Der Fall Chodorkowski Neuer Prozess in Moskau
03.03.2009, 13:17 UhrDer inhaftierte frühere Öl-Magnat Michail Chodorkowski muss sich seit heute in Moskau erneut vor Gericht verantworten. Die russische Staatsanwaltschaft wirft ihm Unterschlagung und Geldwäsche von Milliardenbeträgen vor; dafür drohen dem ehemals reichsten Mann Russlands bis zu 22 weitere Jahre Gefängnis. Der Prozess gegen den prominenten Kreml-Kritiker gilt als wichtiger Test für die Reformversprechen von Präsident Dmitri Medwedew.
Chodorkowski wurde 2005 bereits zu einer achtjährigen Haftstrafe für Steuerhinterziehung und Betrug verurteilt, die er im sibirischen Tschita nahe der Grenze zu China verbüßt. Die Vorwürfe hat er stets bestritten und korrupte Regierungsvertreter für das Vorgehen der Justiz gegen ihn verantwortlich gemacht. Diese hätten seine politischen Ambitionen gefürchtet und seinen Ölkonzern Yukos zerschlagen wollen.
In dem neuen Prozess wirft die Anklage dem 45-Jährigen Unterschlagung von 900 Mrd. Rubel (19,8 Mrd. Euro) und Geldwäsche von 500 Mrd. Rubel vor. Die Anwälte des Unternehmers nennen dies absurd: Chodorkowski hätte dazu mehr Geld stehlen müssen, als Yukos im fraglichen Zeitraum überhaupt erwirtschaftet habe. "Dieser Fall hat enorme politische Bedeutung, weil daran deutlich werden wird, in welche Richtung sich Russland bewegt", sagte Chodorkowskis Verteidiger Robert Amsterdam.
Die Verteidigung forderte gleich zu Beginn des Strafprozesses den Ausschluss von zwei Staatsanwälten. Die Juristen seien wegen ihrer Teilnahme an früheren Verfahren gegen Chodorkowski befangen, sagten die Anwälte nach Angaben der Agentur Interfax.
Scherzend im Glaskäfig
Die Ankunft des Beschuldigten vor einem Moskauer Gericht war der erste öffentliche Auftritt Chodorkowskis seit Ende 2005. Dabei wirkte er deutlich gealtert, scherzte aber in einem Glaskäfig im Gerichtssaal mit einem früheren Geschäftsfreund. Als Chodorkowski und Lebedew am Vormittag unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen in das Gericht gebracht wurden, gab es nach Angaben der Staatsagentur RIA Nowosti turbulente Szenen. Chodorkowski habe "Schande" gerufen, und mehrere Menschen außerhalb des Gebäudes hätten in Sprechchören "Freiheit für politische Gefangene" gefordert. Unter Hinweis auf ein Demonstrationsverbot unmittelbar vor Gerichtsgebäuden nahm die Polizei mindestens sechs Menschen fest, die ein Plakat entrollen wollten. Etwa 300 Polizisten, darunter einige der Sondereinheit OMON, patrouillierten um das Haus.
Kurz nach Beginn der vermutlich mehrere Tage dauernden Voranhörung schloss Richter Viktor Danilkin wie erwartet die Öffentlichkeit aus. Mehr als 150 Medienvertreter aus aller Welt hatten sich am ersten Tag akkreditiert. Den Angeklagten drohen zusätzlich 22 Jahre Haft. Sie waren schon 2005 rechtskräftig zu acht Jahren wegen Betrugs und Steuerhinterziehung verurteilt worden.
Die ehemalige Bundesjustizministerium Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sagte im Bayerischen Rundfunk, sie rechne nicht mit einem fairen Verfahren. Wie schon im ersten Prozess wolle die russische Führung ein Exempel an dem Unternehmer statuieren, sagte die FDP-Politikerin, die das Verfahren für den Europarat beobachtet.
Die Festnahme des Oligarchen 2003 hatte russische Unternehmer schockiert, die befürchteten, die Regierung wolle sich wieder Zugriff auf die in den 90er Jahren privatisierte Rohstoffbranche verschaffen. Kritiker sehen in dem Fall einen Wendepunkt in der Amtszeit des damaligen Präsidenten Wladimir Putin. Dieser habe seitdem die Macht der Oligarchen beschnitten und Hardlinern erlaubt, die politische Oberhand zu gewinnen. Putins Nachfolger Dmitri Medwedew hat Reformen der Justiz gefordert und die Korruption in den Behörden kritisiert.
Quelle: ntv.de