Umstrittene Entscheidung EZB erhöht Leitzins
03.07.2008, 16:59 UhrDie Europäische Zentralbank (EZB) hat trotz heftigen politischen Gegenwinds ihre Ankündigung wahrgemacht und die Zinsen nach mehr als einem Jahr Pause erhöht. Hinweise auf eine weitere Straffung der Geldpolitik in den kommenden Monaten gab sie nicht. Der Euro fiel deshalb am Devisenmarkt um rund eineinhalb Cent auf 1,5750 Dollar.
EZB-Präsident Jean-Claude Trichet begründete die Anhebung des Leitzinses von 4,0 auf 4,25 Prozent mit den gestiegenen Gefahren, dass der massive Teuerungsdruck zu einer Lohn-Preis-Spirale und damit einer Verselbständigung der Inflation führen könne. "Die Zinserhöhung war nötig", sagte er. Inzwischen ist der Leitzins in der Währungsunion so hoch wie zuletzt vor etwa sieben Jahren.
Ob die Notenbank in diesem Jahr noch mal an der Zinsschraube drehen will, ließ er offen. "Ich habe keine Tendenz. Wir sind nie vorab festgelegt. Unsere Geldpolitik wird nach der heutigen Entscheidung dazu beitragen, mittelfristig Preisstabilität zu erreichen." An den Finanzmärkten war auf mögliche weitere Zinserhöhungen spekuliert worden. "Wir werden die Märkte klar informieren und so berechenbar sein wie in der Vergangenheit", sagte Trichet.
Analysten gehen nun davon aus, dass die EZB erst einmal still halten wird: "Eine weitere Zinserhöhung im August ist damit vom Tisch. Auch danach rechnen wir mit stabilen Zinsen, auch wenn sich Trichet eine Hintertür offen hält. Eine Serie von Zinserhöhungen ist in jedem Fall nicht zu erwarten. Der EZB ist nicht entgangen, dass sich die Wirtschaft deutlich abkühlt", sagte Fabienne Riefer von der Postbank.
Die Sorge Nummer eins
Die EZB nimmt mit dem Zinsbeschluss ihren vor mehr als einem Jahr wegen der Finanzkrise unterbrochenen Kampf gegen die Inflation wieder auf. Die Teuerungsrate in der Währungsunion war zuletzt wegen explodierender Energie- und Nahrungsmittelpreise auf den Rekordwert von vier Prozent gestiegen. "Die Inflation ist die Sorge Nummer eins der Bürger Europas. Sie können auf uns zählen", versprach Trichet.
Vor der Entscheidung der Notenbanker war ein Streit über den weiteren Kurs der Geldpolitik entbrannt. Zahlreiche Politiker und Gewerkschafter hatten verlangt, auf die Zinserhöhung mit Rücksicht auf die schwächelnde Konjunktur zu verzichten. Von der deutschen Wirtschaft und vielen Ökonomen waren die Pläne der EZB dagegen begrüßt worden.
Das Echo auf den Beschluss der Frankfurter Währungshüter war entsprechend geteilt: Bundeswirtschaftsminister Michael Glos lobte die EZB. Sie habe ein klares Signal für stabile Preise gesetzt. Industrie-Präsident Jürgen Thumann sagte: "Die Entscheidung (...) mag unbequem sein, ist aber notwendig und richtig." Sie sei eine "unmissverständliche Warnung an die Tarifparteien, keine neue Lohn-Preis-Spirale loszutreten." Herbert Schui, der wirtschaftspolitische Sprecher der Linken, erklärte dagegen, der EZB gehe es nicht um den Kampf gegen die Inflation, sondern um "Lohndrückerei". "Die Zinserhöhung soll in erster Linie die Gewerkschaften disziplinieren."
Harsche Kritik von den Gewerkschaften
Arbeitnehmervertreter warfen der EZB verantwortungsloses Handeln vor. DGB-Chefvolkswirt Dierk Hirschel sagte, die Frankfurter Währungshüter gefährdeten durch ihren Kurs hunderttausende Arbeitsplätze. "Das ist der Einstieg in den Abstieg". Verdi-Chef Frank Bsirske sprach von "gesamtwirtschaftliche Verantwortungslosigkeit".
Die EZB ist die erste große Notenbank, die seit dem Ausbruch der Finanzkrise im Sommer vergangenen Jahres ihren Leitzins heraufgesetzt hat. Andere, zum Beispiel die US-Notenbank Fed, könnten folgen. Allerdings trübt sich das konjunkturelle Klima wegen des Preisdrucks vor allem beim Öl derzeit weltweit ein. Die Fed hatte im Winterhalbjahr mit massiven Zinssenkungen versucht, eine Rezession in den USA zu verhindern. Zuletzt hatte sie diesen Kurs aber verlassen.
Steigende Leitzinsen führen dazu, dass es für die Banken teurer wird, sich bei der Notenbank mit Geld einzudecken. Dadurch werden Kredit für Unternehmen und Haushalte teurer. In der Folge lassen Investitionsbereitschaft und Konsum nach. Das drückt zwar die Inflation, belasten aber auch die Konjunktur.
Quelle: ntv.de