Unverständnis und Ärger GDL will wieder streiken
04.03.2008, 21:10 UhrMillionen Reisende müssen sich nach einer plötzlichen Eskalation im Tarifstreit bei der Bahn von Montag an auf unbefristete Streiks gefasst machen. Die Lokführergewerkschaft GDL kündigte einen erneuten Arbeitskampf an, um die Unterschrift des Konzerns unter den ausgehandelten Tarifvertrag mit elf Prozent Einkommensplus zu erzwingen. Von Montag, 0 Uhr, an stünden im Fernverkehr, Güterverkehr und bei S-Bahnen "die Räder still", sagte der GDL-Vorsitzende Manfred Schell. Bahnchef Hartmut Mehdorn sprach von "Irrsinn" und warf der GDL vor, ein Verkehrschaos zu riskieren. Die Bundesregierung forderte beide Tarifparteien zu unverzüglichen Gesprächen auf, um den Streik doch noch abzuwenden.
GDL fühlt sich provoziert
Schell sagte, der Bahn-Vorstand habe es in der Hand, ob und wie lange gestreikt werde. Sollte der Tarifabschluss vom 30. Januar noch unterschrieben werden, finde der Arbeitskampf nicht statt. Für neue Verhandlungen würde der Streik aber nicht mehr unterbrochen. Einen übergreifenden Grundlagenvertrag, den die Bahn zur Bedingung macht, werde die GDL nicht akzeptieren. Diese Chance habe der Konzern verspielt. "Wenn man so provoziert wird vom Arbeitgeber, kann es nur noch eine Antwort geben", sagte Schell. In dem seit fast einem Jahr laufenden Konflikt hatte die GDL zuletzt im November gestreikt.
Die Bahn bekräftigte, dass der Entgelttarifvertrag der GDL sich ins gesamte Tarifgefüge des Konzerns eingliedern müsse. Daher könne er nicht ohne einen Grundlagenvertrag unterzeichnet werden. Darin will die Bahn zum Beispiel bis zum Jahr 2015 festschreiben, welche ihrer drei Gewerkschaften für welche Mitarbeiter Verhandlungsmacht hat. So soll ein gegenseitiges "Hochschaukeln" zwischen der GDL sowie den anderen Gewerkschaften Transnet und GDBA vermieden werden. Diesem Zusammenhang zwischen Entgelt- und Grundlagenvertrag habe die GDL am 30. Januar selbst zugestimmt und müsse sich daran halten, sagte Bahn- Personalvorstand Margret Suckale. "Die GDL wollte eine schöne eigene Lokomotive, die hat sie auch bekommen." Dazu gehörten aber zwei Waggons, die nicht einfach abgehängt werden dürften - die Konflikt- und Widerspruchsfreiheit zu den sonstigen Tarifregeln.
Mehdorn: "Streik ist reiner Irrsinn"
Bahnchef Hartmut Mehdorn sagte, "Das versteht kein Mensch mehr". Der Konzern habe der GDL elf Prozent mehr Geld zugestanden und mehrfach seinen guten Willen gezeigt. "Vor diesem Hintergrund ist ein Streik reiner Irrsinn." Offenkundig wollten GDL-Funktionäre "aus machttaktischen Gründen ein Verkehrschaos riskieren und damit der Deutschen Bahn, Millionen Kunden und auch dem Wirtschaftsstandort Deutschland massiv schaden", sagte Mehdorn. Er fordere die Gewerkschaft auf, "diesen unverantwortlichen Kurs" zu stoppen.
Auf wie viel öffentliche Sympathie die GDL rund vier Monate nach dem jüngsten Arbeitskampf in diesem Streit noch zählen kann, muss sich zeigen. Denn derzeit stellen schon Warnstreiks der Gewerkschaft ver.di in Kindertagesstätten, bei der Müllabfuhr oder auf Flughäfen viele Menschen auf eine harte Geduldsprobe.
Tiefensee mahnt zu Vernunft
Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) sagte, er erwarte von allen Beteiligten, "unverzüglich" wieder Gespräche aufzunehmen. Er betonte zugleich: "Es war immer klar, dass die Vereinbarungen zur grundsätzlichen Zusammenarbeit Teil der Tarifeinigung sein würden." Niemand hätte Verständnis für einen Streik, obwohl alle Bestandteile eines Entgelttarifvertrags bereits vereinbart seien. Der immense volkswirtschaftliche Schaden eines Streiks könne nicht riskiert werden, weil es Differenzen zu Fragen der Eigenständigkeit und zum gewerkschaftlichen Miteinander gebe.
