Wirtschaft

Weltweit führend in der Forschung VW schlägt Google, Apple und Toyota

(Foto: picture alliance / dpa)

Diese Liste hat es in sich: Erstmals führt ein Unternehmen aus Europa die Rangliste der weltweit wichtigsten Entwicklungstreiber an. Doch schon ein kurzer Blick auf die Spitzenplätze offenbart zugleich auch eine gefährliche Schieflage.

EU-Kommissarin Máire Geoghegan-Quinn: In Europa zuständig für "Forschung, Innovation und Wissenschaft".

EU-Kommissarin Máire Geoghegan-Quinn: In Europa zuständig für "Forschung, Innovation und Wissenschaft".

(Foto: REUTERS)

In Sachen Forschung und Entwicklung steht Europas größter Autobauer unangefochten an der Spitze: In einer aktuellen Rangliste der EU-Kommission führt der deutsche Volkswagen-Konzern das Feld der innovationsstärksten Unternehmen mit deutlichem Vorsprung an.

Weltweit fanden Brüsseler Experten kein einziges Unternehmen aus dem privaten Sektor, das mehr Geld in den sogenannten F&E-Bereich investiert als Volkswagen. Im vergangenen Jahr pumpten die Wolfsburger der EU-Studie zufolge rund 9,5 Milliarden Euro in die Suche nach Grundlagen für zukünftige Geschäftserfolge. Besonders bemerkenswert: Der Autobauer übertrifft damit die F&E-Budgets von eigentlich als innovationsstark geltenden Unternehmen wie etwa Sony, Boeing oder Apple. Und: VW gibt mehr Geld für die Forschung aus als jeder andere Autobauer der Welt.

Der Automobilkonzern verweist dabei selbst globale Telekommunikations- und IT-Unternehmen wie etwa Samsung und Microsoft auf die Plätze. Mit Forschungsausgaben in Höhe von immerhin 8,3 Milliarden Euro kommt der südkoreanische Unterhaltungselektronikriese Samsung lediglich auf Platz zwei, gefolgt von Microsoft mit 7,9 Milliarden Euro, Intel mit 7,7 Milliarden Euro und Toyota mit 7,1 Milliarden Euro.

Transatlantischer Vorsprung

Die Vorherrschaft der weltgrößten Wirtschaftsmacht spiegelt sich natürlich auch in der Rangliste wider: Unter den Top Ten tauchen mit Microsoft, Intel, Merck, Johnson & Johnson und Pfizer fünf Unternehmen aus den USA auf. "Zum ersten Mal seit 2004 steht jedoch wieder ein Unternehmen aus der EU bei den Forschungsausgaben an der Weltspitze", betonte die EU-Kommission bei der Veröffentlichung des EU-Anzeigers für Investitionen der Industrie in Forschung und Entwicklung.

Gleichzeitig belege die Studie jedoch auch ein gefährliches Missverhältnis, wie EU-Wissenschaftskommissarin Máire Geoghegan-Quinn erklärte. "Abgesehen von den positiven Ergebnissen in wichtigen Industriezweigen wie etwa dem Autobau sind wir immer noch zu schwach in Hightech-Branchen wie zum Beispiel Biotechnologie und Software", stellte die irische EU-Politikerin fest.

Um zu verstehen, was sie damit meint, genügt ein Blick auf die Auswahl der zehn innovationsststärksten EU-Unternehmen: Die ersten drei Plätze beherrschen mit VW, Daimler und Bosch drei deutsche Schwergewichte aus der Automobilindustrie. Dahinter folgen mit Sanofi-Aventis ein Pharmakonzern aus Frankreich, Siemens aus Deutschland, der Pharmariese Glaxosmithkline aus Großbritannien, Nokia aus Finnland, BMW aus Deutschland, Ericsson aus Schweden und der europäische Luftfahrt- und Rüstungskonzern EADS.

Airbus forscht mehr als Boeing

Der Flugzeugbauer reservierte im vergangenen Jahr zwar mit 3,6 Milliarden Euro mehr Geld für die Entwicklung als der direkte Wettbewerber Boeing (umgerechnet rund 2,3 Milliarden Euro). Dennoch bleibt das Übergewicht der Autobauer frappant: Vier der zehn Unternehmen aus der EU-weiten Top Ten knüpfen ihren Erfolg an den Straßenverkehr, zwei setzen auf die Bekämpfung von Krankheiten, einer auf Flugzeuge und Verteidigung. Lediglich drei der zehn innovationsstärksten Unternehmen Europas befassen sich mit IT und Elektrotechnik.

Die Amerikaner sind hier ganz anders aufgestellt: Auf ihrer Seite des Atlantiks setzt sich die Liste der zehn größten F&E-Giganten mit Google, Microsoft, IBM, Intel und Cisco aus fünf zukunftsweisenden Technologietreibern zusammen, dazu kommen drei Pharmaforscher (Merck, J&J, Pfizer) und nur zwei Autobauer (GM und Ford). In Deutschland dagegen konzentrieren sich die Forschungsausgaben sehr viel stärker auf die Automobilindustrie - mit allen Risiken und Nebenwirkungen. Die Absatzmärkte in Europa zeigen seit Jahren Schwäche, die großen Zuwachsraten kommen aus wenig stabilen Schwellenlandmärkten wie Russland und vor allem China. Und: Letztlich arbeiten Unternehmen wie BMW, Daimler, Bosch und VW mit ihren Forschungsausgaben nur an Verbesserungen eines Produkts, das im Kern bereits seit mehr als 100 Jahren existiert. Zukunftsmärkte sehen anders aus.

Europa hängt am Autobau

Insgesamt verzeichnen die EU-Experten jedoch einen positiven Trend: Europas Firmen erweiterten ihre Budgets für Forschung und Entwicklung 2012 um rund 6,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das sind immerhin knapp 0,1 Prozentpunkte mehr als der Durchschnitt aller 2000 untersuchten Unternehmen. Problematischer erscheint der EU-Kommission jedoch, dass Europa im Vergleich zu den USA zurückfällt. Dort steigerten die Unternehmen ihre F&E-Ausgaben im gleichen Zeitraum um 8,2 Prozent.

Auch die Ausrichtung der Forschung weckt in Brüssel Bedenken. "Im Bereich der unternehmerischen Forschungsinvestitionen hinkt die EU weiterhin ihren wichtigsten Wettbewerbern hinterher", fasst EU-Kommissarin Geoghegan-Quinn die Lage zusammen. Während europäische Unternehmen vor allem die Forschung in der Autobranche, im Maschinenbau, der Luft- und Raumfahrt sowie der Verteidigung ausbaue, investierten die US-Unternehmen verstärkt in die Bereiche IT und Kommunikationstechnologien. Für Standortpolitiker muss dieser Appell in den Ohren klingen: Wer die Arbeitsplätze der Zukunft sichern will, muss für eine breit aufgestellte Wirtschaftsstruktur sorgen.

Grundlage der Studie aus dem EU-Anzeiger für Investitionen der Industrie ("EU Industrial R&D Investment Scoreboard") sind die Daten der weltweit 2000 innovationsstärksten Unternehmen. Die Auswahl steht nach Angaben der EU-Analysten für etwa 90 Prozent aller privat getätigten Forschungs- und Entwicklungsausgaben weltweit. Die Rangliste wird seit 2004 im Auftrag der EU-Kommission erstellt und jährlich aktualisiert.

Quelle: ntv.de

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