EZB-Deutsch / Deutsch-EZB So knacken Sie den Trichet-Code
03.03.2011, 11:34 Uhr
(Foto: picture alliance / dpa)
Wenn Währungshüter zu den Märkten sprechen, schweigen die Händler, und die Analysten spitzen die Ohren: Sie tun gut daran, genau zuzuhören, denn die entscheidenden Signale verstecken Notenbanker oft in winzigen, fein abgewogenen Formulierungen. Ein kurzer Blick ins Notenbanklexikon.
"Reden ist Silber, Schweigen ist Gold" - dieser uralte Spruch galt lange besonders für Notenbanker. Doch die Zeiten haben sich geändert: Heutzutage gehört eine ausgefeilte Kommunikation zum Handwerkszeug aller Geldpolitiker. Schließlich hängen Investoren, Aktien- und Devisenhändler und viele andere Akteure an den Finanzmärkten oft wie gebannt an den Lippen von US-Notenbankchef Ben Bernanke oder des Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet.
Sie müssen oft einen verbalen Drahtseilakt vollbringen, denn die Märkte reagieren hochsensibel auf jede noch so kleine Veränderung in der Wortwahl der Herren des Geldes. Bernanke & Co. können schon mit einem vielleicht unbedachten "aber" ganze Währungen in die Tiefe schicken, oder durch ein eingefügtes "sehr" Dollar, Euro, Pfund oder Yen nach oben pushen.
Allerdings ist die Sprache der Zentralbanker nicht klar und einfach und für jedermann leicht verständlich. Wissenschaftler empfehlen ihnen sogar, sich nur so klar wie nötig, aber zugleich hinreichend unpräzise auszudrücken. Damit sie dennoch verstanden werden, verwenden Notenbanker Signalwörter, um die Finanzmärkte beispielsweise auf eine in Kürze bevorstehende Zinserhöhung vorzubereiten.
Zu besonderer Meisterschaft in diesem Fach hat es der noch bis zum Herbst amtierende EZB-Präsident Trichet gebracht. Nachfolgend eine kurze Übersicht über von ihm häufig verwendete Signalwörter (jeweils in deutsch und englisch) und ihre Bedeutung:
Akkomodierend / Accomodative
"Wenn die EZB feststellt, dass ihre Geldpolitik 'akkomodierend' ist, rechtfertigt sie damit häufig das aktuelle Zinsniveau oder wehrt Rufe nach einer noch expansiveren Politik ab", erklärt der Geldpolitik-Experte der Commerzbank Michael Schubert. Allerdings ist auch der umgekehrte Fall möglich: im Zinserhöhungszyklus vor der jüngsten Krise wiederholte die EZB mehrfach, dass ihre Geldpolitik trotz der bereits erfolgten Zinsanhebungen "weiterhin akkomodierend" ist und signalisierte damit, dass noch weitere Zinsschritte folgen.
Aufmerksamkeit, aufmerksam / Alertness, Alert
Dies ist eine häufig gebrauchte Vokabel, die im Gegensatz zur "Wachsamkeit" (siehe unten) keine bevorstehende Veränderung des Leitzinses signalisiert. Die EZB ist mehr oder weniger ständig "aufmerksam" und will damit den Finanzmärkten deutlich machen, dass sie bei Bedarf jederzeit ihre Geldpolitik ändern kann.
Angemessen / Appropriate
Wenn Trichet das Wort "angemessen" verwendet, signalisiert er damit, dass der EZB-Rat mit dem jeweils aktuellen Kurs seiner Geldpolitik gut leben kann.
Wichtig sind deshalb Zusätze, wie "derzeit / currently" oder "noch / still" angemessen.
So hat die EZB im Januar das Zinsniveau von 1,0 Prozent seit langem zum ersten Mal wieder als "noch angemessen" bezeichnet und damit durchblicken lassen, dass auf mittlere Sicht eine Zinserhöhung auf der Agenda stehen dürfte.
Beobachter / Monitor
Wenn die EZB Entwicklungen etwa bei den Preisen, beim Wirtschaftswachstum oder am Arbeitsmarkt ("sehr" oder "genau") "beobachtet", dann bedeutete das im Zinserhöhungszyklus 2005 bis 2007 stets, dass die Zentralbank in der nächsten oder spätestens in der übernächsten Sitzung des EZB-Rats den Leitzins anhebt.
In der jüngeren Vergangenheit findet sich die Formulierung jedoch eigentlich immer im offiziellen Statement, das Trichet nach den Ratssitzungen am ersten Donnerstag jeden Monats vor der Presse verliest; die Bedeutung dieses Signals hat also in den Augen der EZB offenbar abgenommen.
Starke Wachsamkeit / Strong Vigilance
"Starke Wachsamkeit / strong vigilance" war in den Jahren vor dem Ausbruch der jüngsten Krise das eindeutige und von allen Finanzmarktprofis verstandene Signal für eine unmittelbar, also im nächsten Monat bevorstehende Zinserhöhung. Diese Bedeutung erlangte die Phrase allerdings erst unter Trichet.
Der erste EZB-Präsident Wim Duisenberg (1999 - 2003) nutzte den Begriff häufiger und unbestimmter. Man darf gespannt sein, welchen Kurs Trichets Nachfolger ab November fährt, wenn der Franzose sich nach acht Jahren an der EZB-Spitze turnusmäßig in den Ruhestand verabschiedet hat.
Quelle: ntv.de, Andreas Framke, rts