Studie simuliert Druckwelle Wo im Gebäude überlebt man einen Atomschlag?
20.01.2023, 10:33 Uhr
Die Forscher simulierten die Explosion eines 750-Kilotonnen-Sprengkopfs - fast 60-mal so viel wie bei der Hiroshimabombe.
(Foto: picture alliance / dpa)
Es ist die ultimative Katastrophe: ein Atombomben-Angriff auf ein bewohntes Gebiet. Wie sollte man sich im Ernstfall verhalten, wenn man sich während der Explosion in einem Gebäude befindet? Forscher aus Zypern berechnen, wo die Überlebenschancen am höchsten sind.
Die Möglichkeit eines Atomschlags wird seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine wieder in der Öffentlichkeit diskutiert. Fest steht: Wenn eine Atombombe explodiert, gibt es in unmittelbarer Nähe keinen guten Ort, um sich dort aufzuhalten. Denn alles, was dem Feuerball zu nahe ist, verdampft sofort. Und die starke Strahlung ist selbst aus der Entfernung noch gefährlich. Außerdem entsteht durch die Explosion eine massive Druckwelle. Durch sie erreicht die Luft Geschwindigkeiten, die stark genug sind, um Menschen schwere Verletzungen zuzufügen.
Doch was ist, wenn man sich drinnen aufhält? Forscher der Universität Nikosia auf Zypern wollten herausfinden, wie sich eine nukleare Druckwelle auf Menschen im Inneren von Gebäuden auswirkt. Dafür simulierten sie die Explosion einer typischen ballistischen Interkontinentalrakete mit einer Sprengkraft von 750 Kilotonnen - was 750.000 Tonnen des Sprengstoffs TNT entspricht. Ihr Ergebnisse veröffentlichten sie in der Fachzeitschrift "Publikation Physics of Fluids".
Untersucht wurden die Auswirkungen in der "Moderate Damage Zone", also einem Bereich mit mäßigen Schäden durch die Druckwelle. In diesem reicht die Kraft der Luftmassen zwar aus, um einige Gebäude zum Einsturz zu bringen und Menschen zu verletzen, die sich im Freien aufhalten. Stabilere Gebäude aus Beton jedoch können in diesem Bereich standhalten. Und um diese ging es den Forschern.
Wie sich die Druckwelle durch Räume bewegt
Anhand von ausgeklügelten Computermodellen erprobten die Wissenschaftler, wie sich eine nukleare Druckwelle durch ein noch stehendes Gebäude hindurchbewegt. Die simulierte Gebäudestruktur enthielt Räume, Fenster, Türen und Korridore. Im Modell wurde die Geschwindigkeit der Luft an den unterschiedlichen Stellen im Gebäude berechnet, um zu bestimmen, wo Menschen am besten und am schlechtesten vor der Druckwelle geschützt sind.

Die Computergrafik zeigt die Luftgeschwindigkeit in Räumen während der ersten zehn Sekunden nach der Explosion - vor allem die Ecken der Räume sind besser vor den Kräften der Druckwelle geschützt.
(Foto: I. Kokkinakis and D. Drikakis, University of Nicosia, Cyprus)
"Vor unserer Studie war die Gefahr für Menschen in einem Betongebäude, das der Druckwelle standhält, unklar", so Autor Dimitris Drikakis laut einer Mitteilung des Verlags AIP Publishing. "Unsere Studie zeigt, dass hohe Luftgeschwindigkeiten nach wie vor eine erhebliche Gefahr darstellen und zu schweren Verletzungen oder sogar Todesfällen führen können."
Der Studie zufolge reicht es nicht aus, sich einfach nur im Inneren eines stabilen Gebäudes aufzuhalten. Denn enge Räume können die Luftgeschwindigkeit sogar erhöhen. Zudem wird Luft durch die Druckwelle von Wänden reflektiert und kann auf diese Weise sogar um Ecken herumströmen. Dabei können Kräfte entstehen, die dem 18-Fachen des Körpergewichts eines Menschen entsprechen, heißt es in der Studie.
"Die gefährlichsten Stellen in Innenräumen, die es zu meiden gilt, sind die Fenster, die Korridore und die Türen", sagt Autor Ioannis Kokkinakis. "Menschen sollten sich von diesen Orten fernhalten und sofort Schutz suchen." Aber wo? Am besten in den Ecken. Dort ist die Kraft der Luftmassen am geringsten. "Selbst im vorderen Raum, der der Explosion ausgesetzt ist, kann man vor den hohen Luftgeschwindigkeiten sicher sein, wenn man sich an den der Explosion zugewandten Ecken der Wand aufhält", so Kokkinakis.
Es kommt auf Sekunden an
Allerdings betonen die Autoren, dass die Zeit zwischen der Explosion und dem Eintreffen der Druckwelle nur wenige Sekunden beträgt. Entscheidend sei daher, sich möglichst schnell in Sicherheit zu bringen. Und die Druckwelle ist nicht das einzige Problem: Außerdem werde es "zu erhöhten Strahlungswerten, unsicheren Gebäuden, beschädigten Strom- und Gasleitungen und Bränden kommen", warnt Drikakis.
Die Autoren hoffen, dass ihre Ratschläge nie befolgt werden müssen. Gleichzeitig sind sie überzeugt, dass das Verständnis der Auswirkungen einer Nuklearexplosion dazu beitragen kann, Verletzungen zu vermeiden und Rettungsmaßnahmen zu steuern.
Quelle: ntv.de, kst