Schluss mit lustig Wall Street frustig
10.05.2002, 22:10 UhrDer Herr hat's gegeben, der Herr hat's wieder genommen. Den Anlegern in New York jedenfalls hat er ihren Heißhunger auf Aktien schnell wieder genommen. Nach einem freundlichen Auftakt war der Hunger gestillt und die Kauflaune vorbei. Der Dow Jones gab 1,0 Prozent auf 9.940 Zähler ab, die Nasdaq brach 3,0 Prozent ein auf 1.601 Zähler.
Die Erzeugerpreise in den USA sind nach Mitteilung des Arbeitsministeriums in Washington im April gegenüber dem Vormonat um 0,2 Prozent zurückgegangen. Darüber staunten Volkswirte und Marktbeobachter nicht schlecht, denn sie hatten im Schnitt mit einem Anstieg um 0,4 Prozent gerechnet. Und dazu hatten sie allen Grund - schließlich wirkt der unverändert hohe Ölpreis preistreibend. Seit Dezember ist der Preis für das "Schwarze Gold" um über 40 Prozent gestiegen.
Die Ursache, dass die Erzeugerpreise trotzdem gefallen sind, dürfte bei der hohen Arbeitslosigkeit zu suchen sein. Hier ist die Quote so hoch wie seit fast acht Jahren nicht mehr und wenn die Unternehmen weniger Menschen beschäftigen, dann sind die Arbeitskosten und damit die Erzeugerpreise bzw. Produktionskosten insgesamt niedriger. Der Effekt der niedrigeren Beschäftigung konnte also vermutlich die gestiegenen Ölpreise mehr als ausgleichen.
Das Fazit aus diesen jüngsten Konjunkturdaten für die Börse ist widersprüchlich: Um Inflation bzw. hierdurch bedingte höhere Zinsen müssen sich die Börsianer keine Sorgen machen. Die niedrigen Erzeugerpreise bzw. die anhaltend niedrige Beschäftigungsquote legt allerdings auch die Vermutung nahe, dass die US-Konjunktur noch nicht so richtig in Schwung gekommen ist.
Die Rating-Agentur Moody's hat bei Worldcom ganze Arbeit geleistet. Die Finanzexperten haben die Kreditwürdigkeit des Telekommunikationsunternehmens Mitte der Woche mit "junk" - frei übersetzt "Müll" - bewertet. Die Anleger beziehen diese Einschätzung wohl auch auf die Aktie und machen Frühjahrsputz in ihren Depots. Worldcom verlor gut 20 Prozent auf 1,60 Dollar. Hinzu kam an Freitag eine Verkaufsempfehlung durch die Investmentbank Goldman Sachs.
Nach Informationen aus unternehmensnahen Kreisen plant der weltgrößte Computerkonzern IBM den größten Stellenabbau seit Beginn der Neunzigerjahre. Demnach soll die Zahl der Beschäftigten zwischen 2,5 und drei Prozent reduziert werden, nicht im gesamten Unternehmen, sondern in einigen spezifischen Geschäftsbereichen. IBM selbst wollte dazu keine Stellung nehmen. Die Agentur Reuters zitiert einen Unternehmenssprecher mit den Worten: "Wir passen unsere Beschäftigung permanent den Marktverhältnissen an, aber wir haben keinen Kommentar zu diesem Gerücht." Seit Jahresbeginn hat der Kurs bereits knapp 35 Prozent verloren und am Freitag ging es munter weiter: minus 0,3 Prozent auf 79,68 Dollar.
Die neuesten Nachrichten von Electronic Arts ließen dagegen wenig Zweifel aufkommen. Das Unternehmen hat nämlich mit den Zahlen für sein viertes Geschäftsquartal positiv überrascht. Der Entwickler und Verkäufer von Videospielen berichtete vor Börseneröffnung von einem Netto-Gewinn pro Aktie in Höhe von 0,39 Dollar und lag damit weit über den Erwartungen von Analysten, die im Schnitt nur mit 0,28 Dollar gerechnet hatten. Für Jack Francis, Chef des Nasdaq-Handels bei der Investmentbank UBS Warburg ist die Sache klar: "Nach der Cisco-Rally von Mittwoch gehe ich davon aus, dass der Ausverkauf der Technologietitel vorbei ist" und: "Wir sehen einen Boom im Bereich Spiele-Software - die Leute bleiben zu Hause und kaufen ihren Kindern Videospiele". Die Aktie legte 0,3 Prozent auf 59,10 Dollar zu.
Ameritrade berichtet für den Monat April von einem gesunkenen Handelsvolumen. Der Online-Broker teilte mit, dass die durchschnittliche tägliche Order-Zahl im April bei 78.000 gelegen habe nach 86.000 im Vormonat. Als Grund nennt Ameritrade eine "anhaltende Zurückhaltung der Anleger" angesichts gesunkener Aktienkurse. Diese Zurückhaltung zeigt sich auch bei der Neukunden-Zahl - im April wurden bei Ameritrade 28.000 neue Konten eröffnet nach 32.000 im März. Zurückhaltung übten auch die Anleger: der Kurs gab 2,8 Prozent auf 5,27 Dollar nach.
Der Mobilfunkanbieter United States Cellular zahlt 610 Millionen Dollar für die Chicagoer Regionalgesellschaft von PrimeCo Wireless Communications LLC. Ziel dieser Akquisition sei eine Ausweitung der Kundenbasis im Mittleren Westen, teilte Cellular in einer Stellungnahme mit. Finanziert werden soll der Zukauf unter anderem durch die Ausgabe einer Schuldverschreibung im Gesamtvolumen von 500 Millionen Dollar. Die Aktie verlor 5,5 Prozent auf 38,31 Dollar.
Der sechstgrößten US-Fluggesellschaft US Airways steht das Wasser bis zum Halse. Wegen der hohen Verluste seit den Anschlägen vom 11. September will das Unternehmen jetzt staatliche Kreditgarantien beantragen. Sollte es nicht zu der angestrebten Übereinkunft mit den Angestellten, Gläubigern und Zulieferern kommen, zieht US Airways auch die Beantragung von Gläubigerschutz nach Chapter 11 des amerikanischen Konkursrechts in Betracht. Die Aktie stürzte um gut 27 Prozent auf 3,60 Dollar ab.
Die Einzelhandelsgruppe Target lag mit einem Umsatzwachstum von 0,4 Prozent deutlich unter den Erwartungen. Der Einzelhandel bzw. Konsum ist aber deshalb ein so wichtiger Wirtschaftsindikator, weil der private Verbrauch in den USA für rund 75 Prozent aller wirtschaftlichen Aktivitäten "verantwortlich " ist. "Die Wirtschaft könnte erneut in eine Rezession abgleiten, die Unternehmensgewinne könnten stagnieren und die USA sind auch noch im Krieg. Daran hat sich nichts geändert", sagte Matthew Johnson, Director of Trading bei Lehman Brothers. Target verlor 2,1 Prozent auf 41,16 Dollar.
Quelle: ntv.de