
In dieser beispiellosen Krise muss der Staat Millionen Menschen Geld schenken. Sonst kommen sie nicht wieder auf die Beine.
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Mit milliardenschweren Hilfspaketen stemmt sich die Regierung gegen den Corona-Crash. Doch die Programme sind bürokratisch, reichen nicht aus und schaffen kein Vertrauen. Was die Wirtschaft jetzt braucht, ist Geld für alle, und zwar umsonst.
Die deutsche Politik hat in den vergangenen Wochen eine historische Höchstleistung vollbracht. Im Eiltempo haben Regierung und Opposition einen beispiellosen Corona-Schutzschild über die deutsche Wirtschaft gespannt. Beschlossen wurden ein Rettungsfonds für Großkonzerne, Milliardenhilfen für Familien und Angestellte, unbegrenzte Staatskredite für Firmen sowie Soforthilfen für Selbstständige und Kleinstunternehmen. Im Ausnahmezustand ist Deutschland gelungen, woran es oft gescheitert ist: Politiker aller Parteien haben sich zusammengerauft und entschlossen reagiert.
Doch auf den milliardenschweren Beschlüssen dürfen sie sich jetzt nicht ausruhen. Das größte Hilfspaket der deutschen Geschichte greift immer noch zu kurz. Mit Überbrückungskrediten, Bürgschaften und Steuerstundungen allein lässt sich diese Krise nicht bewältigen. Je weiter sie voranschreitet, desto klarer wird: Der Staat muss Millionen Menschen Geld schenken, damit sie wieder auf die Beine kommen. Daran führt kein Weg vorbei.
Am deutlichsten zeigt sich das an den Zuschüssen für Selbstständige und Kleinstunternehmen, die momentan ums nackte Überleben kämpfen. Wer wie viel bekommt und wofür, hängt davon ab, wo er wohnt. Bund und Länder haben einen bürokratischen Flickenteppich geschaffen: Bundesweit einheitliche Soforthilfen gibt es nur für Betriebskosten. Wer kein Büro bezahlt, einen Laden mietet oder einen Dienstwagen finanziert, geht leer aus. Hunderttausende Freiberufler, deren Einnahmen trotzdem wegbrechen, fallen womöglich durchs Raster. Und wenn es, wie etwa in Berlin, Soforthilfen auch für Umsatzausfälle gibt, sind die Ansprüche schwammig definiert. Es drohen böse Überraschungen, der Staat behält sich vor, das Geld nachträglich zurückzufordern. Und versteuern muss man es natürlich auch.
Bezahlen muss der Staat sowieso
Viel einfacher wäre es, der Staat würde sich die teure Verwaltung sparen - und einfach gleich ein bedingungsloses Grundeinkommen einführen. Oder Schecks verschicken. So macht es derzeit die US-Regierung: Jeder Amerikaner, der weniger als 99.000 Dollar verdient, bekommt in den nächsten Wochen vom Finanzamt maximal 1200 Dollar überwiesen. Automatisch. Auch in Deutschland wäre das kein Problem. Wenn jeder, der hierzulande weniger als 100.000 Euro verdient, vom Staat 1000 Euro geschenkt bekäme, würde das rund 38,5 Milliarden Euro kosten. Das wäre nicht unbedingt teurer als die bisherigen Rettungspakete: Allein für Großkonzerne hat die Regierung einen Rettungsfonds von 600 Milliarden Euro aufgelegt.
Klar: Es widerspricht dem wirtschaftlichen und politischen Bauchgefühl, wenn der Staat einfach Geld verschenkt. Denn dann bekommen es auch die, die es vielleicht nicht verdient haben oder die es gar nicht brauchen. Aber auf die eine oder andere Art wird er es sowieso ausgeben müssen, um die Wirtschaft zu retten. Die Krisenkosten landen also so oder so bei der Allgemeinheit. Das Helikoptergeld, das der Staat dann verteilen muss, und zwar noch großflächiger, heißt nur anders: Arbeitslosenhilfe.
Selbst die größten Sparfüchse der Union haben begriffen, dass der historische Ausnahmezustand keine Zeit für Haushaltsdisziplin ist. Ihre heilige schwarze Null haben sie mal eben an einem Nachmittag über Bord geworfen - zusammen mit der vermeintlich unantastbaren Schuldenbremse. Wer hätte das gedacht: Die Corona-Pandemie macht möglich, was vorher undenkbar war. Warum dann nicht auch die Idee, dass der Staat seinen Bürgern Geld schenkt?
Es geht nicht nur darum, Millionen Menschen das Einkommen zu sichern, die ohne Schuld in Not geraten sind. Helikoptergeld wäre in der Krise ein entscheidendes, vertrauensbildendes Signal, um die Wirtschaft in Gang zu bringen. Denn wie in der Finanzkrise vor zehn Jahren ist sie aus Angst wie eingefroren: Käufer und Verkäufer trauen sich nicht über den Weg, Rechnungen werden nicht bezahlt, alle halten ihr Geld zusammen, weil niemand weiß, wie viel er in Zukunft noch braucht - oder noch hat. Wie 2008 nach der Lehman-Pleite stecken wir mitten in einer Vertrauenskrise. Mit dem Unterschied: Damals hatte sich nur die Finanzbranche angesteckt. Heute sind weite Teile der Realwirtschaft infiziert.
Und letztlich geht es wie in der Finanzkrise auch bei den Corona-Hilfsprogrammen um Gerechtigkeit: Wer vor der Pandemie bedürftig genug für Hartz IV war, kann weiter auf ein Rundum-Sorglos-Paket vom Staat hoffen. Für Großkonzerne, deren Steuermoral wie die von Superreichen zu wünschen übriglässt, spannt er ebenfalls einen milliardenschweren Rettungsschirm. Aber von Millionen Menschen in der Mittelschicht dazwischen erwartet er, dass sie ihre hart erarbeiteten Rücklagen aufbrauchen oder sich mit staatlichen Notkrediten verschulden, um über die Runden zu kommen - in einer Krise, für die sie nichts können. Da werden sich viele denken: Lieber gehe ich zum Sozialamt. Die Politik hat es in der Hand, das zu verhindern: mit Helikoptergeld für alle.
Anm: In einer früheren Version dieses Kommentars waren die Kosten für ein einmaliges Geschenk von 1000 Euro an jeden Steuerpflichtigen in Deutschland mit weniger als 100.000 Euro Einkommen falsch berechnet worden. Ein solches Geschenk würde 38,5 Mrd. Euro kosten, nicht 385 Mrd. Euro. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.
Quelle: ntv.de