Historische US-Zinssenkung Druck auf EZB steigt
17.12.2008, 17:12 UhrDie historische Zinssenkung der US-Notenbank dürfte Europas Währungshüter unter erhöhten Zugzwang setzen. EZB-Ratsmitglied Axel Weber sagte, angesichts der niedrigen Inflation sei es möglich, dass der Zinssatz für kurze Zeit unter zwei Prozent falle. Dies wäre ein Rekordtief für die Euro-Zone. "Der Druck auf die EZB steigt, etwas zu tun", sagte Allianz/Dresdner Bank-Chefvolkswirt Michael Heise. Allein das Anziehen des Euro als Reaktion auf die Entscheidung der Federal Reserve verstärke die konjunkturellen Schwierigkeiten in Europa nochmals. "Die Europäische Zentralbank wird jede Chance nutzen, um die Zinsen weiter zu senken."
Die US-Notenbank Fed hatte am Dienstag den Leitzins von 1,0 Prozent überraschend auf eine Spanne von Null bis 0,25 Prozent gesenkt. Der Zins liegt damit so niedrig wie seit über einem halben Jahrhundert nicht mehr. Damit hat sich die Fed im Kampf gegen die Rezession vorerst von der traditionellen Zinspolitik verabschiedet. Sie kündigte auch an, zunehmend Staatsanleihen etwa von Hypothekenfinanzierern aufkaufen zu wollen, um für mehr Liquidität zu sorgen.
Nach Ansicht von DekaBank-Chefökonom Ulrich Kater dürfte eine Geldpolitik jenseits des Leitzinses die EZB anders als deren US-Kollegen derzeit noch nicht beschäftigten. "Sie werden erst darüber nachdenken, wenn sich die Konjunktur in Europa ab Mitte 2009 überhaupt nicht belebt."
Die EZB hat noch Spielraum in ihrer Geldpolitik. Die Notenbank hatte Anfang Dezember den Leitzins von 3,25 auf 2,5 Prozent gesenkt - so stark wie noch nie. "Ich würde nicht die Alarmglocken läuten, wenn - in einer Situation mit sehr niedriger Inflation und positiven Realzinsen - die Nominalzinsen kurz unter zwei Prozent fallen würden", wurde Bundesbank-Präsident Weber in einem bereits am Montag geführten Interview der Nachrichtenagentur Dow Jones zitiert. "Wir haben aber bisher keine Erfahrungen mit historisch so niedrigen Leitzinsen, deshalb müssen wir äußerst vorsichtig sein, wenn wir in diesen Bereich vordringen", sagte Weber. Sollten sich die Konjunkturaussichten zudem aufhellen, müsste das Zinsniveau dann auch schnell und entschlossen wieder angehoben werden.
Seit Anfang Oktober hat die EZB ihren Leitzins um insgesamt eindreiviertel Prozentpunkte gedrosselt, um der Rezession zu begegnen. "Der Druck besteht unabhängig von dem, was die Fed macht", betonte David Milleker, Chefökonom bei Union Investment. Allein der kräftige Abschwung sorge für Zugzwang.
EZB hat Luft nach unten
Unstrittig ist unter Fachleuten, dass EZB-Präsident Jean-Claude Trichet und seine Kollegen den Leitzins weiter senken werden. Ob es gleich nach dem Jahreswechsel dazu kommt, gilt als unklar. Unicredit-Volkswirt Aurelio Maccario sieht Webers Aussagen jedenfalls nicht als Signal dafür, dass der Bundesbank-Chef im Januar im EZB-Rat für eine Zinspause stimmen werde. Allianz-Experte Heise sieht bei einer Senkung auf 1,75 Prozent im Januar das Ende der Fahnenstange erreicht.
Während die Fed künftig nach eigenen Angaben "alle verfügbaren Werkzeuge" für den Kampf gegen die Rezession einsetzen will, hält sich die EZB bedeckt. Trichet hatte zuletzt aber angedeutet, womöglich den Einlagezins zu senken, zu dem Banken über Nacht Geld bei der EZB parken können. "Ich würde der EZB dazu raten", sagte Heise. Dies könne den Interbankenmarkt, also die Kreditvergabe der Institute untereinander, wieder in Schwung bringen, weil es für sie weniger reizvoll wäre, ihr Geld bei der EZB kurzfristig anzulegen. Weber gab aber zu Bedenken, die EZB würde dann "die Kontrolle über die kurzfristigen Geldmarktzinsen verlieren". Weber sprach sich außerdem gegen eine zentrale nationale Abwicklungsstelle für den Geldmarkt aus. Sie brächte mehr Nach- als Vorteile. Der Verwaltungsaufwand wäre enorm. Dies könne nur auf europäischer Ebene funktionieren.
Die Bundesregierung vermied es, der EZB Vorschläge für deren weitere Geldpolitik zu machen und verwies auf die Unabhängigkeit der Zentralbank. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hingegen legte der EZB nahe, dem Schritt der Fed zu folgen und die Zinsen weiter zu senken. Die norwegische Notenbank reagierte bereits und nahm ihren Leitzins am Mittwoch unerwartet kräftig von 4,75 auf drei Prozent zurück. Am Freitag wird die Fachwelt nach Japan schauen. Dort könnten die Währungshüter ebenfalls einen massiven Zinsschritt Richtung Null gehen.
Quelle: ntv.de