Auch Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) mahnte eine endgültige Einigung an. "Ein neuerlicher Bahnstreik würde für die Konjunktur in Deutschland zu einer weiteren Belastungsprobe werden", sagte er dem "Handelsblatt" (Mittwoch). "Sollten ab Montag die Züge wieder stillstehen, würden wohl die wenigsten Fahrgäste und Pendler dafür noch Verständnis aufbringen können."
Am Montagabend hatte die GDL die Verhandlungen mit der Bahn abgebrochen, nachdem sich beide Seiten nicht auf einen Grundlagentarifvertrag einigen konnten. Die Bahn macht dieses Vertragswerk zur Bedingung für den Tarifabschluss. Sie will damit für die Zukunft sicherstellen, dass es keine Widersprüche zwischen den Tarifverträgen mit der GDL und mit der Tarifgemeinschaft aus Transnet und GDBA gibt. Die GDL sieht darin hingegen eine unzulässige Einschränkung ihrer Unabhängigkeit. Wegen der Anforderungen der Bahn an eine Abstimmung mit den anderen Gewerkschaften fürchtet die GDL, dass ihr Tarifvertrag zu einer leeren Hülle werden könnte.
Sicher ist sich Schell zumindest, dass bis zum GDL- Gewerkschaftstag vom 5. bis 8. Mai alles beendet ist, wenn er den Chefposten an seinen Vize Claus Weselsky übergeben wird. "Darauf können Sie sich dreimal verlassen, weil der Bahnvorstand sich so lange Streiks gar nicht erlauben kann."
Der Grundlagentarifvertrag soll das Verhältnis zwischen der Bahn und der GDL regeln sowie die "konflikt- und widerspruchsfreie" Einordnung des eigenständigen Tarifvertrages in das Gesamttarifgefüge der Bahn sicherstellen. So soll beispielsweise festgeschrieben werden, für welche Tochterunternehmen die GDL als Tarifpartner auftritt und dass die Gewerkschaften gegenseitig ihre Tarifverträge anerkennen. Mehrere Entwürfe der Bahn wurden von der GDL abgelehnt.
Probleme bereitet außerdem der Abschluss einer Kooperationsvereinbarung zwischen der GDL und den Bahn-Gewerkschaften Transnet und GDBA, die die Bahn ebenfalls als Voraussetzung für eine Vertragsunterzeichnung sieht. Diese Vereinbarung soll die Abstimmung zwischen den Gewerkschaften bei künftigen Tarifforderungen regeln. Außerdem soll sie den Geltungsbereich regeln. Unklar ist beispielsweise, ob auch die rund 3000 Lokrangierführer unter den Vertrag fallen.
Die Bahn will beispielsweise in den dem Grundlagenvertrag festschreiben, welche Gewerkschaft für welche Mitarbeiter Verhandlungsmacht hat. So soll ein gegenseitiges "Hochschaukeln" vermieden werden.
"Der Lokführer-Tarifvertrag mit seiner zweistelligen Lohnsteigerung ist ohne den von der GDL versprochenen Grundlagentarifvertrag und eine Kooperation der Gewerkschaften nicht zu haben", betonte jedoch Bahn-Personalvorstand Margret Suckale. Sie bezog sich auf die noch andauernden Verhandlungen zwischen GDL, Transnet und GDBA um einen Kooperationsvertrag, mit dem die Tarifpolitik abgestimmt werden soll.
Ende Januar hatten sich Bahn und GDL auf eine Einmalzahlung von 800 Euro geeinigt. Ab dem 1. März 2008 soll es für die Lokführer acht Prozent mehr Lohn geben. Weitere drei Prozent Aufschlag sind ab dem 1. September vorgesehen. Am 1. Februar 2009 soll die wöchentliche Arbeitszeit für das Fahrpersonal schließlich um eine auf 40 Stunden gekürzt werden. Die Laufzeit des Tarifvertrages beginnt rückwirkend mit dem 1. Juli 2007 und soll am 31. Januar 2009 enden.
Quelle: ntv.de