Eine Frage der ZeitGendoping ist unausweichlich
Bei Affen funktioniert es bereits: Eine Gen-Spritze lässt nach kurzer Zeit die Beinmuskeln wachsen. Ähnliche Resultate scheinen damit auch beim Menschen möglich.
Im harten Kampf um Prämien, Ansehen und Rekorde wird es künftig "unausweichlich" zum Gendoping kommen. Davon ist der Vorsitzende der Gendoping-Experten bei der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA, Theodore Friedmann, fest überzeugt. Mit dem Fortschreiten der Gentherapie werden auch Sportler und deren Trainer versuchen, davon zu profitieren. Das schreibt eine Gruppe um Friedmann im Journal "Science". Kurz vor dem Beginn der Olympischen Winterspiele in Vancouver betonen die Wissenschaftler, dass der globale Markt bereits darauf vorbereitet ist, den Bedarf zu decken – auch mit nicht zugelassenen oder noch experimentellen Wirkstoffen.
Bislang haben unehrliche Sportler meist auf chemische oder biochemische Methoden zurückgegriffen, um ihre Leistung unerlaubt zu steigern. Hormone regen das Wachstum an, mehr rote Blutzellen verbessern die Sauerstoffversorgung der Muskeln. Die nötigen Substanzen werden von außerhalb des Körpers zugeführt, also geschluckt oder gespritzt. Das Gendoping verändert die Aktivität der Erbanlagen im Körper des Sportlers – und in der Zukunft womöglich die Gene selbst. Im Reagenzglas ist das routiniert und zielgenau möglich.
Gendoping im Sport erwartet
"Es ist an der Zeit zu schauen, wie die Fortschritte der Genetik den Sport auf eine Weise betreffen, wie es vor zehn Jahren noch gar nicht denkbar war", schreibt die Gruppe. Außer Friedmann gehören dazu Olivier Rabin von der Amerikanischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (AAAS) in Washington sowie Mark Frankel von der University of Kalifornia in La Jolla.
Egal ob bei Sprintern, Kugelstoßern oder Radfahrern: Kraft ist eine der wichtigen Voraussetzungen für Erfolg. Starke Muskeln wiederum sind die Voraussetzung für Kraft, und daher sind in diesem Bereich die ersten Doping-"Anwendungen" zu erwarten. Das lassen auch jüngste Ergebnisse eines Teams um Brian Kaspar von der Ohio State University erwarten. Die Gruppe hatte Affen ein zusätzliches Gen in die Beinmuskeln gespritzt, die daraufhin tatsächlich zu wachsen begannen – nachzulesen im Journal "Science Translational Medicine". Kaspar hatte mit dem Eingriff die natürliche Wachstumsbremse für Muskeln gezielt aufgehoben. Dazu belud er Viren mit einer leicht veränderten Variante der menschlichen Erbanlage für das Protein Follistatin. Diese sogenannte Genfähre wurde in die rechten Beinmuskeln von sechs Affen (Makaken) gespritzt. Dort schleusten die Viren das neue Gen wie gewünscht in Muskelzellen ein, die daraufhin auch Follistatin produzieren. Follistatin schließlich bindet sich ans Protein Myostatin, welches normalerweise das Muskelwachstum bremst. In der gebundenen Form hingegen ist es nicht mehr aktiv, und die Wachstumsbremse funktioniert nicht mehr.
Kampf gegen Muskelschwund
"Wir haben herausgefunden, dass die (so behandelten) Muskeln einen größeren Umfang bekamen", sagte Kaspar dem National Public Radio. Zudem hätten Tests gezeigt, dass die Muskeln stärker waren als die nicht behandelten. Ziel der Studie war es nicht, betrügerischen Sportlern zu helfen, sondern Menschen mit Muskelschwund. Co-Autor Jerry Mendell hielt medizinische Studien mit dem Verfahren bereits im Sommer für möglich. "Unsere Resultate zeigen – zusammen mit den Ergebnissen aus Mäusen – dass eine Therapie mit dem Virus die Muskelmasse und -funktion in Patienten mit einigen degenerativen Muskelstörungen erhöhen kann."
