Inside Wall Street Lauf an der Wall Street
23.05.2009, 18:52 UhrZwischen Finanzkrise, Arbeitslosigkeit und höchst zweifelhaften Quartalszahlen ist manchem an der Wall Street zum Wegrennen zumute. Und rennen durften die Aktien-Experten, Händler, Banker, Analysten.
Zwischen Finanzkrise, Arbeitslosigkeit und höchst zweifelhaften Quartalszahlen ist manchem an der Wall Street immer wieder mal zum Wegrennen zumute. Und rennen konnten die Aktien-Spezialisten, Händler, Banker, Analysten am Dienstag: Die New York Road Runners veranstalteten ihren jährlichen Wall-Street-Lauf - und das auch noch für einen guten Zweck.
Der Laufclub, der auch den berühmten New York Marathon ausrichtet, hatte sich mit der amerikanischen Herzstiftung zusammengeschlossen, um laufend ein wenig Geld einzutreiben - ausgerechnet rund um die Wall Street, wo zur Zeit jeder sein Portemonnaie mit beiden Händen fest umklammert. Mehrere Millionen kamen dennoch zusammen, weil tausende Läufer in den Wochen vor dem Wettkampf gesammelt hatten.
Unter den Läufern/Spendeneintreibern: ich selbst, deutscher n-tv-Korrespondent an der Wall Street und relativ neu über die Mittelstrecke. Als Jugendlicher war ich einmal Leichtathlet, seit einigen Jahren lief sportlich aber nichts mehr. Zumal ein kurzer Hindernislauf über das noch immer recht dicht besiedelte New Yorker Börsenparkett hier kaum zählt.
Ähnlich unerfahren: der Kollege vom französischen Fernsehen, den ich überreden konnte, sich einmal mit mir gemeinsam in Höchstgeschwindigkeit durch das Finanzviertel zu bewegen. In den Stunden vor dem Wettkampf zeigte sich schon deutlich, wie sich der jahrelange Dienst an der New York Stock Exchange auf den Wettkampfgeist auswirkte: Wir versuchten uns - spaßig, aber mit Hochdruck - gegenseitig einzuschüchtern. Auch der Lauf selbst brachte Hiebe und Stiche.
Vor dem Kurs an sich warnte uns ein erfahrener Mitläufer schon kurz vor dem Start. Die holprigen Straßen mit Schlaglöchern, Baustellenstahl und Kopfsteinpflaster in der Altstadt erlaube keinen Blick nach oben. Vielmehr gelte es, die Straße und das Feld im Auge zu behalten. Letzteres vor allem, weil in einem Feld von fast 5000 Läufern und noch mehr parallel antretenden Spaziergängern ein glatter Durchmarsch bis ins Ziel nicht möglich wäre.
Der Mann hatte recht. Schon vor der ersten Kurve auf die Warren Street zeigt sich der Charakter der Finanzhaie, die für ein paar Stunden in Rennkleidung gewechselt haben. Es wird geschubst und gesprungen, viele haben sich viel weiter vorne aufgestellt als ihnen laut der Richtzeit eigentlich zugestanden hätte. Jetzt blockieren sie das Feld, müssen sorgsam umkreist oder notfalls weggeschubst werden.
Nach zwei Minuten erreichen wir Ground Zero. Die Baustelle ist wie ausgestorben, aber das ist sie meistens. Wenigstens ragen seit einigen Wochen ein paar Hochhausstümpfe aus dem Boden, so dass vorbei flanierende New Yorker und Touristen zumindest an eine Zukunft mit dem "Freedom Tower" glauben können.
Nach vier Minuten kreuzen wir den Broadway, nach sieben Minuten passieren wir die Börse, und zwei Blocks später das Hauptquartier von Goldman Sachs. Die Investmentfirma hat sich in den letzten Jahren ebenso verspekuliert wie der Rest der Branche, doch hat man gute Läufer an Bord: In der Mannschaftwertung landet die Bank auf dem dritten Platz, geschlagen nur von Merrill Lynch (!) und den Buchprüfern von KPMG. Deren Konkurrent Deloitte & Touche und die Läufer von J.P. Morgan Chase runden später die Top 5 ab, zu der sich mein französischer Kollege und ich nicht zählen können.
Er schon gar nicht, denn auf halbem Weg - direkt an der Wasserstelle - kommt es zum Crash: Eine Läuferin hat sich übernommen, wie man das auch im Börsengeschehen kennt, und kommt unerwartet zum Stillstand. Mein Kollege bremst und wird von einem nachfolgenden Läufer ins Knie getreten. Er droht für einen Moment, wie ein überschuldeter Fond zu Boden zu gehen, kämpft aber weiter. Ich sehe das ganze übrigens nicht; mein Ehrgeiz lässt micht seit dem Start ein gutes Stück vor ihm laufen.
Das Feld rennt weiter durch das Finanzviertel, und an manch einer Ecke zeigt sich, wer die besten Tricks drauf hat. Trotz der versuchten Absperrung der Laufstrecke, kürzen viele über die sonnigen Vorplätze einiger Bankhäuser ab; gewinnen tut eben nicht, wer am schnellsten läuft, sondern wer am meisten trickst. Am Ende ist es ein 26-Jähriger mit einer Zeit von 15:04 Minuten - über 3 Meilen allerdings, da die ursprüngliche 5000-Meter-Strecke im letzten Moment wegen Bauarbeiten ein wenig gekürzt werden musste.
Ich selbst laufe nach 21:19 Minuten über die Ziellinie, eine persönliche Bestzeit, die mir Platz 474 einbringt. Meinen französischen Kollegen schlage ich um fast 10 Minuten, sein Knie muss wohl sehr weh getan haben. Vielleicht hat aber auch er nur getrickst und sich den Vorfall ausgedacht, um sein Resultat zu entschuldigen. An der Wall Street ist man das Tricksen gewohnt.
Ganz ohne Tricks kann aber die amerikanische Herzstiftung zufrieden sein. Sie hat nicht nur Spenden-Millionen eingenommen, sondern auch fast 1000 Amerikaner bewegt, nach Dienstschluss ein wenig zu laufen. Auch wenn das endgültige Davonlaufen letztlich keinem gelang.
Quelle: ntv.de