Rating-Agenturen Rate sich, wer kann
16.02.2009, 15:36 UhrVon den Experten der Zertifikatewoche
Rating-Agenturen für Zertifikate gibt es noch nicht lange. Erstmals hat eine Studie die wissenschaftlichen Standards unter die Lupe genommen.
Mittlerweile gibt es drei Rating-Agenturen für Zertifikate. Die potenziell vierte im Bunde lässt auf sich warten. Eine Studie stellt den dreien, die schon am Markt sind, ein gutes Zeugnis aus. „Gut“ und „sehr gut“ gab es für die wissenschaftlichen Standards, nach denen European Derivatives Group (EDG), das Institut für ZertifikateAnalyse (IZA ) und Scope vorgehen.
„Wir waren angetan von dem, was wir hier an Transparenz vorgefunden haben“, sagte Prof. Sigrid Müller vom Institut für Finanzierung an der Berliner Humboldt-Universität, die die Studie im Auftrag des Deutschen Derivate Verbandes angefertigt hatte. Die Daten der Agenturen seien „auf einem sehr guten“ wissenschaftlichen Niveau.
Eins haben alle Ratings gemeinsam: Sie können dem Anleger dabei helfen, Produkte auszuschließen. Sie sind aber kein Prognose-Instrument. Informationen für die Gegenwart würden vom Ist-Zustand abgeleitet, betont Müller. Für die Zukunft müsse mit Wahrscheinlichkeiten gearbeitet werden. Der geschäftsführende Vorstand des Deutschen Derivate Verbandes (DDV) Hartmut Knüppel sagte: „Es gibt kein Instrument, das man mit drei Klicks fürs Investment nutzen kann.“ Auf die Frage, inwiefern die wissenschaftlichen Gesetze nach dem 15. September noch anwendbar seien, sagte Müller: „Die Finanzmarktkrise ist eine ziemliche Herausforderung.“ Das gelte auch für die Rating-Agenturen. Es gebe bisher noch kein eindeutiges Risikomaß.
Der DDV hatte die Studie in Auftrag gegeben, weil beim Thema Rating-Agenturen offenbar „noch viele Fragen“ offen seien. Das sei kein Altruismus, betont Knüppel: „Nur, wenn sich Anleger gut und fair beraten fühlen, werden sie sich diesen Finanzinstrumenten zuwenden.“ Allerdings geht die Studie mehr auf den wissenschaftlichen Hintergrund als auf die praktische Anwendbarkeit ein. „Die Studie hat das, was sie analysiert hat, richtig analysiert“, sagt IZA-Leiter Florian Roebbeling. Leider komme zu kurz, für welche Gruppe, welches Rating unter welchen Umständen in Frage komme. Dafür ist die Studie umso gründlicher, wenn es um die Methodik geht. „Die wissenschaftliche Fundierung bei EDG ist ambitiöser“, sagte Müller. Die Zertifikate würden dort alle 14 Tage geratet. Außerdem würden nur von der EDG die Kosten durch finanzmathematische Nachbewertungen überprüft. EDG überprüfe die eigenen Ratings noch einmal anhand von Backtests. Scope bewerte die Zertifikate täglich und habe deswegen einen simpleren Ansatz. Daher könne Scope komplexe Zertifikate nicht vollständig abbilden. Außerdem erfasse Scope keine Events, also außergewöhnliche Ereignisse. Das IZA ratet nur Neuemissionen und verwendet für den quantitativen Teil der Beurteilungen EDG-Bewertungen.
Bei der Bewertung der Emittentenbonität gibt es laut Studie unterschiedliche Herangehensweisen. Bei der EDG wird die Bonität zu gleichen Teilen aus zwei Komponenten ermittelt: Einmal aus den Credit Default Swaps (CDS), also dem handelbar gemachten Kreditausfallsrisiko. Je höher die Preise oder Spreads für die CDS sind, umso mehr geht der Markt davon aus, dass ein Kreditrisiko besteht. Bei Banken, auf die keine CDS gehandelt werden, werde das Risiko aufgrund von statistischen Daten geschätzt, erläutert die Wissenschaftlerin. Die andere Hälfte beruhe auf einer statistischen Analyse von Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch. Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch sind auch Rating-Agenturen, die allerdings die Bonität von Banken bewerten. Seit der Lehman-Pleite stehen sie in der Kritik, weil sie der Bank noch kurz vor der Insolvenz gute Noten gegeben hatten. Die Preise für die CDS waren dagegen schon stark gestiegen. Die Politik fordert für diese Rating-Agenturen deswegen stärkere Kontrollen. Die Bank-Rating-Agenturen werden auch von Scope für die Bewertung der Emittentenbonität genutzt. Das Ausfallsrisiko wird laut der Studie zudem anhand von eigenen Berechnungen, in die die CDS mit einfließen, ermittelt.
Die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SDK) hatte sich in ihrem „Schwarzbuch der Börse“ für 2008 auch dem Thema Rating-Agenturen gewidmet, dabei allerdings von den drei bestehenden nur die EDG berücksichtigt. Der Hauptvorwurf der SDK ist, dass die EDG von Emittenten finanziert wird und deswegen eine Abhängigkeit entstehe. Mangelnde Neutralität hat Müller bei ihrer Studie nicht feststellen können. „Bei EDG wird vorzüglich dokumentiert, wie sie vorgehen.“ Das sei der Vorteil des quantitativen Ansatzes. Zudem gebe es ein Kontrollgremium. DDV-Geschäftsführer Lars Brandau betont: „Die Anleger möchten umfassend beraten werden, sind aber nicht bereit, für diese Dienstleistung zu bezahlen.“
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Quelle: ntv.de