Inside Wall Street Wall Street bangt um Existenz
13.03.2009, 18:38 UhrAn der Wall Street geht die Angst um. Nicht vor weiteren Kursverlusten. Nachdem die meisten Indizes von ihren Höchstständen gute 50 Prozent verloren haben, hat man sich an rote Pfeile gewöhnt. Schlimmer ist die Sorge, dass Investoren das Interesse am Markt verloren haben, dass künftig kein Kapital mehr in Aktien fließt und die große Zeit der Börse vorbei ist.
Das könnte durchaus passieren. Zahlreiche Analysten gehen etwa davon aus, dass die Aktienmärkte bald einen Boden finden könnten, dass dann aber keine dramatische Rallye aus dem tiefen Loch führt und gewaltige Kursgewinne ermöglicht. Vielmehr rechnen sie mit einem "L-förmigen Handel" - also einer tiefen Gerade nach unten (die wir bereits gezeichnet haben) und einer langen, stabilen und kerzengeraden Ebene danach.
In einem solchen Umfeld wären durchaus Gewinne möglich, aber nur noch im niedrigen einstelligen Prozentbereicht. Das ist für viele Anleger nicht interessant, denn ähnlich hohe Gewinne lassen sich mit konservativen Anlagen erzielen, die man nicht mit demselben Misstrauen beäugt wie die Wall Street. Wer will schon auf Aktien - und die Meinung von Analysten - setzen, wenn Staatsanleihen ebenso hohe Renditen bringen?
Und höhere Renditen wird die Wall Street unter Umständen nicht mehr verkaufen können. Selbst wenn ein geschickter Trader den breiten Markt deutlich schlägt, wird ihm weniger Kapital zufließen als in den letzten Jahren. Denn die Zeiten, in denen Fonds mit "garantierten Renditen" von bis zu 30 Prozent Werbung machen konnten, sind vorbei - spätestens seit dem Zusammenbruch des Schneeballsystems von Bernie Madoff.
Amerikanische Investoren haben aus dem Zusammenbruch des Marktes, der offensichtlichen Blindheit der Experten - Analysten, Fond-Manager, Medien - und den begleitenden Betrügereien von Madoff und anderen vor allem eines gelernt: Die Investition in Aktien ist ein hochriskantes Spiel, bei dem er ein paar Gewinner gibt - und sehr viele Verlierer.
Das schnelle Aus von Investmentbanken wie Bear Stearns und Lehman Brothers könnte damit nur ein erster Vorgeschmack gewesen sein auf die Pleiten, die der Wall Street noch bevorstehen. Auf dem New Yorker Parkett schlägt sich das nieder: Die Stimmung unter den Händlern ist gedrückt und lässt sich auch durch eine schnelle Rallye um zwölf Prozent nicht anheben. Im Gegenteil: Mit jeder Bärenmarkt-Rallye steigt das Risiko, dass erneut Anleger eingestiegen sind, die bei Panikverkäufen kurz darauf zu spät kommen und erneut Verluste einstreichen - damit sind wieder ein paar Investoren abgeschreckt.
Ein ideales Szenario für die Wall Street zu zeichnen, ist zurzeit schwer. Beginnen müsste es mit einem stabilen Boden für die Aktienmärkte, mit ehrlichen und fundierten Kommentaren der Analysten zu Chance und Risiko in einem neuen Marktumfeld, und mit einer dramatisch verbesserten Börsenaufsicht, die sicher stellt, dass sich die Fahrlässigkeiten und Betrügereien der letzten Jahre nicht wiederholen können. Doch selbst wenn all das gegeben wäre, bräuchte die Wall Street noch Anleger, die ihr Geld bereitstellen, um das System zu testen.
Quelle: ntv.de