Inside Wall Street Bullen im Reich der Träume
08.02.2012, 07:55 Uhr
(Foto: REUTERS)
Die Optimisten auf dem US-Börsenparkett kann dieser Tage nichts aufhalten. Trotz einer ganzen Reihe ungelöster Probleme etwa in Griechenland oder bei der heimischen Konjunktur schießen die Kurse steil nach oben. Anscheinend geht es nur um die richtige Lesart von Hiobsbotschaften.
Vielleicht ist es der Triumph der New York Giants beim Super Bowl, vielleicht sind es die frühlingshaften Temperaturen. Vielleicht hat der absurde Vorwahlkampf der Börse den Kopf verdreht, vielleicht sind Pilze im Spiel … klar ist: Die Wall Street ist in ein Reich der Träume gefallen, in dem alle Pfeile grün sind und die Kurse ewig steigen. Das ist auf kurze Sicht schön, langfristig aber gefährlich.
Ein Traumstart ins neue Jahr hat den Dow Jones nahe an die Marke von 13.000 Punkten herangeführt. Seit der letzten Senke im Oktober haben die Blue Chips damit um mehr als 25 Prozent zugelegt, seit dem Tiefstand vor drei Jahren hat sich der breite Markt im Wert mehr als verdoppelt – wer hoch klettert, kann tief fallen. Und zurzeit gibt es durchaus Probleme, die den Markt zum Fallen bringen könnten.
Wen kümmert Griechenland?
Da wäre zunächst die Krise in Europa, die zwar nicht neu ist, sich aber auch nicht verbessert. In Griechenland geht es auf und ab. Auf schlechte Nachrichten folgt regelmäßig die Aussicht auf einen Kompromiss der Regierung, auf eine Stabilisierung – bisher war alles immer nur von kurzer Dauer. Zwei Monate vor den Wahlen raufen sich die Parteien in Athen zurzeit wieder zusammen, doch die wahren Erfolgsaussichten sind schwer einzuschätzen.
Der Wall Street ist das egal. Hier überschlagen sich die Experten mit beruhigenden Floskeln. Da mag von einem Staatsbankrott in Griechenland die Rede sein, doch ein solches Szenario sei in die Märkte eingepreist, glauben Analysten. Das muss einen schon stutzig machen. Die Blue Chips stehen auf einem Drei-Jahres-Hoch – wo ist da ein Staatsbankrott eingepreist? Anders gefragt: Wo stünde der Dow, wenn es in Europa keine Krise gäbe: bei 15.000 Punkten? Bei 20.000 Punkten? Der Phantasie sind offensichtlich keine Grenzen gesetzt.
Skepsis gibt zusätzlich Zunder
Ähnlich selbstsicher setzen sich die US-amerikanischen Bullen auch bei der Betrachtung der eigenen Konjunktur durch. Bestes Beispiel: die jüngste Rede von Ben Bernanke vor dem Senat. Der Notenbank-Chef gab sich in seinen Statements und Antworten recht vorsichtig. Vier Tage nach einem unerwartet starken Arbeitsmarktbericht, in dem unter anderem die Arbeitslosenquote auf den niedrigsten Stand in fast drei Jahren fiel, warnt "Big Ben" vor Euphorie. Der Arbeitsmarkt habe noch einen langen Weg vor sich, sagt er, und: Es dürfte noch mindestens zwei oder drei Jahre dauern, bis sich die Situation am Job-Markt nachhaltig erholt habe.
Das sind keine Worte, auf die eine Rallye folgt - es sei denn, die Bullen sind am Werk. Ben Bernanke habe in seiner Rede weitere unterstützende Maßnahmen der Fed für die Konjunktur nicht ausgeschlossen, feiert man auf dem Handelsparkett. Interessanterweise hat Bernanke aber auch keine unterstützenden Maßnahmen angekündigt. Lässt allein die Tatsache, dass der Notenbanker skeptisch auf den Arbeitsmarkt blickt, die Börse auf weiteren Stimulus hoffen? Und was wäre passiert, wenn sich Bernanke positiver gegeben hätte? Dann wären die Kurse vermutlich noch deutlicher gestiegen.
Ob In- oder Ausland, Politik oder Wirtschaft, für die Börse gibt es zurzeit nur einen Weg, jede einzelne Nachricht zu lesen: mit einer positiven Interpretation. Das gab es schon oft, und stets führte zu viel Optimismus ins Unglück. Die dramatischen Gewinne an der Wall Street sind angesichts des aktuellen globalen Umfelds nicht zu rechtfertigen. Man darf durchaus davon ausgehen, dass eine Korrektur Anleger bald wieder auf den Boden der Tatsachen zurückführen wird. Nur wann, das liegt in der Hand der Anleger. Und die wollen im Moment den Bullen nicht an die Leine nehmen.
Quelle: ntv.de