Hoffen auf die positive Überraschung Was der Wirtschaft Angst und Mut macht
11.01.2012, 11:12 Uhr
(Foto: REUTERS)
Die deutsche Wirtschaft legt zum Jahresausklang 2011 bereits den Rückwärtsgang ein. Mancher fürchtet bereits einen erneuten Rückfall in die Rezession. Doch trotz einer Reihe von Warnzeichen am Horizont gibt es auch positive Signale. Ist das Glas nun halb voll oder halb leer?
Nach zwei Boomjahren in Folge bläst der deutschen Wirtschaft nun der Wind ins Gesicht. Wegen der ausufernden Schuldenkrise erwarten Experten in diesem Jahr bestenfalls ein Mini-Wachstum. Schon am Jahresende schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt um geschätzte 0,25 Prozent und damit erstmals seit Anfang 2009. Es gibt aber auch einige Signale, die am Ende für ein besseres Abschneiden sorgen können. Ein Überblick.
Die Angstmacher:
Verunsicherung: Steigt Griechenland aus der Euro-Zone aus? Bricht gar die Euro-Zone zusammen? Was vor einem Jahr noch undenkbar schien, wird inzwischen in Unternehmen, an den Märkten und in der Politik durchgespielt. Die enorme Unsicherheit über den Fortgang belastet auch die deutsche Wirtschaft. "Diese Faktoren bremsen den Export, drücken aber auch die Investitionsbereitschaft", befürchtet die Deutsche Bank. Ausländische Investoren schreckt das ebenfalls ab: Im ersten Halbjahr 2011 steckten sie nur noch sieben Milliarden Dollar in Unternehmenskäufe und andere Direktinvestitionen. Ein Jahr zuvor waren es noch 22 Milliarden Dollar.
Sparkurs: Steuern rauf, Löhne runter, Investitionen kappen: In Italien, Spanien und anderen Euro-Ländern regiert der Rotstift. Mit Sparmaßnahmen wollen sie ihre Haushalte sanieren. Allerdings drohen die drakonischen Maßnahmen die Konjunktur abzuwürgen. Nur noch ein Wachstum von 0,2 Prozent traut die OECD der Euro-Zone in diesem Jahr zu. Weil 40 Prozent der deutschen Ausfuhren in die Währungsunion gehen, trifft das auch die exportabhängige deutsche Wirtschaft. "Mit den Sparorgien in Europa machen wir unseren eigenen Markt kaputt", befürchtet der Chefvolkswirt der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD), Heiner Flassbeck. "Wir werden einen irren Einbruch erleben, wenn man das alles durchzieht." Das können auch China, Brasilien & Co nicht wettmachen, befürchtet die Deutsche Bank: "Die Nachfrage aus den Schwellenländern dürfte aufgrund des abflauenden Welthandels wenig Kompensation bieten". Deutschlands starke Exportabhängigkeit werde deshalb "wieder zur Achillesferse".
Kreditklemme: Die Zinsen sind historisch niedrig. Eigentlich eine gute Voraussetzung für Unternehmen, jetzt zu investieren. Doch was nützt das billige Geld, wenn es nicht zu haben ist? Die Banken horten das viele Geld, das ihnen die Europäische Zentralbank (EZB) zur Verfügung stellt, anstatt es zu verleihen. Bislang klagen einer Ifo-Umfrage zufolge 22,4 Prozent der Unternehmen über einen schlechten Zugang zu Bankkrediten. Sollte die Schuldenkrise eskalieren - etwa durch eine Staatspleite von Griechenland, bei der die Banken viel Geld verlieren würden - dürfte der Geldhahn zugedreht werden. Starinvestor George Soros hält die Schuldenkrise schon jetzt für "ernsthafter und gefährlicher als der Zusammenbruch von 2008", als das Ende der US-Bank Lehman Brothers für die schwerste Rezession seit Bestehen der Bundesrepublik sorgte. Und EZB-Ratsmitglied Yves Mersch warnt: "Wir haben Angst vor einer Kreditklemme, die unsere Volkswirtschaften - inklusive der besten - wieder in eine Rezession stürzen könnte."
Die Mutmacher:
USA: Die noch immer mit weitem Abstand größte Volkswirtschaft der Welt fasst allmählich Tritt. Die Zahl der Arbeitslosen fiel im Dezember auf den tiefsten Stand seit fast drei Jahren. Eine Belebung des Arbeitsmarktes ist die Voraussetzung für einen Aufschwung in den USA, deren Wirtschaft zu zwei Dritteln vom privaten Konsum abhängt. "Die Konjunktur läuft besser als in den anderen zehn großen Industrienationen", sagt Boris Schlossberg von FX Research. Davon profitieren zum Beispiel die deutschen Autobauer, die auf dem erstarkenden US-Markt das schwache Europa-Geschäft ausgleichen wollen. Auch indirekt gewinnt die deutsche Exportwirtschaft durch eine Konjunkturbelebung auf der anderen Seite des Atlantiks. Für China und viele andere Länder sind die USA der wichtigste Handelspartner. Sie profitieren davon, wenn es bei ihrem größten Kunden rund läuft. Und davon hätte auch die deutsche Wirtschaft etwas, die wegen der Schwäche in Europa auf Impulse aus Übersee angewiesen ist.
Euro: Die Schuldenkrise drückt den Kurs der Gemeinschaftswährung immer tiefer. Die deutschen Exporteure können damit auf diese Weise ihre Gewinne in Übersee steigern. Oder sie nutzen den durch den günstigen Wechselkurs gewonnenen Spielraum auf diesen Märkten zu Preissenkungen, um den Verkauf anzukurbeln. "Das gibt den einen oder anderen Impuls", sagt DIHK-Experte Ilja Nothnagel. Die Euro-Schwäche ärgert Konkurrenten wie Japan. Dessen Finanzminister Jun Azumi sieht in der Talfahrt der Gemeinschaftswährung gegenüber dem Yen eine Gefahr für die eigene Wirtschaft. Japan konkurriert vor allem mit Deutschland auf den Weltmärkten - etwa bei Autos und im Maschinenbau. Der Euro fiel zum Jahresanfang gegenüber dem Yen auf den tiefsten Stand seit elf Jahren, im Vergleich zum Dollar auf den schwächsten Wert seit 16 Monaten.
Konsum: Steigende Einkommen, eine Rekordbeschäftigung, eine geringere Inflation und niedrige Zinsen - das ist ein Mix, der die Kauflaune der Deutschen in diesem Jahr heben sollte. Nach Prognose der Deutschen Bank werden die verfügbaren Einkommen um mehr als zwei Prozent zulegen. Bei einer erwarteten Inflationsrate von etwa 1,5 Prozent hätten die Deutschen damit an Kaufkraft gewonnen. Viele Experten gehen davon aus, dass die 2011 erreichte Rekordbeschäftigung mindestens gehalten wird. Wer teure Anschaffungen wie Autos oder Möbel plant, kann diese günstig finanzieren. Grund: Die Marktzinsen sind im Keller - auch wegen der Europäischen Zentralbank, die den Leitzins auf das Rekordtief von 1,0 Prozent gesenkt hat. Umgekehrt gibt es wenig Anreiz zum Sparen, weil es für Guthaben nur Mini-Zinsen gibt. Auch das spricht dafür, dass Konsumenten das Geld lieber ausgeben statt anzulegen. Der private Konsum wird damit zum Hoffnungsträger einer Wirtschaft, die zu etwa 60 Prozent von den Ausgaben der Verbraucher lebt.
Quelle: ntv.de, Rene Wagner, rts