Finanzmarkt am Abgrund Vater Staat springt ein
06.10.2008, 21:10 UhrDie deutschen Banken und Versicherungen bleiben von milliardenschweren Verlusten durch die Finanzmarktkrise bedroht. Auch nach der zweiten dramatischen Rettungsaktion für den Münchner Konzern Hypo Real Estate (HRE) binnen einer Woche sah Bundesfinanzminister Peer Steinbrück keinen Grund zur Entwarnung und nannte die Lage "hoch gefährlich".
Bundeskanzlerin Angela Merkel und Steinbrück unterrichteten am Abend die Vorsitzenden aller Bundestagsfraktionen über den Stand der Krise um die HRE. Die Bundeskanzlerin will an diesem Dienstag eine Regierungserklärung zur Bankenkrise abgeben. An den Börsen nahm die Verunsicherung zu: Die Aktienkurse gingen weltweit rasant auf Talfahrt.
Um die Sparer zu beruhigen, versicherte die Bundesregierung erneut, dass private Einlagen von mehr als 1000 Milliarden Euro dauerhaft durch den Staat garantiert sind. Dieser Betrag entspricht mehr als dem dreifachen des Bundeshaushaltes in diesem Jahr.
"Unverantwortliche Banker"
Merkel ging mit der Finanzbranche ins Gericht und kritisierte, die von "unverantwortlichen Bankern" verursachte Krise setze die soziale Marktwirtschaft unter hohen Druck. Deshalb müssten die Finanzmärkte stärker reguliert werden. Verbraucherschützer warnten: "Die meisten Menschen haben Angst, dass ihr Geld nicht mehr sicher ist."
Die weltweite Finanzkrise und Sorgen um die Konjunktur ließen die Finanzmärkte weltweit einbrechen: Der Börsen-Leitindex Dow Jones rutschte erstmals seit vier Jahren unter die psychologisch wichtige 10 000-Punkte-Marke und verlor zu Beginn der neuen Handelswoche mehr als sechs Prozent. In Brasilien lösten die Turbulenzen eine Börsen-Panik aus. Die HRE-Krise ließ den Deutschen Aktienindex (Dax) bis zum frühen Abend mehr als sieben Prozent einbrechen.
Die Krise gibt das Tempo vor
Die in den USA ausgelöste Krise an den Finanzmärkten setzt europäische Regierungen unter Druck, dem deutschen Beispiel der auf Privatsparer beschränkten Einlagengarantie zu folgen. Die Finanzminister der Eurozone kamen am Abend in Luxemburg zusammen, um gemeinsame Not-Maßnahmen auszuloten. Beim Krisen-Gipfel der führenden vier europäischen Staaten - Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien - hatten sich die Staats- und Regierungschef am vergangenen Samstag mit unverbindlichen Absichtserklärungen begnügt.
Islands Regierung will per Notstandsgesetz den Zusammenbruch des nationalen Bankensystems verhindern und bereitet die Verstaatlichung der kompletten Branche vor. "Wir sind bereit, dafür die Kontrolle über die Banken zu übernehmen", erklärte Ministerpräsident Geir Haarde. Für den Fall des Kollaps' von einer oder allen Banken garantiert der Staat die Einlagen in unbegrenzter Höhe. Das Notstandsgesetz sollte noch am Montagabend verabschiedet werden.
Die Finanzkrise wird nach Ansicht des Chefs des Internationalen Währungsfonds (IWF), Dominique Strauss-Kahn, in zahlreichen Ländern das Wachstum bremsen. "Die Krise hat starke indirekte Folgen, das Wachstum wird sich in vielen Ländern verlangsamen", sagte er in Paris.
US-Präsident George W. Bush mahnte im Bemühen um eine Lösung der Finanzkrise zu Geduld. Es werde eine Zeitlang dauern, bis das am Freitag in Kraft getretene amerikanische Rettungspaket für die Banken Wirkung zeige, sagte Bush in Texas. Das Gesetz sei aber ein "großer Schritt zur Lösung des Problems". Das 700 Milliarden Dollar schwere schweres Paket soll es der Regierung im Kern ermöglichen, den Banken faule Hypothekenkredite abzukaufen.
Bank-Manager verärgert Berlin
Die Zukunft der Hypo Real Estate bleibt auch nach der Aufstockung des Hilfspakets auf 50 Mrd. Euro ungewiss. Die Aktie des Dax-Konzerns stürzte erneut ab und verlor zeitweise mehr als zwei Fünftel an Wert. "Es bleibt offen, ob das Volumen des Rettungspakets diesmal ausreicht", kommentierte ein Börsianer. HRE-Vorstandschef Georg Funke sah sich massiven Rücktrittsforderungen ausgesetzt.
Steinbrück ging hart mit dem HRE-Management ins Gericht und hielt eine weitere Zusammenarbeit für undenkbar. Ebenso wie Merkel und Bundesbankpräsident Axel Weber habe er erst am Samstagabend von der neuen Entwicklung erfahren. Regierung und Finanzwirtschaft hatten ein neues Rettungspaket schnüren müssen, nachdem der erste Hilfsplan Ende vergangener Woche gescheitert war.
Die Finanzindustrie will die Notfallkredite für den Münchner Konzern auf nunmehr 30 Mrd. Euro verdoppeln. Einschließlich der in der ersten Runde vereinbarten Kredite beläuft sich das Gesamtpaket jetzt auf insgesamt 50 Mrd. Euro. Im schlimmsten Fall müssten die Steuerzahler für Verluste von bis zu 26,5 Mrd. Euro geradestehen.
Die FDP warf Merkel und Steinbrück nach ihren Garantiezusagen für private Giro- und Sparkonten eine Missachtung des Parlaments vor. FDP-Partei- und Fraktionschef Guido Westerwelle sprach in Berlin vom "größten Blankoscheck in der Geschichte Deutschlands".
"Bank run" verhindert?
Wie Steinbrück sagte, wollte die Regierung vermeiden, dass Bankkunden kurzfristig Guthaben abheben "und unter die Matratze" legen. Laut Steinbrücks Sprecher Torsten Albig gab es Hinweise, dass die Bürger in Europa angesichts der Krise deutlich mehr Bargeld von ihren Konten abheben.
Die EU-Kommission begrüßte grundsätzlich die Garantie für private deutsche Spareinlagen. Ein Sprecher von Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes sagte: "Das kann eine angemessene Antwort der Politik sein." Für Unmut sorgte der Schritt der Bundesregierung bei der britischen Regierung. Premier Gordon Brown wollte in einem Telefonat mit Merkel auf Klärung dringen. Die Regierung in London war schon nach der irischen Zusage einer staatlichen Sicherung gezwungen, die Garantiehöhe auf Einlagen zu erhöhen, um einen Kapitalabfluss nach Irland zu verhindern.
Bankenlandschaft im Umbruch
Nach dem Zusammenbruch führender Finanzhäuser an der New Yorker Wall Street war die Neuordnung der Bankenlandschaft in Amerika und Europa weiter in vollem Gange. Das französische Finanzinstitut BNP Paribas übernahm die Geschäfte der angeschlagenen Bank Fortis in Belgien und Luxemburg. Fortis war zuvor zerschlagen und zum Teil verstaatlicht worden. Der Kaufpreis liege bei 14,5 Milliarden Euro, teilte BNP in Paris mit.
Quelle: ntv.de