Radikaler Umbau bei ThyssenKrupp Wulff sagt Werksbesuch in Rio ab
07.05.2011, 10:50 Uhr
Liebt keine Überraschungen dieser Art: Bundespräsident Christian Wulff.
Die Auswirkungen des von ThyssenKrupp angekündigten Konzernumbaus sind bis nach Brasilien zu spüren. Bundespräsident Wulff wird in São Paulo von der Nachricht aus Essen überrascht und reagiert prompt mit einer Verkürzung seines Reiseprogramms.
Bundespräsident Christian Wulff hat einen für Samstag geplanten Besuch des neuen ThyssenKrupp-Stahlwerks in Rio de Janeiro abgesagt. Er begründete dies am Freitagabend (Ortszeit) in São Paulo mit den "kurzfristig angekündigten umfangreichen Umstrukturierungen im ThyssenKrupp-Konzern mit noch nicht absehbaren Auswirkungen". Auch ThyssenKrupps neuer Konzernchef Heinrich Hiesinger war zum Besuch des Staatsoberhauptes in Rio erwartet worden.
Bei ThyssenKrupp wurde die Absage des Besuchs des Bundespräsidenten zurückhaltend kommentiert. "Wir bedauern das", sagte ein Konzernsprecher in Essen. Der geplante Besuch von Konzernchef Hiesinger werde trotzdem wie geplant stattfinden. Weiter wollte sich der Sprecher nicht äußern.
Nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa sagte Wulff die letzte Station seiner rund einwöchigen Lateinamerika-Reise auch deshalb ab, weil er von ThyssenKrupp nicht vorab über die einschneidenden Maßnahmen informiert worden war. Deutschlands größter Stahlkonzern will sich durch den Umbau von fast einem Viertel seines Umsatzes und rund 35.000 seiner weltweit 177.000 Mitarbeiter trennen. Dies wäre auch unweigerlich zum Thema geworden bei Wulffs Besuch in dem Stahlwerk, das mit deutlich über fünf Mrd. Euro die größte Investition in der Konzerngeschichte von ThyssenKrupp ist.

Erfolgreiche Lateinamerika-Reise: Ein Junge hält stolz ein Bild mit Autogramm des Bundespräsidenten in die Kamera.
Selbst langjährige Begleiter von Bundespräsidenten auf Reisen können sich nicht daran erinnern, dass ein mit so großem Aufwand geplanter Besuchstermin aus innenpolitischen Gründen vom Staatsoberhaupt gekippt wird. Fotos oder TV-Mitschnitte mit dem Bundespräsidenten, der sich fröhlich den Betrieb in Brasilien anschaut, während in Deutschland Tausende Beschäftigte des Konzerns um ihren Arbeitsplatz fürchten, waren für Wulff jedoch schlicht ein Unding. Auf das diskret übermittelte Angebot der Konzernspitze, die Visite ihrerseits abzusagen, ging der Bundespräsident nicht ein und entschied selbst, den Besuch abzusagen.
Betriebsrat erfreut
Beim Konzernbetriebsrat von ThyssenKrupp kam das Signal, das Christian Wulff sendete, gut an. Der Konzernbetriebsrats-Vorsitzende Thomas Schlenz sagte, zwar sei er von dem Schritt "etwas überrascht"gewesen, "weil es sich ja nicht um Personalabbau handelt, sondern um Verkäufe und Umstrukturierung". Doch finde er "gut, dass Politik sich Sorgen macht um unsere Arbeitsplätze".
Schlenz fügte hinzu: "Das soll auch ein Ansporn sein für ThyssenKrupp in den laufenden Gesprächen mit den Arbeitnehmer-Vertretern, ein Sicherheitspaket mit uns zu vereinbaren." Bei Verkäufen forderte Schlenz Arbeitsplatz-Sicherheit.
Wulff sollte Wogen glätten
Das Werk geriet seit der Eröffnung im Sommer 2010 wegen zweier Umweltverstöße in die Schlagzeilen und wurde mit Millionen-Strafen belegt. Zudem waren die Investitionskosten während des Baus völlig aus dem Ruder gelaufen. Der Besuch Wulffs sollte helfen, die Mega-Investition zum Erfolg zu führen.Wulff hatte in den Tagen seines Brasilien-Besuchs wiederholt das Werk an der Sepetiba-Atlantikbucht als Vorzeige-Projekt gepriesen. In dem ThyssenKrupp-Werk rund 80 Kilometer westlich von Rio de Janeiro sollen jährlich fünf Mio. Tonnen Stahl fürs Exportgeschäft produziert werden.
Rio wäre die letzte Station der Lateinamerika-Reise des Bundespräsidenten gewesen. Die Abreise von Wulff und seiner Frau Bettina verschob sich allerdings um einige Stunden, das Paar musste den Linienflug von Brasilien zurück nach Berlin nehmen. Grund sind technische Probleme am Regierungsflieger. An der Maschine, die Mitte dieses Monats außer Dienst gestellt werden soll, sei ein Kühl-Aggregat defekt, hieß es. Es werde nun ein entsprechendes Ersatzteil für den Airbus A310 aus Deutschland eingeflogen. Die Delegation des Präsidenten wird wegen der Panne voraussichtlich erst am Sonntag zurück nach Deutschland fliegen
Zuvor hatte der Bundespräsident Mexiko und Costa Rica besucht. In Brasilía vereinbarte er mit Präsidentin Dilma Rousseff eine engere Zusammenarbeit in Energiefragen. Die brasilianische Staatschefin lud zudem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu einem Besuch nach Brasilien ein.
Quelle: ntv.de, sla/dpa