Wirtschaft

Wählen in Krisenzeiten Wie pfundig sind die Briten?

Die Parlamentswahl in Großbritannien findet in schweren Zeiten statt. Die Aussichten für die britische Wirtschaft sind nicht rosig. Das Haushaltsdefizit hat griechische Dimensionen. Insbesondere die Aussicht auf ein Patt im britischen Parlament verunsichert die Märkte. Sie befürchten, dass eine schwache Regierung nicht in der Lage ist, das Finanzloch zu stopfen. Trost ist den Briten in diesen Zeiten die eigene Währung. n-tv.de fragt Helaba-Chefvolkswirtin Gertrud Traud, was die Wirtschaft sich von der neuen Regierung erhofft.

Die neue Regierung muss als erstes das ausufernde Staatsdefizit wieder unter Kontrolle bringen.

Die neue Regierung muss als erstes das ausufernde Staatsdefizit wieder unter Kontrolle bringen.

(Foto: REUTERS)

n-tv.de: Großbritannien und Griechenland, beide geben sich nicht viel, wenn es um das Haushaltsdefizit geht. Während der Euro aber immer tiefer fällt, hält sich das Pfund, nachdem es auch schwer unter Druck geraten war, im Moment stabil. Ist das Pfund doch stärker als gedacht oder ist der Grund vor allem in der Schwäche des Euro zu sehen?

Gertrud Traud: Das Britische Pfund profitierte zuletzt vor allem von der Schwäche des Euro. Im Februar / März verlief die Kursentwicklung jedoch anders. Da wertete die britische Währung im Sog der griechischen Probleme sogar gegenüber dem Euro noch ab. Mittlerweile glaubt der Markt offensichtlich, dass Großbritannien seine Schulden besser in den Griff bekommt. Schließlich verläuft die britische Konjunktur freundlicher als in Griechenland.

Die britische Industrie schwächelt seit Jahren. Selbst im jüngsten Boom ist die Industrieproduktion gesunken. Wo sehen Sie den wichtigsten Reformbedarf, um die Realwirtschaft wieder wettbewerbsfähiger zu gestalten?

Es gibt durchaus Anzeichen einer Erholung in der britischen Industrie. Nach Umfragen ist der Optimismus so groß wie seit 1994 nicht mehr. Ein Grund hierfür ist sicherlich auch die Abwertung des Pfunds. Die britische Währung war über viele Jahre tendenziell überbewertet, was die Industrie belastete. Seit dem Kurssturz im Jahr 2008 ist das Pfund vor allem gegenüber dem Euro unterbewertet. Dies wird zu einer Erholung der britischen Industrie beitragen. Die Abwertung dürfte auch Mängel ausgleichen können, die in einer Phase der Vernachlässigung der Industrie entstanden sind. Staatliche Maßnahmen für eine Reindustrialisierung sind der Praxis schwer durchzuführen, vor allem in Zeiten knapper Kassen. Grundsätzlich bleibt für die britische Wirtschaft der Dienstleistungssektor, insbesondere der Finanzbereich, eine maßgebliche Einflussgröße.

Die Aussichten auf ein Patt im Parlament verunsichern die Märkte.

Die Aussichten auf ein Patt im Parlament verunsichern die Märkte.

(Foto: REUTERS)

Wo steht Großbritannien auf der europäischen Problemskala?

Großbritannien hat zwar ein großes Problem mit dem Haushaltsdefizit. Die Staatsverschuldung hingegen lag vor der Krise auf relativ niedrigem Niveau und ist deshalb nicht so dramatisch wie in einigen Ländern der Eurozone. Im Gegensatz zu letzteren verfügt Großbritannien über das Instrument einer eigenen Währung. Mit der bereits erfolgten Abwertung kann das Land seine Wettbewerbsfähigkeit wieder herstellen. Das britische Leistungsbilanzdefizit ist bereits deutlich geschrumpft und könnte sich sogar in einen Überschuss umkehren. Dies ist Hauptunterschied zu den Krisenländern der Eurozone, die alle hohe Leistungsbilanzdefizite aufweisen. Dennoch birgt das Haushaltsdefizit Risiken, weshalb die neue Regierung dieses Problem resolut angehen sollte.

Der Wahlausgang bleibt bis zur letzten Minute ungewiss. Eigentlich ist er auch fast egal, da sie Parteien, die gegeneinander antreten, sich in einem Punkt einig sein müssen: jede von ihnen – kommt sie an die Macht – muss versuchen, die Wirtschaft schnell zu stabilisieren. Gleichzeitig muss der Staatshaushalt konsolidiert werden. Was wünscht sich die Wirtschaft speziell von der neuen Regierung?

