Meldungen

Nach dem Rücktritt Alle unfair zu Pierer

Nach seinem Rücktritt als Aufsichtsratschef von Siemens klagt Heinrich von Pierer über eine unfaire Behandlung durch Öffentlichkeit und Behörden. "Betroffen machen mich (...) die pauschalen Vorverurteilungen in der Öffentlichkeit, die oftmals ohne Rücksicht auf die Faktenlage erfolgen, und das Vorgehen einzelner Behörden gegenüber verdienten Mitgliedern unseres Hauses. Die Verhältnismäßigkeit der Mittel scheint mir dabei zuweilen in Frage gestellt", erklärte Pierer in einem Abschiedsschreiben an die Mitarbeiter.

Nachdem von Pierer wochenlang Rücktrittsforderungen zurückgewiesen hatte, hatte der frühere Siemens-Chef in der Nacht zum Freitag überraschend seinen Rücktritt vom Aufsichtsratsvorsitz angekündigt und damit die Konsequenzen aus verschiedenen Korruptionsaffären bei dem Konzern gezogen. Eine Mitschuld an den Vorfällen weist er jedoch weiter von sich. "Eine persönliche Verantwortlichkeit mit Blick auf die laufenden Ermittlungen war nicht Grundlage meiner Entscheidung", erklärte der 66-Jährige. Stattdessen verwies von Pierer auf das große Ganze: "Ich habe immer die Überzeugung vertreten, dass die Pflicht gegenüber dem Unternehmen und seinen weit mehr als 400.000 Mitarbeitern in aller Welt Vorrang vor eigenen Interessen haben muss."

Zuvor hatte von Pierer einen Rücktritt mit der Begründung ausgeschlossen, er habe nichts mit den Korruptionsaffären zu tun und keine Kenntnis von illegalen Vorgängen gehabt. "Siemens ist trotz einer hervorragenden wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens aufgrund von teilweise offensichtlichen, teilweise behaupteten Verfehlungen einer Reihe von Führungskräften und Mitarbeitern in eine prekäre Situation geraten", wird von Pierer nun zitiert.

Schneller Wechsel

Von Pierer schaffe mit dem Rücktritt "die Voraussetzung für eine personelle Neuausrichtung", hieß es beim Münchener Konzern. Vorstand und Aufsichtsrat dankten Pierer für seine Arbeit und stärkten ihm moralisch den Rücken. "Ich habe mit Heinrich von Pierer immer Rechtschaffenheit und Vorbildlichkeit verbunden", sagte Siemens-Chef Klaus Kleinfeld. "Das war so, und das gilt gerade jetzt in diesen schwierigen Zeiten." Das ganze Unternehmen sei ihm zu Dank verpflichtet. Der designierte Nachfolger Cromme erklärte, Pierer habe die Interessen des Unternehmens über seine eigenen gestellt. "Hierfür spreche ich ihm höchste Anerkennung aus."

Schon die Aufsichtsratssitzung am Mittwoch nächster Woche wird von Pierer nicht mehr leiten. Als seinen Nachfolger soll das Kontrollgremium für den Rest der laufenden Amtsperiode bis zur Siemens-Hauptversammlung im Januar 2008 den Aufsichtsratsvorsitzenden von ThyssenKrupp, Gerhard Cromme, wählen. Für den ausscheidenden von Pierer rückt der als "Ersatzmitglied" gewählte Michael Mirow nach, der bis 2002 in der Siemens-Zentrale für die strategische Unternehmensentwicklung zuständig war.

Seinen Posten als Wirtschaftsberater von Bundeskanzlerin Angela Merkel wird von Pierer behalten. "Die Qualität seiner Arbeit ist unbestritten", sagte Regierungssprecher Thomas Steg. Pierer habe seine Beratertätigkeit stets mit Leidenschaft "und zu großer Zufriedenheit der Kanzlerin" wahrgenommen. Die Regierung habe keinen Zweifel an den Aussagen des Managers, dass er seine Entscheidung aus eigenem Antrieb und aus freien Stücken getroffen habe, sagte Steg. Diese Haltung und Entscheidung verdiene Respekt.

"Überfälliger Schritt"

Von Pierer war angesichts der zahlreichen Affären um den Siemens-Konzern in den vergangenen Wochen verstärkt in die Kritik geraten. In zahlreichen Medienberichten war über seine vorzeitige Ablösung spekuliert worden. So sollen andere Siemens Aufsichtsratsmitglieder den Manager wiederholt zum Rücktritt gedrängt haben. Wie die "Süddeutsche Zeitung" am Freitag aus Unternehmenskreisen berichtet, war der Machtkampf um die Spitze des Aufsichtsrates in den vergangenen Tagen eskaliert. Noch am Donnerstag hätten Krisengespräche zwischen dem Siemens-Vorstand und einflussreichen Vertretern des Aufsichtsrates stattgefunden, darunter ranghohe Gewerkschaftsvertreter.

Dem Gremium gehören unter anderem der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank AG, Josef Ackermann, der stellvertretende IG-Metall-Vorsitzende Berthold Huber und der Ex-Vorstandssprecher der HypoVereinsbank, Albrecht Schmidt, an. In mehreren Gesprächen habe man versucht, von Pierer zur Aufgabe zu überreden, schreibt die Zeitung. "Der Aufsichtsrat nimmt die Entscheidung, die von Pierer für sich getroffen hat, mit großem Bedauern und Respekt zur Kenntnis", wird Ackermann nun in der Mitteilung zitiert. Die persönliche Integrität des 66-Jährigen stehe "außer Zweifel". Sie werde durch seinen nun von ihm vollzogenen Schritt "erneut unter Beweis gestellt."

Für die IG Metall war es dagegen höchste Zeit für von Pierer zu handeln. "Der Rücktritt war überfällig", sagte ein Gewerkschaftssprecher. Es sei merkwürdig, dass Pierer sich im Januar noch von der Hauptversammlung im Amt bestätigen lasse und dann im April zurücktrete. Dennoch müsse es mit der Aufklärung der Korruptionsaffären weitergehen. "Das kann jetzt aber kein Schlussstrich sein, es muss schon alles auf den Tisch."

Die Börse reagierte mit einem kräftigen Kursanstieg auf den Rücktritt. Die Siemens-Aktie legt um fast vier Prozent auf mehr als 90 Euro zu. "Das ist der richtige Schritt. Das nimmt jetzt viel Feuer aus dem Geschehen", sagte Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW).

Kritiker hatten von Pierer vorgeworfen, er sei als Aufsichtsratsvorsitzender nicht geeignet für die Aufklärung der zahlreichen Affären, deretwegen die Staatsanwaltschaften in München, Nürnberg und Darmstadt ermitteln. Immerhin fiel der Aufbau des Systems der schwarzen Kassen in die Zeit, als von Pierer die Verantwortung als Vorstandsvorsitzender des Unternehmens trug. Vor seinem Wechsel an die Spitze des Aufsichtsrats war von Pierer von 1993 bis 2005 Vorstandsvorsitzender von Siemens.

Die Kritik zeigte Wirkung: Bereits auf der Hauptversammlung im Januar erhielt von Pierer bei der Entlastung des Aufsichtsrats mit 65,9 Prozent das schlechteste Ergebnis. Auf der nächsten Hauptversammlung im Januar 2008 steht nach Ablauf von fünf Jahren turnusgemäß die Neuwahl aller Vertreter der Anteilseigner des Aufsichtsrats auf der Tagesordnung.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen