Kolumnen

Per Saldo - Die Wirtschaftskolumne Stuttgart liegt nicht in Frankreich

Die Drohung klang verheißungsvoll: "Wir werden uns gegen eine Übernahme durch VW wehren – mit allen uns möglichen Mitteln", kündigte Porsche-Betriebsratschef Uwe Hück noch vor wenigen Tagen an. Und schon ging die Fantasie auf Wanderschaft: Würden die Porsche-aner (sprich: Porschianer) mit den von ihnen gebauten Luxus-Autos einen Blockadering um das Stammwerk Zuffenhausen errichten? Ein paar Reifen anzünden? Oder gar nach französischem Vorbild Wendelin Wiedeking samt seines Finanzchefs Holger Härter, oder besser noch VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piech, in ihren Büros einschließen? Nicht ganz.

Große Worte zum Abschied: Uwe Hück (re) preist Wendelin Wiedeking (li hinten)

Große Worte zum Abschied: Uwe Hück (re) preist Wendelin Wiedeking (li hinten)

(Foto: dpa)

In einer emotionalen Rede begrüßte Hück stattdessen die Einigung mit VW. "Der Streit muss jetzt aufhören", beschwor der Kraftsportler und Thai-Boxer mit geballter Faust vor 5.000 versammelten Porsche-Mitarbeitern. Die Kapitalerhöhung der Familie Porsche und der Einstieg des Golfemirates Katar als Investor seien gute Nachrichten für den Stuttgarter Sportwagenbauer, betonte der Betriebsratschef. Und das wichtigste von allen: "Porsche bleibt Porsche." Das hatte Hück schließlich nicht zuletzt bei der Beerdigung des früheren Unternehmenschefs Ferry Porsche vor elf Jahren zu seinem Kampfziel gemacht. Als Rest des einstigen Kampfgeistes ein letzter trotziger Kommentar in Richtung Volkswagen und insbesondere VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piech: "Das war unanständig." Ein wilder Arbeitskampf sieht irgendwie anders aus, möchte man da einwenden.

Auch Porsche-Miteigentümer Wolfgang Porsche wollte nicht von Niederlagen sprechen, sondern beschwor lieber den Gemeinschaftssinn: "Der Mythos Porsche lebt und wird nie untergehen", erklärte der 66-Jährige tief bewegt. Wendelin Wiedeking und Holger Härten hätten "wie die Löwen" für ihr Zukunftskonzept mit Kapitalerhöhung und Investoreinstieg gekämpft und sich schließlich durchgesetzt. Uwe Hück fand raue, aber herzliche Worte für seinen ehemaligen Chef: "Es war nicht immer einfach mit Herrn Wiedeking", erzählte der 47-jährige mit hochrotem Kopf und teilweise überkippender Stimme. Wiedeking habe meist die betriebswirtschaftliche Seite durchgefochten, während es ihm selbst um das Soziale gegangen sei. "Aber Herr Wiedeking, wie auch der Herr Härter sind 'Porschianer' – wie wir alle."

Eine große Familie

Porschianer, wie wir alle? Wo ist die Wut darüber, dass sich Herr Wiedeking und Herr Härter wie die Hedgefonds gebärdet haben und zeitweise mehr mit Finanzgeschäften als mit der Autoproduktion beschäftigt waren? Wo ist der Zorn darüber, dass sie sich derart überschätzt haben, als sie glaubten, die ungleich größeren Wolfsburger schlucken können? Die Erklärung für den fehlenden Ärger liegt vermutlich genau in diesem Satz: "Wir alle sind Porschianer." Wer bei Porsche arbeitet, arbeitet für die Familie. Alle 12.000 Beschäftigten wollen offenbar nichts anderes als Autos bauen, "von denen Millionen Menschen weltweit träumen". In einem ausgerechnet am Donnerstag erschienenen Cicero-Interview verriet Wendelin Wiedeking, was sein täglicher Antrieb ist: Die hoch motivierten Mitarbeiter, die auch in schwierigen Zeiten wie ein Mann hinter ihm stehen. Eine ungewöhnliche Situation für einen Weltkonzern, noch ungewöhnlicher in Zeiten der Finanzkrise, in der das Feindbild Manager ganz neue Qualitäten erreicht hat. Doch davon will man bei Porsche nichts wissen: Mit Applaus und "Wendelin"-Rufen wurde der Boss verabschiedet.

Auch Wendelin Wiedeking selbst verwischte immer wieder das öffentliche Bild des skrupellosen Investors, der sich an einem zu großen Happen verschluckt hat. Obwohl ein unbestrittener Machtmensch habe sich jeder Wiedeking auch als Chef eines mittelständischen Unternehmens vorstellen können, heißt es in Branchenkreisen. Unzählige Male zitiert wurde sein liebstes Hobby: der Kartoffelanbau auf dem eigenen Acker. Und auch der letzte Handschlag fällt – in Relation zu seiner Arbeitswelt– bescheidener aus, als zunächst angenommen: Statt der kolportierten 250 Mio. Euro Abfindung nimmt Wiedeking 50 Mio. Euro mit. Und spendet die Hälfte davon gleich mal an eine neue gemeinnützige, mildtätige Stiftung in Zuffenhausen zum Wohl aller Porsche-Standorte. Denn Wiedeking will seinen Mitarbeitern etwas zurückgeben: "Ohne Euch wäre ich nichts", sagte er zum Abschied. Medienberichte zufolge sollen neben der Stiftung zudem drei Journalisten-Organisationen insgesamt 1,5 Mio. Euro erhalten, um notleidende Journalisten im Alter zu unterstützen. Eine Geste, die angesichts der jüngsten Medienschelte, die sich zuletzt über Wiedeking ergoss, fast schon sarkastisch wirkt – aber wer weiß: Vielleicht ist sie das gar nicht.

Im Ausland wundert man sich schon lange über die Duldsamkeit der Deutschen in der Krise. Nun haben sie noch mehr Bilder zum Staunen erhalten. Denn selbst die Journaille ließ sich von der traurigen Stimmung einnehmen: "Sogar der Himmel weinte", berichteten Korrespondenten. Vielleicht brauchen wir die Hoffnung auf einen zünftigen Arbeitskampf aber noch nicht ganz aufzugeben: Denn schließlich müssen jetzt VWler und Porschianer miteinander klarkommen. "Clash of Cultures", titelte da schon die "Financial Times Deutschland" freudig. Die streikfreudigen Franzosen hätten da noch ein paar Ideen für uns.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen