Notfallschutz vor Erblindung Klebstoff verschließt verletzten Augapfel
08.12.2017, 09:22 Uhr
Forscher haben ein Gel zur Behandlung von Augenverletzungen entwickelt.
(Foto: N. Bayat et al., Science Translational Medicine (2017))
Bei einer Augenverletzung droht eine Netzhautablösung und in der Folge die Erblindung. Wichtig ist, das Loch im Augapfel schnell zu schließen. Ein neu entwickelter Klebstoff könnte hilfreich sein. Wie funktioniert er?
Eine neue Art Klebstoff für verletzte Augen haben Wissenschaftler der University of Southern California in Los Angeles (Kalifornien, USA) entwickelt. Das Mittel soll kurzfristig Löcher im Augapfel verschließen und kann mit kaltem Wasser wieder ausgewaschen werden, bevor ein Augenspezialist die Wunde später vernäht. Der Klebstoff soll das starke Absinken des Augeninnendrucks verhindern, das zur Netzhautablösung und damit zur Erblindung führen kann. Die Gruppe um Mark Humayun stellt ihre Forschungsergebnisse in der Fachzeitschrift "Science Translational Medicine" vor.

Der Augenkleber wird mit einer Art Spritze ohne Nadel aufgetragen. (klicken für Gesamtansicht)
(Foto: N. Bayat et al., Science Translational Medicine (2017))
Gedacht ist das Mittel vor allem für Fälle, in denen es mehrere Augenverletzungen auf einmal gibt, etwa bei Soldaten nach Kampfhandlungen oder nach Bombenanschlägen. So hätten 13 Prozent der Verletzten nach dem Anschlag auf den Boston-Marathon Augenverletzungen gehabt, schreiben die Forscher. "Es könnte auch in Notaufnahmen in ländlichen Gebieten nützlich sein, wo es kein Augenzentrum mit entsprechenden Fähigkeiten in der Nähe gibt", wird Ko-Autor John Whalen in einer Mitteilung seiner Universität zitiert.
Humayun, Whalen und Kollegen gingen von einer Substanz namens Poly(N-Isopropylacrylamid), kurz PNIPAM, aus. Dabei handelt es sich um ein biologisch verträgliches Hydrogel, das unterhalb von 32 Grad flüssig ist. Bei anderen Anwendungen reicht die Körperwärme, um es von einem kühlen, flüssigen Zustand in einen gelartigen, festen Zustand zu überführen. Da Augen aber nur eine Temperatur von etwa 32 Grad Celsius haben, versuchten die Forscher, die Geliertemperatur zu verringern. Durch das Hinzufügen einer kleinen Menge Butylacrylat konnten sie die Temperatur auf 16 Grad Celsius absenken.
Hydrogel kann ohne Rückstände wieder entfernt werden
Die Wissenschaftler entwickelten auch ein Gerät, mit dem der Augenkleber aufgetragen werden kann. Es ist eine Art Spritze, aber ohne Nadel und mit einer außen liegenden Kühlkammer, um das Mittel vor dem Auftragen flüssig zu halten. Bei Versuchen an Kaninchenaugen konnte das Hydrogel die Wunde im Augapfel verschließen und den Augeninnendruck bei etwa 90 Prozent des unteren normalen Drucks stabilisieren. Indem es durch kaltes Wasser wieder flüssig gemacht wird, kann das Hydrogel nach Angaben der Forscher ohne Rückstände wieder aus dem Auge entfernt werden.
In einem weiteren Versuch zeigten Humayun und Kollegen, dass das Hydrogel nicht zu Entzündungen führt, selbst wenn es einen Monat lang im Auge bleibt. Auch sollten 53 Mediziner die Anwendung des Mittels mit der speziellen Spritze testen: 43 Prozent schafften es im ersten Versuch, die übrigen im zweiten. Laut der Universitätsmitteilung hoffen die Forscher, 2019 mit klinischen Sicherheitstests bei Menschen zu beginnen.
Peter Szurman von der Augenklinik Sulzbach nennt die Studie "methodisch gut und kompetent gemacht". Allerdings seien ähnliche Klebstoffe bereits seit 15 Jahren im Einsatz. Als kritisch sieht er an, dass der acrylhaltige Kleber beim neuen Verfahren ins Augeninnere gelangt; hier wünscht er sich eine vertiefte Forschung, ob es dabei nicht zum Absterben von Zellen kommt. In einem spezialisierten Augenzentrum müssten etwa 30 Fälle von Löchern im Augapfel pro Jahr behandelt werden, in denen ein entsprechender Kleber zum Einsatz kommen könnte. "Wenn ein solches Mittel gut funktioniert, wäre es sehr willkommen."
Quelle: ntv.de, Stefan Parsch, dpa