Wirtschaft

Vier Szenarien für Griechenland Welche Medizin hilft Athen?

EZB-Präsident Jean-Claude Trichet beim Finanzministertreffen in Luxemburg.

EZB-Präsident Jean-Claude Trichet beim Finanzministertreffen in Luxemburg.

(Foto: AP)

Die Schuldenkrise wächst sich zu einer beispiellosen Hängepartie aus: Ein Krisentreffen der Finanzminister zur Rettung Griechenlands bleibt zunächst ohne greifbares Ergebnis. Erst zur Wochenmitte soll in Athen eine Entscheidung fallen. Mittlerweile scheint fast alles möglich. Ein Überblick.

Proteste in Athen: Der Sparpolitik fehlt es schon jetzt an Rückhalt in der Bevölkerung.

Proteste in Athen: Der Sparpolitik fehlt es schon jetzt an Rückhalt in der Bevölkerung.

(Foto: AP)

Deutschland und Frankreich haben sich darauf geeinigt, zur Rettung des hochverschuldeten Griechenlands auf das Vorbild der sogenannten "Wiener Initiative" zurückzugreifen. Sie soll die Basis für eine freiwillige Beteiligung privater Gläubiger bilden. Die Finanzminister diskutieren über die Details. Eine Einigung gibt es noch nicht. Welche Optionen hat Europa, für eine Entlastung Griechenlands zu sorgen? Welche Folgen drohen für die Bewertung der Kreditwürdigkeit des Euro-Staates?

Szenario 1: Die "Wiener Initiative"

Im Jahr 2009, kurz nach dem Höhepunkt der Finanzkrise hatten sich österreichische Banken als Gläubiger osteuropäischer Länder darauf verständigt, Anleihen der Staaten nach Ende der Laufzeit in neue Papiere umzutauschen und damit nicht zu verkaufen. Die Einigung ging als "Wiener Initiative" in die Wirtschaftsgeschichte ein und zeigte den erwünschten Erfolg. Die betroffenen Staaten gewannen Zeit für die Sanierung ihrer Finanzen. Ein Totalausfall blieb den Gläubigern - und der Welt - erspart.

Das Verfahren nennt sich "Rollover" und würde, übertragen auf Griechenland, auch dem hoch verschuldeten Euro-Mitglied faktisch einen Zahlungsaufschub verschaffen. Die Kreditbedingungen bleiben im Wesentlichen erhalten, "ausgetauscht" würden lediglich die Laufzeiten, und das auch nicht komplett und sofort, sondern nach und nach. Durch vorsichtige Verlängerungen würden die Zahlungsverpflichtungen zu einem späteren Zeitpunkt fällig. Das dürfte dem neuen griechischen Finanzminister etwas Luft verschaffen und der Krise die Dringlichkeit nehmen. Für die Bond-Anleger bestünde weiterhin Hoffnung auf eine vollständige Rückzahlung. Banken mit umfangreichen Anleihenbeständen im Depot müssten ihre Angaben in den Bilanzen allerdings anpassen.

Trichets Lektüre: "In Griechenland behindert das System die wirtschaftliche Erholung".

Trichets Lektüre: "In Griechenland behindert das System die wirtschaftliche Erholung".

(Foto: AP)

Der wichtigste Vorteil: Durch eine schnelle und klare Regelung nach dem Modell der "Wiener Initiative" wäre die Unsicherheit über Griechenlands Finanzierung in den kommenden Jahren beseitigt. Die Regierung in Athen müsste sich für die Geldaufnahme zunächst nicht an den Kreditmarkt wenden. Die Schuldenlast des Euro-Landes würde allerdings nicht reduziert. Zu den Vorteilen der Lösung gehört außerdem, dass damit wahrscheinlich keine Kreditausfallversicherungen (CDS) fällig würden. Eine Fälligkeit der CDS könnte unvorhersehbare Turbulenzen an den weltweiten Finanzmärkten auszulösen - wie zuletzt nach der Lehman-Pleite 2008. Dieses Beispiel ist allen Beteiligten noch lebhaft vor Augen.

Das Problem: Geld für neue Rettungsaktionen für taumelnde Unternehmen von der Größe einer AIG oder HRE wäre diesmal deutlich schwerer aufzutreiben. In Deutschland zum Beispiel wäre eine neuerliche Hilfsaktion kaum vor Parlament und Öffentlichkeit zu vertreten. In anderen Staaten der Eurozone verhält sich das kaum anders. Schon zuvor war in Mitgliedsländer wie Finnland oder der Slowakei der öffentliche Druck gegen weitere Milliardenpakete gewachsen. Offen ist dabei auch noch, ob eine Verlängerung der Laufzeiten griechischer Staatsanleihen tatsächlich glimpflich ablaufen kann oder nicht. Letztlich entscheidet die International Swaps und Derivatives Association (ISDA), ob der Versicherungsfall eintritt oder nicht. Die politischen Einflussmöglichkeiten sind dabei gering. Die ISDA muss sich vornehmlich ihren Mitgliedern und dem Finanzmarkt verpflichtet fühlen - und nicht dem europäischen Steuerzahler.

Die drei Ratingagenturen Fitch, Moody's und Standard & Poor's haben für den Fall eines "Rollovers" nach dem Wiener Modell bereits erklärt, Griechenlands Lage im Bereich eines Zahlungsausfalls einzustufen. Ein Hintertürchen gibt es dennoch: Fitch hatte zuletzt angedeutet, dass die Staatsanleihen selbst trotz allem ein "CCC"-Rating behalten könnten. Damit könnte sie die Europäische Zentralbank (EZB) weiterhin und ohne Änderung der Regularien als Sicherheit bei der Refinanzierung griechischer Geldinstitute akzeptieren.

Szenario 2: Die Verlängerung unter Druck

Ein sofortiger Umtausch von griechischen Staatsanleihen gegen Bonds mit längerer Laufzeit würde Griechenland gleichfalls mehr Zeit zur Ordnung seiner Finanzen verschaffen. Diese Variante wurde zuletzt von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble favorisiert, um außer den Steuerzahlern auch die privaten Gläubiger wie Banken, Versicherungen oder Rentenfonds an den Kosten zu beteiligen. Schäuble warb für Laufzeiten von sieben Jahren für die neuen Bonds. Die EZB und die EU-Kommission sind gegen den Vorschlag, weil sie für andere Schuldenländer wie Portugal oder Irland befürchten. Der Nachteil: Ein solcher Eingriff ließe sich nur mit der Zustimmung der betroffenen Investoren umsetzen. Außerdem wäre es lediglich eine Art Notfallversorgung und keine Langzeittherapie: Auch bei dieser Lösung würde die Schuldenlast der Regierung in Athen nicht reduziert. Laut ISDA würde der Schritt aber immerhin nicht zur Fälligkeit von Kreditausfallversicherungen führen, weil Griechenland niemanden zum Umtausch zwingen könne. Turbulenzen von dieser Seite wären damit nicht zu befürchten.

Deutschland und Frankreich im Gespräch: Christine Lagarde und Wolfgang Schäuble.

Deutschland und Frankreich im Gespräch: Christine Lagarde und Wolfgang Schäuble.

(Foto: AP)

Knackpunkt bleibt aber die Freiwilligkeit: Die Ratingagenturen haben erklärt, sie würden diese Form der Beteiligung privater Gläubiger nicht als freiwillig betrachten und Griechenland dann im Bereich der Zahlungsunfähigkeit einstufen. Damit wäre der Vorteil dieses Ansatzes wieder dahin. Die Perspektiven für weitere angeschlagene Schuldenstaaten wie Portugal würden sich umgehend verdüstern. Was im Fall Griechenlands möglich ist, wäre sofort auch für die portugiesischen Finanzen ein realistisches Szenario. Und eine weitere Umschuldungsaktion würde zusätzliche Schockwellen durch die Bankbilanzen jagen. Damit käme die Krise auch wieder sehr schnell in Spanien an, dessen Finanzsektor stark im westlichen Nachbarland engagiert ist. Geld für weitere Stützungsaktionen ist auch hier nicht mehr vorhanden.

Kein Wunder also, dass sich die Notenbanker gegen solche Pläne stemmen. Die EZB will umstrukturierte Anleihen eigenen Angaben zufolge nicht als Sicherheit für Kredite akzeptieren. Für die griechischen Banken und die Geldhäuser mit griechischen Anleihen in ihren Büchern wird es damit schwierig: Ohne diese Finanzierungsmöglichkeiten am Tropf der Zentralbank dürften sie das Vertrauen ihrer eigenen Geldgebern verlieren. Sie drohen auch von den internationalen Geldströmen abgeschnitten zu werden.

Szenario 3: Harte Schuldenschnitte

Neben der "Umschuldung light", der sanfte Form der "Umstrukturierung griechischer Verbindlichkeiten", rufen einzelne Stimmen immer wieder auch nach radikaleren Methoden, um das Problem in den Griff zu bekommen. Ihr wichtigstes Argument: Schlechtem Geld dürfte keinesfalls gutes hinterhergeworfen werden. Griechenland sei längst ein Fass ohne Boden. Mit einem Schuldenschnitt nach dem Vorbild sogenannter "Hair Cuts" sollen die Probleme ein für alle Mal beseitigt werden. Im Fall der Schuldenkrise Argentiniens hatten sich Schuldner und Gläubiger auf einen solchen Haarschnitt am Anleihenmarkt geeinigt. Nach harten Sparmaßnahmen und strengen Vorgaben des IWF konnte Argentinien schließlich einen Teil seiner Schulden an Bond-Gläubiger zurückzahlen. Ohne deren Zugeständnisse würde das Land wohl weiterhin wirtschaftlich am Boden liegen. 

Im Auge des Sturms: Der Eingangsbereich der Athener Börse.

Im Auge des Sturms: Der Eingangsbereich der Athener Börse.

(Foto: AP)

In Europa versuchen die Finanzminister eine Diskussion über Zwangsmaßnahmen zu vermeiden. Schon allein der Gedanke daran, dass die Eurozone eine Änderung der Bedingungen für die Geldgeber Griechenlands erzwingen könnte, dürfte die Rückkehr wirtschaftlich schwacher Euro-Staaten an den Kapitalmarkt auf Jahre behindern. Sollte Europa den Investoren ohne ihre Zustimmung Verluste auf ihre Vermögenswerte abverlangen, dürfte das den Anleihenmarkt insgesamt in Frage stellen. Das Vertrauen der Märkte wäre tief erschüttert. Und abgesehen von Griechenland finanzieren fast alle anderen Euro-Mitglieder ebenfalls große Teile ihres Staatshaushalts über Schulden.

Auch die Bundesregierung würde den Vertrauensverlust empfindlich zu spüren bekommen. Wenn generelle Zweifel an der Rückzahlung von Staatsschulden bestehen, dürfte sich die Risikoeinschätzung am Markt rasch verändern - und damit auch die Kreditbedingungen für ebenfalls stark verschuldete Industrienationen wie Belgien, Italien, Frankreich und Deutschland. Ein weiteres Problem: Nicht wenige Experten und Analysten sehen in einem solchen Schritt den einzigen Weg, die Schuldenlast Griechenlands zu verringern. Das Land ist wirtschaftlich zu schwach, um sich über Wirtschaftswachstum selbst aus dem Schuldensumpf zu ziehen. Dazu kommt die wahrscheinliche Kettenreaktion am Markt: Ein erzwungener Abschlag würde mit großer Sicherheit von der ISDA als Kreditereignis gewertet werden und damit die Fälligkeit von Kreditausfallversicherungen mit allen unabsehbaren Folgen auslösen. Die Citigroup warnte bereits, ein solcher Schritt werde das Vertrauen in das Instrument der CDS als Schutz vor Kreditausfällen untergraben. Die Ratingagenturen würden Griechenland in diesem Fall im Bereich eines Zahlungsausfalls einstufen.

Szenario 4: Die Insolvenz Griechenlands

Dieser Fall ist ebenso simpel wie erschreckend: Griechenland würde keine Zinsen mehr auf das geliehene Geld bezahlen und die Rückzahlung der Schulden einstellen. Die ISDA würde nach einer gewissen Schonfrist ein "Kreditereignis" feststellen. Damit würden die CDS fällig. Gewaltige Geldströme kämen in Bewegung. In den Kassen der CDS-Versicherer würden sich tiefe Löcher auftun. Unklar ist bislang, inwieweit die Branche auf einen solchen Ernstfall im großen Maßstab vorbereitet ist.

Weitaus schneller wäre die Reaktion am Markt: Die Unsicherheit über die Folgewirkung würde binnen Minuten um sich greifen. Die Kurse von Banken, Versicherungen und Unternehmen mit größerem Engagement in Griechenland würden wohl erheblich unter Druck geraten. In jedem Fall müssten die Finanzmärkte mit gewaltigen Turbulenzen rechnen. Mit einem Schlag wäre die globale Finanzkrise wieder da - früher und womöglich heftiger als von Regulierern, Aufsehern und Firmenrettern erwartet.

Der Dax zu Beginn der neuen Woche: Unsicherheit ist Gift für die Märkte.

Der Dax zu Beginn der neuen Woche: Unsicherheit ist Gift für die Märkte.

(Foto: REUTERS)

Die Ratingagenturen müssten den Fall Griechenland kompromisslos als Pleite bewerten - schon allein um ihre eigene Glaubwürdigkeit zu retten. Es wäre der . Die übrigen 16 Euro-Mitglieder müssten darum fürchten, ebenfalls in den Sog der Krise zu geraten. und den USA wären wahrscheinlich bemüht, ihre investierten Mittel aus Europa insgesamt abzuziehen, bis sich der Staub gelegt hat und wieder abzusehen ist, mit welchen politischen und wirtschaftlichen Auswirkungen zu rechnen ist.

Alle vier Szenarien basieren auf der Annahme, dass sich die Regierung in Athen halten kann und ein gewisses Mindestmaß an politischer Stabilität im Land erhalten bleibt. Sollte durch ein weniger kooperationsbereites Bündnis abgelöst werden, stünden IWF, EZB und EU-Kommission plötzlich ohne Ansprechpartner dar. Ein zweites Hilfspaket in Höhe von bis zu 110 Mrd. Euro wäre dann utopisch. Europa kann also nur hoffen, dass sich die Parteien in Athen auf einen gemeinsamen Kurs einigen können.

Quelle: ntv.de, mmo/rts

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