Autobauer läuten die Kehrtwende ein Dax stoppt den Kursverfall
12.07.2011, 18:00 Uhr
Wenn die Kurse klemmen, kommt der Mann mit der Leiter (links im Bild).
(Foto: REUTERS)
Der deutsche Aktienmarkt kann sich aus dem Bann der Schuldenkrise lösen: Am Dienstag geht er mit deutlich verminderten Verlusten aus dem Handel. Nach guten Zahlen von BMW greifen Anleger vor allem bei den Auto-Aktien zu. Die Italien-Angst verfliegt, die Lage scheint sich zu stabilisieren.
Die Angst vor einer Ausweitung der europäischen Schuldenkrise auf Schwergewichte wie Italien flaut zusehends ab. Der deutsche Aktienmarkt konnte sich am Dienstag weitgehend von seinen tiefroten Verlusten aus dem frühen Handel erholen. Der Leitindex Dax ging mit einem Minus von 0,78 Prozent auf 7174,14 Punkte in den Abend. Zuvor war er kurzzeitig mehr als 3 Prozent bis auf ein Tagestief von 6996 Punkten abgerutscht. Damit fielen die Kursverluste am zweiten Tag der Woche deutlich geringer aus als zum Wochenauftakt. Für den MDax ging es an diesem Dienstag um 0,63 Prozent auf 10.744,98 Punkte nach unten. Der TecDax büßte 0,80 Prozent auf 870,64 Punkte ein.
Marktstratege Robert Halver von der Baader Bank sprach angesichts der Kursverluste insbesondere im frühen Handel von einer regelrechten "Panik am Markt". Die Aktien der Commerzbank hatten zeitweise mehr als 8 Prozent verloren. Am Abend gingen die Titel von zweitgrößter Bank mit einem vergleichsweise harmlosen Abschlag von 0,3 Prozent auf 2,70 Euro aus dem Handel. Seit Anfang vergangener Woche steht für die Commerzbank-Anteilsscheine insgesamt ein Kursverlust von knapp 15 Prozent zu Buche. Für die Papiere des Versicherers Allianz ging es um 1,71 Prozent auf 89,99 Euro nach unten. Der Konzern zähle zu den großen Assekuranzen, deren Kurse unter einer tiefgreifenden Finanzkrise am stärksten leiden würden, befand Unicredit-Analyst Bernd Müller-Gerberding in einer Studie. Mit den zuletzt arg gebeutelten Finanzwerte und der andauernden Führungsdebatte gaben die Aktien der Deutschen Bank 1,01 Prozent nach auf 38,10 Euro.
Mit Blick auf die Schuldenkrise sprach Marktbeobachter Halver von einer Führungsschwäche der Euro-Minister: "Die Europapolitik liefert keine Perspektive, sie führt nicht." Dass sich die Kurse im weiteren Verlauf zumindest etwas erholten, führte Marktstratege Frank Geilfuß vom Berliner Bankhaus Löbbecke darauf zurück, dass einige Anleger bei dem ermäßigten Kursniveau wieder zugegriffen hätten. "Außerdem scheinen die Beschwichtigungsversuche aus Europas Hauptstädten zumindest etwas zu beruhigen", sagte er. Zudem war eine italienische Anleihe-Auktion unter den gegebenen Umständen erfolgreich verlaufen.
Die Anhebung der Gewinn- und Absatzprognose bei BMW schob die Aktien des Autoherstellers gegen den extrem schwachen Markttrend ins Plus. Mit einem Aufschlag von 0,7 Prozent auf 67,24 Euro zählten sie damit zum kleinen Kreis der Dienstagsgewinner im Dax. Im Kerngeschäft Automobile geht BMW nach eigenen Angaben nun von einer Ebit-Marge von über 10 Prozent aus. Bisher hatte der Konzern lediglich über 8 Prozent in Aussicht gestellt. Die Zahlen zeigten, dass BMW sich in seinem Bereich gut behaupte, sagte Arndt Ellinghorst, Analyst bei der Credit Suisse. Auch Aleksej Wunrau von der BHF Bank äußerte sich positiv: "Die Ertragssituation bei BMW ist auf hohem Niveau stabil und das ist für eine zyklische Aktie nicht schlecht."
Die übrigen Autowerte zogen ebenfalls an: Daimler setzten sich im Dax mit plus 1,3 Prozent an die Spitze. Die Vorzugsaktien von Volkswagen legten um 0,56 Prozent auf 144,55 Euro zu. Zu den Gewinnern zählten auch MAN-Aktien mit plus 0,33 Prozent auf 84,46 Euro. "Es gibt Spekulationen, dass VW am Markt als Käufer auftritt", sagte ein Börsianer. Zuletzt hatte VW mitgeteilt, 55,9 Prozent der Stammaktien des Lkw-Herstellers unter Kontrolle zu haben.
Außerhalb des Finanzsektor zählten Halbleiterwerte zu den großen Verlierern: Ursächlich sei hier weniger die europäische Schuldenkrise, hieß es am Markt. "Es sind hauptsächlich die Aussagen von Microchip aus den USA, die von einer breiten Nachfrageschwäche sprechen", meinte ein Händler. Die Microchip-Aktien hatten nachbörslich über 7 Prozent verloren. Am Dienstag fielen sie als schwächster Wert an der Nasdaq weitere 14 Prozent zurück. Da Microchip stark im Autosektor engagiert ist, wurden die Aktien des ansatzweise vergleichbaren Rivalen aus Deutschland, Infineon, Beobachtern zufolge mit abgestraft. In Frankfurt gingen sie mit einem Abschlag von 3,6 Prozent am Dax-Ende aus dem Handel.
Im MDax sackten die Titel von Tui um 4,58 Prozent auf 6,82 Euro ab. Marktteilnehmer begründeten dies mit der Gewinnwarnung von Thomas Cook, einem Wettbewerber von Tui Travel. Bei Europas zweitgrößtem Reiseveranstalter belasten die Unruhen in Nordafrika und dem Nahen Osten überraschend deutlich weiter den Gewinn.
Am Vortag hatte der Dax angesichts wachsender Zweifel an der Zahlungsfähigkeit Italiens bereits 2,3 Prozent schwächer geschlossen. Die Kursverluste insgesamt seit den schwachen US-Arbeitsmarktdaten am vergangenen Freitag gelten damit als die heftigsten seit der Katastrophe in Japan im März dieses Jahres. Für Erleichterung sorgte am Dienstag zunächst die reibungslose Anleihenauktion in Italien. Daneben machten Gerüchte die Runde, die Europäische Zentralbank habe ihr Anleihekaufprogramm zur Unterstützung schuldenbeladener Euro-Staaten wiederaufgenommen.
Die aufflammenden Sorgen vor einer Staatspleite Italiens hatten den Ausverkauf an den Märkten zuletzt beschleunigt. Das Mittelmeerland drückt ein Schuldenberg von rund 120 Prozent des jährlichen Bruttoinlandprodukts. Sollte Italien nun in den Teufelskreislauf steigender Zins- und Schuldlasten geraten, wären die Folgen weitaus gravierender als beim kleineren Griechenland. Experten gehen davon aus, dass der Euro-Rettungsschirm mit einer faktischen Staatspleite dieser Größe überfordert wäre.
In der entsprechend stark beachteten Anleihen-Auktion nahm das Finanzministerium in Rom 6,75 Mrd. Euro neue Schulden bei Investoren auf - und erreichte damit auch die maximal angestrebte Höhe. Die Zinsen, die der italienische Staat für die einjährigen Anleihen zahlen muss, sind allerdings deutlich höher als noch vor einem Monat: Statt 2,147 sind nun 3,67 Prozent fällig. "Die Zinssätze sind drastisch gestiegen, aber die Anleihenemission hat ohne große Schwierigkeiten funktioniert, obwohl Einige ein Scheitern befürchtet hatten", erklärte ein Analyst.
Nach mehr als drei Stunden waren die Leitindizes der Börsen in Paris, Amsterdam, Lissabon und Brüssel wieder verfügbar. Der französische CAC40, der niederländische AEX, der portugiesische PSI20 und der belgische BEL20 waren am Morgen mitten während eines Kurssturzes an den europäischen Börsen ausgefallen. Der Handel mit einzelnen Aktien sowie mit Derivaten an der Liffe war nicht behindert. Einen Grund für den Ausfall nannte die Börse nicht. Die Indizes hatten bis zum frühen Nachmittag ihre Verluste vom Morgen - ähnlich wie der Dax - mehr als halbiert.
Der Eurostoxx50 sank um 0,60 Prozent auf 2693,53 Punkte, auch die Leitindizes in Paris und London verbuchten Verluste. In New York lag der Dow Jones indes zum europäischen Börsenschluss moderat im Plus.
Am deutschen Rentenmarkt rutschte die durchschnittliche Rendite börsennotierter Bundeswertpapiere auf 2,38 (Vortag: 2,53) Prozent ab. Der Rentenindex Rex stieg um 0,61 Prozent auf 126,02 Punkte. Der Bund Future lag mit 0,26 Prozent im Minus bei 128,81 Punkten. Der Euro fiel, die Europäische Zentralbank setzte den Referenzkurs auf 1,3975 (1,4056) Dollar fest. Der Dollar kostete damit 0,7156 (0,7114) Euro.
Quelle: ntv.de, DJ/dpa/rts