Bahn-Passagiere abgewiegelt Achsbruch mit Ansage?
11.07.2008, 19:25 UhrDer am Kölner Hauptbahnhof entgleiste ICE-Zug ist kurz vor dem Unfall vom Bahnpersonal wegen verdächtiger Geräusche gestoppt worden. Unklar war am Freitag noch, ob diese von zwei Bahnsprechern bestätigte Notbremsung den Zug entgleisen ließ. Die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen gegen unbekannt wegen Gefährdung des Bahnverkehrs aufgenommen. Am Freitag wurde ein Großteil der baugleichen ICE-3-Züge von der Deutschen Bahn zur Überprüfung in die Werkstätten geholt. Dadurch fielen mehr als 60 Fernzüge aus, weitere Züge fuhren nur eingeschränkt.
Wenige Tage nach dem Unfall sind damit noch viele Fragen offen: Haben die Zugbegleiter zu spät reagiert, als ihnen Passagiere von verdächtigen Geräuschen berichteten? Hat das Bahnpersonal tatsächlich die Notbremse gezogen, und ist der Zug deswegen entgleist? Von Seiten der Deutschen Bahn gab es unterschiedliche Erklärungen zum Ablauf der Ereignisse am vergangenen Mittwoch.
Wie zwei Bahn-Sprecher in Berlin mitteilten, wurde der Zug durch eine Notbremsung der Zugbegleiter gestoppt. Die Leitung der Bahn-Pressestelle für Personenverkehr dagegen wollte diese Information weder bestätigen noch dementieren. "Das Zugpersonal hat den Zug gestoppt - wie, entzieht sich unserer Kenntnis", hieß es. Nach der Bremsung war der Zug mit einem Achsbruch aus dem Gleis gesprungen. "Ob das eine die Ursache des anderen ist, wird derzeit ermittelt", sagte einer der Bahn-Sprecher weiter. Die Kölner Staatsanwaltschaft ermittelt.
Meldungen der Passagiere wurden abgewiegelt
Kurz nach dem Unfall waren Vorwürfe laut geworden, nach denen die Bahn-Mitarbeiter zu spät auf die Hinweise von Fahrgästen reagiert hätten. Passagiere hatten bereits während der Fahrt auffällige Geräusche bemerkt. Sollte ein Zugbegleiter die Notbremsung ausgelöst haben, ließe sich das "sicherlich ermitteln", sagte der Sprecher der Kölner Behörde, Günther Feld.
Der Vorstand Personenverkehr der Deutschen Bahn, Karl-Friedrich Rausch, hatte am Freitag entsprechende Hinweise von Fahrgästen bestätigt. Als die Bahn-Mitarbeiter das Geräusch bei der Ausfahrt aus dem Kölner Bahnhof ebenfalls hörten, hätten sie den Zug gestoppt. Das Fahrpersonal sei den Hinweisen nachgegangen und habe die notwendigen Maßnahmen ergriffen, betonte die Bahn in einer Mitteilung.
Nach Angaben der Kölner Staatsanwaltschaft haben die Bahn- Mitarbeiter dagegen auf die Kundenhinweise zunächst geantwortet: "Da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen, das hat nichts zu bedeuten." Die Staatsanwaltschaft müsse nun feststellen, ob die Geräusche mit dem späteren Achsenbruch des ICE zusammenhingen, sagte Feld. "Wenn das so ist, ist die Frage, ob das Personal richtig reagiert hat."
Unterwegs mit Hochgeschwindigkeit
Nach Informationen der "Süddeutschen Zeitung" liegen der Staatsanwaltschaft sechs Zeugenaussagen von Passagieren des Unglückszuges vor. Die Staatsanwaltschaft ermittelt demnach insbesondere gegen die Zugbegleiter. Nach der Intervention der Reisenden fuhr der Zug auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke nach Köln mit zeitweise mehr als 300 Kilometern pro Stunde.
Ein sechster Zeuge hat sich erst später bei der Polizei gemeldet. Er war in Siegburg ausgestiegen und hatte den Zugbegleiter auf die Geräusche aufmerksam gemacht. Seine Warnung wurde offenkundig ernst genommen. Wie aus Bahn-Kreisen verlautete, hat das Zugpersonal auf der Fahrt nach Köln dann nach der Ursache der Geräusche gesucht. Bei der Ausfahrt aus dem Kölner Hauptbahnhof zog dann ein Zugbegleiter kurz vor dem Einschwenken auf die Hohenzollernbrücke die Notbremse. Wagen 23 sprang aus den Schienen, die Radsatzwelle war defekt.
Bahn: Überprüfung reine Vorsichtsmaßnahme
Die Überprüfung der ICE-Züge sei eine reine Vorsichtsmaßnahme, hieß es bei der Bahn. Reisende müssten das Wochenende über noch mit Einschränkungen beim Fernverkehr rechnen. Vor allem der ICE-Verkehr über Köln und Frankfurt nach München und Stuttgart sowie zwischen Frankfurt und Paris ist betroffen. Ein Ersatzverkehr, vor allem mit IC-Zügen, werde eingerichtet. Zudem zeige sich die Bahn kulant bei der Erstattung von Fahrscheinen. Am Montag sollen laut Rausch alle Züge wieder planmäßig fahren.
Eine Sprecherin des Bundesverkehrsministeriums in Berlin sagte, die Bahn habe die Behörde "sehr zeitnah" über die Untersuchung der ICE-Züge informiert. Das Bundesministerium nehme keinerlei Einfluss auf die Ermittlungen zu dem Unfall. Das werde den Experten des Eisenbahn-Bundesamtes überlassen.
Kette von Zwischenfällen in 2008
Zu den möglichen Konsequenzen, falls die Achse des Kölner ICE in voller Fahrt gebrochen wäre, wollte sich Rausch nicht äußern. Auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke Frankfurt-Köln werden mehr als 300 Kilometer in der Stunde erreicht. Vergleiche mit dem Zugunglück bei Eschede durch einen gebrochenen Radreifen lehnte die Bahn ab. Bei einem der schwersten Bahnunglücke in der Geschichte des Unternehmens waren am 3. Juni 1998 im niedersächsischen Eschede 101 Menschen ums Leben gekommen und 105 verletzt worden.
Auch in diesem Jahr haben Unfälle der Bahn bereits für Aufsehen gesorgt. So raste am Freitag erneut ein Zug in eine Schafherde. Bei dem Unglück einer Regionalbahn zwischen Bensheim und Lorsch (Hessen) wurden 52 Tiere getötet. Menschen wurden nicht verletzt. Bereits Ende April war ein ICE am Landrückentunnel bei Fulda mit Tempo 220 in eine Schafherde gerast und entgleist. Dabei waren 19 Menschen verletzt worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Bahn, weil ein Zugführer zuvor der Betriebsleitzentrale in Frankfurt gemeldet hatte, dass er in entgegengesetzter Richtung ein Schaf überfahren hatte. (Informationen zu Ausfällen und Verspätungen: www.bahn.de/aktuell
Quelle: ntv.de