"Konjunkturelle Kernschmelze" Öl unter 80 Dollar
11.10.2008, 08:09 UhrDie wachsenden weltweiten Rezessionsängste haben zu einem Ausverkauf am Rohstoffmarkt geführt. Die Preise für Kupfer und Aluminium fielen auf Mehrjahrestiefstände, der Ölpreis notierte mit etwas über 80 Dollar so niedrig wie seit einem Jahr nicht mehr. "Das ist ein sehr, sehr ernüchterndes Bild", sagte Rohstoffstratege Stephen Briggs von der Royal Bank of Scotland (RBS). "Hier gibt es nur ein Thema - die konjunkturelle Kernschmelze." Viele Anleger flohen in Goldanlagen. In Euro gerechnet zog der Preis auf ein Rekordhoch an.
Der Ölpreis fiel am späten Freitagabend zeitweise auf seinen tiefsten Stand seit mehr als einem Jahr. Der Preis für ein Fass (159 Liter) US-Leichtöl verbilligte sich auf 77,38 Dollar - so billig war der Rohstoff seit dem 11. September 2007 nicht mehr. Händler machten dafür Rezessionsängste und weitere Anzeichen für eine weltweit sinkende Nachfrage verantwortlich.
Der Ölpreis hat sich damit innerhalb von drei Monaten beinahe halbiert. Mitte Juli notierte er noch auf einem Rekordhoch von über 147 Dollar. Bei einer außerplanmäßigen Sitzung im November will die Organisation erdölexportierender Länder (Opec) über eine Reduzierung der Produktion beraten.
Der Preis für Kupfer fiel um über neun Prozent auf 4800 Dollar je Tonne. Damit stand der Preis so niedrig wie seit März 2006 nicht mehr. Kupfer wird hauptsächlich in der Bau- und Elektroindustrie benötigt. Volkswirte fürchten, dass im Falle einer Rezession die Nachfrage sinken wird. "Das Problem des Bankensektors schwappt jetzt auf andere Branchen über", erklärte Michael Lewis, Rohstoff-Stratege bei der Deutschen Bank in London. Laut Analysten könnte der Preis bald die Kosten für die Förderung unterschreiten. Durchschnittlichen werden die Kosten für die Förderung einer Kupfer-Tonne auf 3000 bis 4000 Dollar angesetzt.
Der Preis für Aluminium brach um rund fünf Prozent ein und erreichte mit 2230 Dollar das niedrigste Niveau seit Dezember 2005. Aluminium wird vor allem in der Auto- und Verpackungsindustrie benötigt.
Die Weltuntergangsstimmung trieb die Anleger in Gold-Anlagen. "Die Schwäche an den Aktienmärkten in Europa hat den Goldpreis heute über 930 Dollar getrieben", erklärte Peter Fertig, Berater bei Dresdner Kleinwort. "Derzeit dominiert die Angst." In der Spitze verteuerte sich die Feinunze um über zwei Prozent auf 931 Dollar. Bis zum Freitagnachmittag gab der Preis etwas nach, was Händler auf den relativ festen Dollarkurs sowie Gold-Verkäufe in Indien vor den Hindu-Festen zurückführten. Vor allem kleine Mengen von Schmuck und Goldbarren würden verkauft, sagte ein Händler. In Euro notierte der Goldpreis zeitweise mit 685,37 Euro so hoch wie noch nie seit Einführung der Währung am 1.1.1999.
Nachfrage geht zurück
Die reale Wirtschaft der Industriestaaten wird nach Einschätzung der Internationalen Energieagentur (IEA) zunehmend von der Weltfinanzkrise ausgebremst. Die IEA senkte daher ihre Prognose für die weltweite Ölnachfrage auf den schwächsten Wert seit 1993. Die OECD-Staaten werden 2008 demnach im Schnitt 48,1 Mio. Barrel (Fass zu 159 Liter) pro Tag verbrauchen, teilte die IEA mit. Das seien 360.000 Barrel weniger als bisher geschätzt und 2,2 Prozent weniger als im vergangenen Jahr. 2009 werde die Nachfrage der OECD-Staaten auf 47,5 Mio. Fass pro Tag schrumpfen.
In Ostasien, dem Mittleren Osten und Afrika steigt der IEA zufolge der Ölverbrauch dagegen weiter. Die Wirtschaften der Schwellenländer seien für die Finanzkrise weniger anfällig als die der westlichen Staaten. Die weltweite Nachfrage nach Rohöl werde 2008 daher um 0,5 Prozent auf 86,5 Mio. Fass pro Tag steigen. Das seien rund 240.000 Fass weniger als zuletzt erwartet. Im nächsten Jahr werde die Nachfrage nur um 0,8 Prozent auf 87,2 Mio. Barrel zunehmen, also um 440.000 Fass weniger als bisher berechnet.
Die in der Opec organisierten Ölförderstaaten versuchen mit der Kürzung der Produktion den Ölpreis zu stabilisieren. Nach Einschätzung der IEA sank die Opec-Förderung im September um 300.000 auf 32,3 Mio. Fass pro Tag. Für das Gesamtjahr sei daher nur mit einer Zunahme des Opec-Angebotes um täglich 150.000 Barrel zu rechnen. Weil zudem Stürme die Förderung im Golf von Mexiko behinderten, sank das weltweite Angebot im September trotz der Ausdehnung der russischen Produktion um 1,1 Mio. auf 85,6 Mio. Fass pro Tag.
Quelle: ntv.de