Die neue britische Regierung steht vor dem Spagat, den Staatshaushalt zu konsolidieren und gleichzeitig die Konjunkturerholung nicht abzuwürgen. Dabei scheint aus Sicht der Wirtschaft die Rückkehr auf einen nachhaltigen Pfad für die öffentlichen Finanzen im Fokus zu stehen. Auch eine Stärkung des angeschlagenen Bankensystems sowie eine Reform der Unternehmenssteuern sind auf dem Wunschzettel der Wirtschaft.

Und wer dürfte diese Hoffnungen der Wirtschaft erfüllen?

Die Wirtschaft erwartet wohl einen klaren, tatkräftigen und nachhaltigen Kursschwenk in Richtung Haushaltskonsolidierung. Tendenziell unterstützt die Wirtschaft eher die Konservativen, die auch den Anschein machen, eine aggressivere Austeritätspolitik zu realisieren. Zwar dürfte auch die Liberaldemokraten keine wirtschaftsunfreundliche Politik betreiben. Allerdings bevorzugt wohl auch die Wirtschaft eine Regierung mit einer klaren Mehrheit, was dann wohl für die stärkere Partei, die Tories, spricht.

Warum fürchtet die Wirtschaft ein Patt und damit eine Koalition?

Koalitionsregierungen sind in Großbritannien nahezu unbekannt, sie kamen in der Nachkriegszeit im Prinzip nicht vor. Daher fehlt die Erfahrung mit einer solchen Regierung. Deshalb besteht die Sorge, dass eine Koalitionsregierung nicht die notwendigen einschneidenden Maßnahmen ergreifen wird. Aus kontinentaleuropäischer Sicht kann man dies etwas gelassener sehen, denn man hat die Erfahrung, dass auch Koalitionen eine handlungsfähige Regierungsform darstellen, wobei letzteres natürlich nicht zwangsläufig ist.

Von den Staaten, die die Rating-Topnote "AAA" haben, ist Großbritannien am stärksten von der Finanzkrise betroffen. Wird London auch noch die Macht der Rating-Agenturen zu spüren bekommen?

Gertrud Traud, Chefvolkswirtin Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba)

Gertrud Traud, Chefvolkswirtin Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba)

Die Ratingagenturen haben Großbritannien das AAA-Rating mit dem Verweis auf eine neue Regierung belassen. Sie erwarten, dass das Land unter einer neuen Regierung den Staatshaushalt spürbar konsolidiert. Sollten die Maßnahmen aus Sicht der Agenturen nicht ausreichen, droht tatsächlich die Ratingabstufung. Die neue Regierung steht damit unter Druck, die öffentlichen Finanzen zügig zu sanieren. Aber selbst ein Verlust des AAA-Ratings wäre kein dramatischer Schritt. Schließlich haben in der Vergangenheit auch andere Industrieländer eine Abstufung verkraftet und später die Topnote wieder erhalten.

Großbritannien ist zum Sparen gezwungen. Wenn man das mit einer lockeren Geldpolitik kombiniert, verliert die Währung an Wert. Inwieweit ist es für Großbritannien ein Vorteil, über eine eigene Währung zu verfügen, die abwerten kann?

Eine eigene Währung ermöglicht, mit einer Abwertung die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft zu verbessern. Mit ihrer sehr expansiven Geldpolitik unterstützte die Bank of England spürbar die Vergünstigung des Außenwerts. In der Theorie führt eine Haushaltskonsolidierung zusammen mit einer lockeren Geldpolitik zu einer Abwertung der Währung. Allerdings dürfte in diesem Fall das britische Pfund von einer Sparpolitik eher profitieren, da derzeit an den Devisenmärkten die Staatsverschuldung ein erheblicher Belastungsfaktor ist.

Wo wird das Pfund Ende des Jahres stehen?

Die per saldo verhaltene Aufwertung des Pfunds gegenüber dem Euro dürfte im Jahresverlauf anhalten. Zum einen kann eine glaubwürdige Haushaltskonsolidierung Sorgen mildern, die derzeit noch auf dem Pfund lasten. Zum anderen steht die britische Wirtschaft nicht schlechter als die der Eurozone dar. Eine geldpolitische Wende ist zwar in Großbritannien vorerst nicht absehbar. Allerdings wächst angesichts der Probleme in der Eurozone die Wahrscheinlichkeit, dass auf die mittlere Sicht die Bank of England sogar vor der EZB mit Zinserhöhungen beginnt. Der Euro-Pfund-Kurs dürfte bis zum Jahresende auf 0,83 fallen.

Die Fragen stellte Diana Dittmer

Quelle: ntv.de

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