Abschalten und was dann? DIW: Ölpreisbindung knebelt uns
16.03.2011, 12:13 Uhr
Kohlekraftwerke sind keine echte Alternative, warnt Kemfert. Bei einem überstürzten Ausstieg aus der Kernkraft könnten sie aber eine Renaissance erleben.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Nach den Plänen der Bundesregierung könnten demnächst eine ganze Reihe von Atomkraftwerken für immer abgeschaltet werden. Für Prof. Dr. Claudia Kemfert, Energieexpertin des DIW, ist das kein Problem. Deutschland verfügt über genügend Strom. Sie warnt aber davor, dass stattdessen Investitionen in die Kohle erfolgen könnten.
n-tv.de: So schlimm das Desaster in Japan ist, könnte es hierzulande aber die Chance auf einen schnelleren Umstieg auf alternative Energien bedeuten. Hat sich die Atomkraft für Deutschland erledigt?
Claudia Kemfert: Auch die jetzige Bundesregierung hat sich schon vor der Katastrophe in Japan durch ihr Energiekonzept von der Atomenergie verabschiedet, da sie den Umbau hin zu einem Anteil der erneuerbaren Energien auf 80 Prozent erreichen will. Die Frage ist, wie man das Energiesystem so umstellen kann, dass man die Klimaziele nicht verfehlt. Wenn man nun überstürzt rasch und unüberlegt aus der Kernenergie aussteigt, droht die Gefahr, dass man jede Menge neue Kohlekraftwerke baut und damit die Klimaziele in Gefahr geraten. Wir würden so Gefahr laufen, dass wir den Kohleanteil, statt zu reduzieren, von heute knapp 45 Prozent auf 60 Prozent erhöhen. Das wäre nicht kompatibel mit dem Umbau des Energiesystems hin zu einem höheren Anteil erneuerbarer Energien. Besser kombinierbar mit den erneuerbaren Energien sind im übrigen Gaskraftwerke. Leider ist Gas hierzulande zu teuer.
Wie viele Atomkraftwerke könnten wir sofort abschalten? Nach allem, was man von der Bundesregierung hört, stehen sieben AKW zur Disposition.
Wir produzieren derzeit einen Stromüberschuss, so dass man problemlos vier oder fünf Atomkraftwerke abschalten könnte. Den Rest könnte man noch mit anderen Kapazitäten und Importen kompensieren. Was man heute braucht, ist ein verlässliches Energiekonzept. Mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien benötigen wir den Ausbau der Infrastruktur und Energiespeicher. Zudem sollte die Ölpreisbindung aufgehoben werden, damit Gaskraftwerke attraktiver werden.
Und was ist mit der Ökoenergie?
Heute beträgt der Anteil der Ökoenergien 16 Prozent und soll auf 80 Prozent hochgefahren werden. Dafür braucht man Zeit. In der Zwischenzeit gehen alte Kohlekraftwerke vom Netz und sollten nach Möglichkeit besser durch Gaskraftwerke ersetzt werden. Zudem muss die Infrastruktur massiv ausgebaut werden und wir benötigen Energiespeicher.
Aber auf dem Weltmarkt ist doch Gas gar nicht zu teuer. Es ist also nur die Krux, dass wir mit dem Gas- an den Ölpreis gekoppelt sind.
Völlig richtig. Auf dem Weltmarkt ist das Gas billig, weil wir ein Überangebot an Gas haben. Es wäre schön, wenn man das auch nutzen könnte. Nur haben wir in Deutschland große Lieferunternehmen, die sich an die Ölpreisbindung gekoppelt haben. Die wollen zwar da raus, aber die russischen Betreiberunternehmen machen da nicht mit.
Haben wir die Chance, aus den Verträgen herauszukommen?
Der öffentliche Druck wurde von Seiten der deutschen Gasunternehmen schon massiv erhöht, aber leider bisher erfolglos. Hier ist die Politik gefragt. Durch einen klugen energiepolitischen Dialog mit Russland könnte man diesbezüglich vielleicht einen guten Kompromiss erzielen.
Nochmal zurück zum Umstieg auf die Alternativen. Deren Ausbau erfordern enorme Investitionen in Netze und Technik. Können wir uns das leisten?
Ja, durchaus. In keinen anderen Markt fließen in den kommen Jahrzehnten mehr Investitionen als in nachhaltige Energie- und Mobilitätsmärkte. Die Investitionen sind wachstumssteigernd und stärken die Wirtschaft. Fossile Energien, insbesondere Öl, werden knapper und teurer. Erneuerbare Energien werden im Zeitablauf billiger. Je früher wir auf eine eigenständige Energieversorgung setzen, desto besser.
Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung spricht in seiner jüngsten Studie davon, dass durch die Anhebung des EU-Klimaschutzziels von 20 auf 30 Prozent weniger CO2-Ausstoß für das Jahr 2020 viele Millionen neuer Jobs entstehen könnten. Wer die Entwicklung verschlafe, habe künftig das Nachsehen, so das PIK. Die Studie wird überall in Europa diskutiert. Kommt die Energiewende etwa schneller als erwartet?

Prof. Dr. Claudia Kemfert, Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance Berlin. Sie war Beraterin von EU Präsident Barroso.
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Europa hat in der Vergangenheit bereits die 20-20-20 Ziele verabschiedet. Man will bis zum Jahre 2020 den Anteil der erneuerbaren Energien auf 20 Prozent erhöhen und gleichzeitig die Energieeffizienz massiv verbessern sowie die Treibhausgase um 20 Prozent mindern. Die in der vergangenen Woche vorgestellte Roadmap der EU-Kommission zeigt auf, dass man durch Energiesparen, den Ausbau der erneuerbaren Energien und der Erhöhung der Klimaziele auf 30 Prozent Wettbewerbsvorteile und Arbeitsplätze schaffen kann. Bei der Erreichung der Ziele in Punkto Ökoenergie sind wir schon recht weit, Nachholbedarf besteht allerdings bei der Umsetzung der Energieeffizienzziele und der nachhaltigen Mobilität.
Gegner der 30-Prozent-Umsetzung argumentieren gern, dass sich dadurch der Strompreis verteuern könnte. Ist da was dran?
Nein, denn man will diese Ziele über die Energieeffizienzverbesserung insbesondere im Gebäude- und Verkehrsbereich erzielen. Diese Roadmap sagt ja sehr deutlich, dass man allein durch die Energieeffizienz mehr Strom einsparen kann. Und weniger Verbrauch verringert nun mal die Kosten.
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Quelle: ntv.de, Mit Claudia Kemfert sprach Peter Poprawa