Wissen

"Sie fand es okay" Warum benennt man einen Krebs nach Sahra Wagenknecht?

Krebs.jpg

Der Krebs Cherax wagenknechtae hat eine deutlich rote Farbe. "Natürlich kann man nun sagen, dass die Farbe zu Sahra Wagenknecht passt", sagt Forscher Lukhaup. Aber das greife zu kurz.

(Foto: Chris Lukhaup)

Artikel anhören
00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos | Feedback senden

Chris Lukhaup hat eine ungewöhnliche Biografie. Er studierte Philosophie, tourte mit zwei Heavy-Metall-Bands durch die Welt und widmete sich der Erforschung kleiner Meeres- und Flussbewohner. Viele hat er entdeckt, wissenschaftlich beschrieben und sie nach Leuten benannt, die er vorbildlich findet.

Zum Interview erscheint Chris Lukhaup mit schwarzem T-Shirt und schwarzer Baseballkappe, darunter lange schwarze Haare. "Hallo Thomas, schön, dass es klappt", sagt er. Seine Gesprächspartner duzt er grundsätzlich. "Denn alle Menschen sind gleich." Nur bei einem alten Professor, den er sehr schätzt, hat er eine Ausnahme gemacht. "Ich habe es nicht fertiggebracht, ihn zu duzen."

IMG_1203 2.jpg

Chris Lukhaup in seinem Element: Mehr als 550 Süßwasserkrebsarten auf fünf Kontinenten hat er gefangen, fotografiert und viele wissenschaftlich beschrieben.

(Foto: Chris Lukhaup)

ntv.de: Wie kommt man von Heavy Metall zu Krebsen und Garnelen?

Chris Lukhaup: Ein bisschen hat es mir mein Vater, der Tierarzt war, in die Wiege gelegt. Mit Musik habe ich früh angefangen. Ich wollte mich aber nicht nur mit einer Sache intensiv beschäftigen. Mit den Bands habe ich in Südamerika, Australien, Europa, auch auf den großen Festivals wie Wacken, gespielt. Die Krebse und die Aquaristik waren immer ein Ausgleich. War eine Tour zu Ende, bin ich raus in die Natur oder bin zu Wissenschaftlern, um mit ihnen zu quatschen.

Inzwischen hast du aufgehört mit der Musik?

Ich habe es geliebt, auf Tour zu gehen. Aber ich wollte nicht irgendwann vor 50 oder 100 Leuten auftreten, wie es oft bei Bands ist, die es nicht wie AC/CD oder Metallica nach ganz oben schaffen. Außerdem wollte ich viel öfter bei meiner Familie sein. Deshalb habe ich einen Cut gemacht und bin ausgestiegen.

Wie bist du zu den Krebsen gekommen?

Als ich anfing, mich damit zu befassen, gab es noch nicht mal einen Atlas über Süßwasserkrebse. Die meisten der mehr als 700 Arten waren nicht fotografiert und führten in der Wissenschaft ein Schattendasein. Die Lücke wollte ich schließen. So wurde ich weltweit zu demjenigen, der die meisten Krebse - mehr als 550 auf fünf Kontinenten - gefangen, fotografiert und viele wissenschaftlich beschrieben hat.

Obwohl du nicht studiert hast, bist du in der Wissenschaft anerkannt. Wie kam es dazu?

Anfangs wurde ich überhaupt nicht ernst genommen. Die haben mich ausgelacht. Klar, da kam jemand mit Haaren bis zum Hosenboden und erzählte ihnen was über Krebse. Ein Museum, dem ich Fotos geschickt hatte, fragte mich, warum ich Plastikkrebse fotografiere. Die kannten nur in Alkohol konservierte Tiere in Gläsern, die nicht mehr die Originalfarbe hatten. Als ich Wissenschaftlern erklärte, dass sich eine bestimmte Krebsart durch Parthenogenese vermehrt, was heißt, dass sie sich selbst klonen, wurde mir erklärte, ich solle andere Leute verarschen, und ob ich nicht wisse, was Männlein und Weiblein seien. Ein Jahr später erschien ein Artikel von mir in "Nature" mit dem wissenschaftlichen Beleg meiner These. Danach war Ruhe.

