Abend-Lob nach langem Ritt Dax hat's gepackt
03.07.2008, 17:36 UhrNach einer kurzen Phase der Unentschlossenheit hat sich der deutsche Leitindex am Donnerstagnachmittag einen Ruck gegeben und ist über die Nulllinie in den grünen Bereich gesprungen. Einfach war der Tag nicht. Am Ende verlieh aber die Aussicht auf zunächst konstante Zinsen, ein schwächerer Euro sowie der Rückgang des Ölpreises den nötigen Schwung.
Der Dax notierte nach einer langen Talfahrt und einem Hänger am Nachmittag bei Handelsschluss 0,8 Prozent im Plus bei 6.353 Punkten. "Die Marktteilnehmer sind erleichtert, dass EZB-Präsident Jean-Claude Trichet keine schnelle Fortsetzung des Zinserhöhungszyklus angekündigt und sich neutral geäußert hat", erklärte ein Aktienstratege von der Landesbank Berlin.
Wichtig für die Kurserholung war, dass sich an den Rohstoffmärkten nach einer weiteren Rekordjagd eine leichte Entspannung abzeichnete. Der Ölpreis war am Morgen wegen der anhaltenden Dollar-Schwäche und der iranisch-israelischen Spannungen erstmals über 145 Dollar je Fass gestiegen. Am Nachmittag kam er dann aber wieder zurück.
Der Zinsschritt der Europäischen Zentralbank (EZB) war "eingepreist". Die Zentralbanker hoben den Leitzins für die Eurozone wie erwartet auf 4,25 von 4,0 Prozent an. Steigende Zinsen erhöhen die Kreditkosten für Unternehmen. Deshalb sind sie Gift für den Markt. Anlagen in Aktien werden im Vergleich zu Festverzinslichen unattraktiv. Die Zinsängste ließen die Marktteilnehmer auf die Trichet-Aussagen zum weiteren Zinsvorgehen lauschen. Diese wurden so interpretiert, dass sich die EZB nicht auf einen Zinserhöhungspfad und eine weitere Zinserhöhung im laufenden Jahr festgelegt hat. Das gab Auftrieb.
Der US-Arbeitsmarktbericht für Juni sei "nicht ganz so schlimm ausgefallen wie befürchtet ", sagten Händler. Allerdings zeigten die wöchentlichen Erstanträge auf US-Arbeitslosenhilfe ein anderes Bild. Hier war der Anstieg "extrem". Laut US-Arbeitsmarktbericht für Juni ist die Beschäftigung außerhalb der Landwirtschaft um 62.000 Stellen zurückgegangen. Die meisten Flüsterschätzungen hatten sich bereits im Bereich von 80.000 bis 120.000 verlorene Stellen bewegt. Die wöchentlichen Erstanträge auf US-Arbeitslosenhilfe stiegen dafür um 16.000, nachdem lediglich 1.000 Anträge erwartet worden waren. Das gab zumindest zu denken. "Da kommt noch was nach", so ein Händler.
Ins Straucheln geriet der Dax nach dem überraschend schwachen ISM-Index für das Nicht-Verarbeitende US-Gewerbe im Juni. "Die Beschäftigungs-Komponente ist eingebrochen und die Preis-Komponente auf Rekordhoch - das ist nicht gut", sagte ein Händler zu den ISM-Daten. Die Beschäftigung brach im Service-Bereich auf 43,8 nach 48,7 im Vormonat deutlich ein, die Preise sprangen auf 84,5 nach 77,0. Der Gesamtindex fiel unter die wichtige 50er-Marke auf 48,2 anstelle erwarteter 51,0. "Dem Dax rettet heute aber der Kopf, dass die EZB so für so Erleichterung gesorgt hat", sagte ein Händler.
Angesichts der wachsenden Unsicherheit legen sich Anleger verstärkt defensive Werte ins Depot. Sie setzen auf Unternehmen, die auch in konjunkturell schwierigen Zeiten relativ konstante Einnahmen verbuchen. Davon profitierten am Donnerstag unter anderem die Aktien des Dialyse-Spezialisten Fresenius Medical Care (FMC), die mit einem Plus von 3,8 Prozent zweitstärkster Dax-Gewinner waren. Zuvor hatten die Analysten der DZ Bank ihre Kaufempfehlung bestätigt und dies damit begründet, dass die Aktien des Dialyse-Weltmarktführers einen defensiven Charakter besäßen.
