Abstieg eines Weltmarktführers Wer will Nokia kaufen?
09.06.2011, 18:46 Uhr
Alter Slogan, neue Bedeutung: Protest-T-Shirt aus der Zeit der Werksschließung am Standort Bochum.
(Foto: REUTERS)
Vor gut zwei Jahren löst der finnische Weltkonzern mit einer Werkschließung in Bochum Protest und Entrüstung aus: Jetzt ist der Handy-Hersteller Nokia selbst in Schwierigkeiten. Analysten spielen verschiedene Szenarien durch - vom Komplettverkauf bis zur Zerschlagung.
Nokia ist eigentlich das perfekte Übernahmeziel: Der Aktienkurs ist am Boden, das Management zerstritten, die Marke weltbekannt. Doch so schnell dürfte sich nach Einschätzung von Bankern und Analysten kein Käufer für das finnische Unternehmen finden. Einzig chinesische Telefonhersteller könnten ein Auge auf Nokia werfen.
Für jeden Investor wäre ein Einstieg bei Nokia derzeit ein enorm großes Wagnis, sagte ein Banker, der Technologieunternehmen berät. "Es wäre wie ein Sprung ins Meer aus 150 Metern Höhe ohne Rettungsweste." Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Käufer für das komplette Unternehmen findet, schätze er auf unter zehn Prozent.
Die Gründe sind vielfältig: Zum einen dürfte eine Sanierung von Nokia nicht einfach werden. Die beliebteste Methode von Firmen-Aufkäufern - harte Kostensenkungen - bringt bei Nokia wenig, da das Problem nicht bei den hohen Ausgaben, sondern bei der Technologie liegt. Des Weiteren kämpft Nokia derzeit gleich an zwei Fronten mit Angreifern: Asiatische Rivalen jagen den Finnen im angestammten Segment für günstigere Handys Kunden ab.
Zum anderen setzt Apple - im Vergleich zu Nokia ein Newcomer im Handy-Geschäft - in der oberen Preisklasse den Siegeszug mit seinem iPhone fort. Der Nokia-Anteil am globalen Handy-Markt verringerte sich im ersten Vierteljahr auf 29 Prozent. Ein Jahr zuvor waren es noch 33 Prozent. Für Investoren ist es angesichts dieses Tempos fraglich, ob Nokia jemals wieder Marktanteile zurückgewinnen kann. "Es ist niemand mehr am Steuer, viele erfahrene Manager sind weg", sagte der Banker. Der jüngste Abgang: Technik-Chef Richard Green hat sich wegen Differenzen über die Strategie beurlauben lassen.
Microsoft, Samsung, Huawei?
Vor diesem Hintergrund finden auch unwahrscheinliche Gerüchte Gehör. Vergangene Woche berichtete eine bis dahin unbekannte Web-Seite, dass Microsoft die Finnen für 19 Mrd. Dollar schlucken wolle. , und der neue Vorstandschef Stephen Elop bekräftige nun, dass die Spekulationen "unbegründet" seien und das Unternehmen nicht zum Verkauf stünde.

Nokia-Chef Stephen Elop bei einer Veranstaltung im Februar 2011: Microsoft-Chef Steve Ballmer (rechts) hat wohl kein Interesse an einer Übernahme.
(Foto: Reuters)
Die wilden Gerüchte fielen auch wegen der engen Beziehungen zwischen den Finnen und den US-Amerikanern auf fruchtbaren Boden: Nokia arbeitet seit einigen Monaten mit Microsoft zusammen und übernimmt das Handy-Betriebssystem des US-Softwarekonzerns für seine eigenen Telefone. Zudem hatte Elop zuletzt bei Microsoft gearbeitet.
Eine Übernahme würde Microsoft aber kaum helfen, da das Unternehmen seine Geschäfte mit Handysoftware ausbauen wolle, sagte ein Banker. Dafür müssen die Amerikaner nicht die Produktion der Telefone übernehmen. Als eventuellen Interessenten nennen Experten deshalb auch Samsung. Der südkoreanische Konzern verlässt sich bei seinen Handys allerdings auf das mit Nokia konkurrierende Betriebssystem Android von Google. Zudem ist Samsung nicht für dafür bekannt, über Akquisitionen zu wachsen, erläuterte der Banker. "Eine Übernahme würde für Samsung keinen Wert haben", ergänzte Canalys-Experte Pete Cunnigham.
Günstiger Schlüssel zum Weltmarkt?
Nokia könnte aber nach Ansicht von Analysten für kleinere Handy-Hersteller aus China interessant sein, die sich mit dem Unternehmen über Nacht eine globale Marktpräsenz erkaufen könnten. So poliert der chinesische Nokia-Rivale Huawei derzeit mit viel Geld seine Marke auf und stellt seine Smartphones sogar auf Modeschauen in Mailand aus.
Es wäre nicht das erste Mal, dass Investoren aus dem Reich der Mitte einstige Vorzeigeunternehmen aus den USA oder Europa, die mittlerweile abgewirtschaftet sind, wieder reanimieren wollen. Prominente Bespiele sind die Notebook-Sparte von IBM oder der schwedische Autohersteller Volvo, die beide nach China verkauft wurden.
Quelle: ntv.de, Victoria Howley, Tarmo Virki, rts