Welches Jahr war das?

Keine Ahnung. Das habe ich vergessen. Google mal mit "Parthenogenesis in an outsider crayfish". (Die Studie erschien 2003, Anm. d. Red.)

Wie viele Krebsarten hast du entdeckt und wonach richtest du dich bei der Namensgebung?

So um die 20 habe ich entdeckt und zwölf beschrieben, dazu Süßwassergarnelen und -krabben. Bei der Benennung denke ich an Persönlichkeiten, die mich beeindruckt haben. Eine Krebsart habe ich nach Edward Snowden benannt. Er hat mich als Mensch berührt, seinen Mut bewundere ich. Snowden hat sein Leben aufs Spiel gesetzt, um Dinge aufzudecken, die sonst im Verborgenen geblieben wären. Ob er die Wahrheit sagt, weiß ich nicht. Aber ich glaube ihm. Und das ist entscheidend. So kam es zum Cherax snowden. Andere Krebse habe ich nach Julian Assange, Familienmitgliedern, Freunden und dem Lipke Holthuis, Professor an der Uni Leiden, benannt. Das war der einzige Mensch, den ich nicht duzen konnte.

Warum nicht?

Ich duze alle, auch Politiker. Denn alle Menschen sind gleich. Aber bei Professor Holthuis habe ich es nicht geschafft. Als ich ihn traf, war er 85 Jahre alt. Der Respekt vor dem Mann war zu groß. (Holthuis verstarb 2008, Anm. d. Red.)

Und wie kamst du zum Cherax wagenknechtae?

In Deutschland. Der Krebs kommt nur in Westpapua vor, war aber durch Händler zu uns in die Aquaristik gelangt. Ich habe ihn zehn Jahre lang untersucht, ehe ich sicher sein konnte, dass es sich bei dem Tier um eine eigene, bisher nicht beschriebene Art handelt. Er ist rot. Natürlich kann man nun sagen, dass die Farbe zu Sahra Wagenknecht passt. Aber das greift zu kurz. Ich wollte damit ein Statement abgeben. Denn ich habe sehr viel Respekt vor ihr, wie sie mit Kritik an ihrer Person und ihrer Haltung umgeht, dass sie immer ruhig und sachlich bleibt. Ob sie recht hat oder nicht, spielt für mich nicht die entscheidende Rolle. Das soll jeder für sich selbst ausmachen. Ihre Art ist es, die ich toll finde.

Also du würdigst mir der Namensgebung nicht nur politische Haltungen, sondern auch den Charakter eines Menschen?

Beides ist untrennbar miteinander verknüpft. Ich bin schon links. Ich war bisher in 85 Ländern und weiß was Krieg und Armut bedeutet. Die Partei Die Linke steht mir politisch am nächsten, auch wenn mir nicht gefällt, dass sie sich ständig streiten.

Wie hat Sahra Wagenknecht reagiert? Muss man Lebende eigentlich vorher fragen?

Nein, muss man nicht. Ich habe Sahra angeschrieben, wie sie dazu steht. Sie fand es okay und hat es später öffentlich gemacht. Das hat mir gereicht.

In der wissenschaftlichen Beschreibung des Cherax wagenknechtae hast du geschrieben, die Politikerin habe dich "inspiriert, entschlossen für eine bessere und fairere Zukunft zu kämpfen". Was heißt das konkret?

Ich habe Sahra noch nie aggressiv erlebt. Davon können sich viele Menschen eine Scheibe abschneiden. Ein freundlicher Umgang miteinander würde die Welt besser machen. Ich habe sie mir zum Vorbild genommen und gehe mit anderen Meinungen gelassen um. Sahra wirbt dafür, dass die, die viel haben, denen etwas abgeben, die nichts oder sehr wenig besitzen. So lebe ich seit Jahren. Ich verschenke gerne und spende viel. Außerdem habe ich bei Instagram eine große Community, die meinen Aufrufen folgt, Gutes zu tun.

Mit Chris Lukhaup sprach Thomas Schmoll.

Quelle: ntv.de

ntv.de Dienste
Software
Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen