Beliebtes Schlafmittel im FokusSchadet Melatonin dem Herzen?

Schlafhormon mit Schattenseiten? Eine neue Studie deutet darauf hin, dass eine Langzeiteinnahme von Melatonin mit einem höheren Risiko für Herzinsuffizienz verbunden sein könnte. Expertinnen und Experten mahnen jedoch zur Vorsicht: Die Daten sind noch vorläufig.
Melatonin nehmen viele Menschen als sanfte Einschlafhilfe - ein körpereigenes Hormon, das den Tag-Nacht-Rhythmus steuert. Doch neue Forschungsergebnisse lassen aufhorchen: Langfristiger Melatonin-Gebrauch könnte das Risiko für Herzinsuffizienz erhöhen.
Darauf deuten zumindest Daten hin, die auf der Jahrestagung der American Heart Association (AHA) vorgestellt wurden. Die Untersuchung ist bislang allerdings nur als kurze Zusammenfassung veröffentlicht und sollte daher mit Vorsicht interpretiert werden, mahnen Experten.
Das Forschungsteam wertete elektronische Gesundheitsdaten von rund 130.000 Erwachsenen mit Schlafstörungen aus, die über fünf Jahre beobachtet wurden. Etwa die Hälfte der Teilnehmenden nahm Melatonin ein, die andere nicht. Das Ergebnis: Personen, die mindestens ein Jahr lang Melatonin nutzten, wurden etwa dreimal so häufig wegen Herzschwäche ins Krankenhaus eingeliefert wie die Kontrollgruppe - 19 Prozent gegenüber 6,6 Prozent. Zudem verzeichneten Langzeitanwender höhere Raten von Herzversagen und eine leicht erhöhte Gesamtsterblichkeit.
Um Verzerrungen zu vermeiden, wurden die Gruppen nach mehr als 40 Faktoren abgeglichen - darunter Alter, Vorerkrankungen und Medikamentengebrauch. "Melatonin-Präparate sind möglicherweise nicht so harmlos, wie allgemein angenommen wird", sagt der Erstautor der beim AHA-Kongress vorgestellten Studie.
Viele Fragen offen
Die Ergebnisse klingen alarmierend - doch wichtig ist, und das betonen auch die Studienautoren: Es handelt sich um eine retrospektive Beobachtungsstudie. Sie belegt keine Kausalität, sondern lediglich einen beobachteten Zusammenhang.
Zudem basiere die vorläufige Studie auf elektronischen Krankenakten, nicht auf direkten Patientengesprächen oder klinischen Nachuntersuchungen, schreibt die Pharmazeutin Heba Ghazal von der Kingston University London im Wissenschaftsportal "The Conversation". "Solche Datensätze können Lücken aufweisen - etwa bei nicht dokumentierten Medikamentenkäufen." Besonders in den USA werde Melatonin rezeptfrei verkauft, was die Zuordnung von "Nutzern" und "Nicht-Nutzern" erschwere.
Auch methodisch sind Verzerrungen möglich, betont die Expertin: "Wer Melatonin verschrieben bekommt, hat oft stärkere Schlafprobleme - möglicherweise ein Symptom anderer Grunderkrankungen, etwa Herz-Kreislauf-Störungen." Melatonin wäre in diesem Fall nicht Ursache, sondern Begleitzeichen eines bestehenden Gesundheitsrisikos, so Ghazal.
Frühere Studien zeichnen ein anderes Bild
Interessanterweise steht das neue Ergebnis im Widerspruch zu früheren Untersuchungen. Carlos Egea, Präsident der Spanischen Gesellschaft für Schlafmedizin, verweist gegenüber dem Science Media Center auf eine im März 2025 im Fachjournal "Clinical Cardiology" veröffentlichte Analyse. Die Studienautorinnen und -autoren stellten darin fest, dass Melatonin positive Effekte auf das Herz-Kreislauf-System hat- etwa durch antioxidative Eigenschaften, verbesserten Schlaf und eine stabilere Herzfunktion.
Fachleute mahnen daher zur Vorsicht: Noch seien die Daten zu unvollständig, um Melatonin unter Generalverdacht zu stellen. Weitere Studien seien notwendig, bevor sich daraus klinische Empfehlungen ableiten ließen.
In Deutschland ist Melatonin als Arzneimittel verschreibungspflichtig und zur kurzfristigen Behandlung einer Schlafstörung bei Erwachsenen ab 55 Jahren zugelassen - mit einer Tagesdosis von zwei Milligramm. Gleichzeitig wird Melatonin aber auch in kleineren Dosierungen (unter einem Milligramm) häufig als Nahrungsergänzungsmittel angeboten. Das Verbraucherschutzinstitut Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) warnt jedoch ausdrücklich davor, diese Mittel unkontrolliert oder langfristig einzunehmen.