Ein weiteres Beispiel für die Schlüsselstellung des Myostatin-Gens ist ein Baby, das vor wenigen Jahren mit einer Mutation dieser Erbanlage in der Berliner Charité zur Welt gekommen war. Es war für sein Alter extrem muskulös. Im Alter von viereinhalb Jahren waren die Muskeln des Jungen doppelt so stark entwickelt wie jene seiner Altersgenossen. An seinen ausgestreckten Armen konnte er jeweils ein Drei-Kilogramm-Gewicht halten. Forscher um den Berliner Professor Markus Schuelke von der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Neurologie fanden bei dem Jungen Defekte gleich in beiden Kopien des Myostatin-Gens ("New England Journal of Medicine"). Ansonsten zeigten sich keine Auffälligkeiten.
Weitere Anwendungsgebiete möglich
Viele weitere Ziele neuer oder veränderter Gene sind denkbar, etwa zur Produktion des blutbildenden Hormons Erythropoietin (EPO). Andere Angriffspunkte sind der Zucker- und Fettstoffwechsel, etwa um die Ausdauer zu steigern. "Es ist nicht überraschend, dass diese wissenschaftlichen Ansätze auch in der Sportlergemeinde bekannt sind und zum Doping verleiten", erklären Friedmann und seine Kollegen. Sie weisen auch auf den deutschen Trainer Thomas Springstein hin, der im Verdacht geriet, Gendoping bereits angewandt zu haben – in Form des Präparates Repoxygen. Dieses enthält die genetische Information für Erythropoietin. Umgeben ist diese von Viren-Erbgut, damit das Gen auch in die Zellen gelangt und abgelesen wird. Die WADA kann das Gendoping-Mittel nach eigenen Angaben aber nachweisen. Auf deren Liste verbotener Dopingagenzien steht Gendoping bereits seit 2004. Die Viren-Anteile in den Gendoping-Agenzien können den Fahndern wichtige Hinweise auf den Doping-Missbrauch liefern. Allerdings müssen dafür auch genau die "gedopten" Zellen beprobt werden – eine große Herausforderung.
Es habe, schreibt Friedmann weiter, vor den olympischen Spielen 2008 in Peking von einem Labor das Angebot einer Gentherapie gegeben. Ob alles dies bereits zur Anwendung bei Athleten gekommen sei, bleibe derzeit indes unklar. Klar sei hingegen, dass es neue Verfahren zum Nachweis geben müsse. Bislang stehen dabei meist empfindliche chemische Analysen im Mittelpunkt, oder der ungewöhnlich hohe Anteil roter Blutkörperchen. Künftig wird es wohl schwieriger werden. In Aussicht steht aber ein vielschichtiger Nachweis, denn die neuen Dopingmittel werden vermutlich eine breite Wirkung haben, auf den Stoffwechsel, die Genetik und die Zusammensetzung der Proteine.
Neue Nachweisverfahren notwendig
Techniken die, solche "molekularen Signaturen" erkennen könnten, gebe es bereits. Ebenfalls schon jetzt wird untersucht, welche Folgen zum Beispiel ein Krebstumor im Körper hat. Der setzt typische Substanzen und Proteine frei, die wiederum auf andere Reaktionen des Körpers wirken können. Auch in kleinen Konzentrationen lassen sich solche Signaturen für den Krebsnachweis nutzen.
WADA-Experte Friedmann ist überzeugt: "Wissenschaftler sind in dieser Sache nicht länger unbeteiligte Zuschauer." Die Olympischen Winterspiele 2010 und andere große Sportereignisse seien gute Anlässe für die internationale Forschergemeinschaft, sich ihrer Verantwortung bewusstzuwerden und innerhalb ethischer Regeln zu handeln.