Gefragt waren zudem die als wenig konjunkturanfällig geltenden Aktien der Deutschen Telekom, die 1,7 Prozent anstiegen. Merrill Lynch hat die T-Aktie von einer Verkaufsliste genommen. Außerdem zahlt das Unternehmen eine dicke Dividende. Da wollen Anleger dabei sein.
Auf Erholungskurs befanden sich ausnahmeseise einmal viele Finanzwerte. Händler berichteten, vereinzelt deckten Anleger Leerverkäufe ein und nähmen Gewinne mit, was vor allem die zuletzt abgestraften Finanztitel stütze. So drehten beispielsweise Commerzbank und Postbank im Handelsverlauf ins Plus, ebenso wie Deutsche Börse. Commerzbank und Allianz gewannen 3,2 bzw. 2,1 Prozent. Deutsche Börse legten 4,1 Prozent zu. Damit waren sie Dax-Spitzenreiter. Postbank behielten nach einer Achterbahnfahrt ein kleines Plus von 0,3 Prozent.
Deutsche Bank standen im Blick, weil der deutsche Branchenprimus dem belgisch-niederländischen Finanzkonzern Fortis Teile des Firmenkundengeschäfts von ABN Amro abkauft. Der Kaufpreis liegt bei 709 Mio. Euro in bar und damit 300 Mio. Euro unter dem Nettovermögenswert. "Angesichts der Bemühungen um die Postbank und die Citibank ist das eher ein kleiner Fisch", kommentierte ein Börsianer. Der Aktienkurs rappelte sich dennoch 2,4 Prozent hoch.
Zu den größten Verlierern zählten dagegen die Aktien von Hypo Real Estate, die 4,8 Prozent an Wert verloren. Die Rating-Agentur Standard & Poor's (S&P) hatte am Vorabend zahlreiche Bonitätsnoten der Immobilienbank heruntergesetzt. Die Rating-Herabstufung könnte böse Folgen für den Dax-Konzern haben. Das von der Finanzinstitut schwer gebeutelte Unstitut läuft Gefahr, wegen der schwachen Kursentwicklung bei der nächsten Index-Anpassung im September herauszufallen. Seit Juli 2007 hat die Aktie rund zwei Drittel an Wert verloren.
Im MDax gaben Premiere 5,9 Prozent ab. Einem Pressebericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ) zufolge will das Bundeskartellamt verhindern, dass Fernsehberichte über die Fußball-Bundesliga in Zukunft großteils nur noch im Bezahlfernsehen zu sehen sind. Zugleich habe die Behörde ihre Zustimmung zu der zentralen Vermarktung der Fernsehrechte durch die Deutsche Fußball Liga (DFL) und deren neuen Partner Leo Kirch signalisiert.
"Premiere zielt auf noch mehr Exklusivität in der Bundesliga-Berichterstattung ab", sagte ein Börsianer. Der drohende Widerstand der Kartellbehörden sei entsprechend negativ. Die Zustimmung zur zentralen Vermarktung deute indes auf einen baldigen Beginn der Auktion der Fernsehrechte hin.
Im TecDax zogen die Aktien von Singulus 6,0 Prozent an, nachdem der Spezialanlagenbauer schon im ersten Halbjahr die eigene Prognose beim Auftragseingang von Blu-Ray-Maschinen übertroffen hat.
Software AG drehten mit 2,9 Prozent ins Plus. Der Vorstandschef des Softwareunternehmens, Karl-Heinz Streibich, sagte in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", dass die Software AG trotz konjunktureller Probleme auf einem guten Weg sei, die Ziele für 2008 zu erreichen. Diese beinhalteten einen Umsatzanstieg von 24 bis 27 Prozent und eine Marge beim Gewinn vor Zinsen und Steuern von 24 Prozent, kommentierte ein Händler.
Die Aktien der angeschlagenen Mittelstandsbank IKB gaben ein Großteil ihrer frühen Gewinne wieder ab und notierten nach der Vorlage der Geschäftszahlen noch um 4,5 Prozent höher.
Quelle: ntv.de