie Sektor-Vorstand Roland Busch vor Kurzem gesagt hatte. Das bedeutet in jedem Fall eine dreistellige Millionenbelastung: Im ersten Quartal waren es 116 Mio. Euro gewesen.
Kritik wächst
Angesichts der zahlreichen Baustellen verwundert Kritik am Management nicht. "Es wäre nicht das erste Mal, dass Löscher seine Ziele wieder einstecken muss", sagte die stellvertretende Vorsitzende des Vereins von Belegschaftsaktionären in der Siemens AG, Birgit Grube, die bis 2008 für Siemens selbst im Aufsichtsrat saß. Dem Konzern fehle es zudem an einer Perspektive. "Man reagiert immer nur von Mal zu Mal. Wenn was nicht läuft, wird Personal abgebaut." Das aber sorge für Frust - auch bei leitenden Mitarbeitern.
"Zudem fehlt übergreifendes Wissen", so Grube. Als Beispiel nannte sie die Probleme bei den ICEs. "Früher hätten die Leute gewusst, wen sie zum Beispiel auch aus anderen Sektoren noch fragen müssen." Auch Löscher selbst könne auf ein solches Netzwerk nicht zurückgreifen. "Er ist immer noch nicht bei Siemens angekommen. Er hat kein Netzwerk, das ihn absichert und keine Leute, auf die er im Zweifel zurückgreifen kann."
Löscher fährt auch Sicht
Auch innerhalb der Führungsmannschaft von Siemens wächst der Unmut. "Wir haben zu wenig Konstanz in der Unternehmensführung und einen zu kurzen Planungshorizont", sagte eine Person aus dem Umfeld des Unternehmens dem Wall Street Journal Deutschland. "Die Fehler wiederholen sich. Wir haben schon mal Stellen verlagert und wieder zurückgeholt. Ich sehe uns schon wieder rumrennen und den Nachwuchs suchen, den wir jetzt verprellen", sagte die Person mit Blick auf das sechs Milliarden schwere Spar- und Effizienzprogramm, das sich der Konzern bis 2014 zur Margensteigerung verordnet hat und im Zuge dessen auch Tausende Stellen wegfallen werden.
Unzufrieden dürften auch die Aktionäre von Siemens sein. Die Aktie hat in diesem Jahr bisher 4 Prozent an Wert verloren, während der Dax gut 3 Prozent zugelegt hat. Auch die Aktien vieler Rivalen haben sich besser geschlagen: So verteuerte sich das Papier der Schweizer ABB im gleichen Zeitraum um 12 Prozent, die Aktie der französischen Schneider Electric stieg noch um gut 6 Prozent, Philips kletterten um knapp 7 Prozent.
Quelle: ntv.de, ddi/DJ