Eine Bürgerinitiative wird 150 Seenotretter sind immer im Einsatz
29.05.2015, 12:41 Uhr
Der Seenotrettungskreuzer Hermann Helms der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) pflügt bei voller Fahrt durch die Nordsee vor Cuxhaven (Niedersachsen).
(Foto: dpa)
Auf See ist man schnell auf sich allein gestellt, wissen erfahrene Seeleute. Eine gefährliche Strömung, eine Riesenwelle kann alles verändern. Dann rücken die Seenotretter der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger aus.
Ohne die Seenotretter wäre Dirk Scholz nicht mehr am Leben. Am 12. September 2014 kenterte seine Jolle vor der Insel Wangerooge - bei schönem Wetter. Eine gefährliche Grundsee hatte sich aus dem Nichts aufgebaut, mehrere Brecher waren ins Boot gestiegen. Zunächst dachte Scholz, er könnte mitsamt seinem Seesack an Land schwimmen, doch dann zog ihn die Strömung Richtung offene Nordsee. Per Handy verständigte er seine Freundin, die einen Notruf absetzte. Eine Stunde dauerte es bis zur Rettung - so lange trieb er im 15 Grad kalten Wasser. "Zwischenzeitlich habe ich mich ziemlich ernsthaft mit der Aussicht beschäftigt, dass es das gewesen ist", sagt Scholz.
Der Sachse ist einer von 55 Menschen, die die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) 2014 aus akuter Seenot in Nord- und Ostsee gerettet hat. Seit 150 Jahren sind die Seenotretter im Einsatz. Wie dringend sie auch heute gebraucht werden, zeigt der Fall der "Purple Beach". Der Düngemittelfrachter geriet in der Nordsee westlich von Helgoland in Not, weil sich Hitze und Rauch in seinem Frachtraum gebildet hatten. An den Rettungsarbeiten, die vom Havariekommando in Cuxhaven geleitet wurden, war auch der Seenotrettungskreuzer "Hermann Marwede" beteiligt.
Für zahlreiche Seefahrer und Freizeitskipper waren die Seenotretter schon die letzte Hoffnung. "Man ist auf See schnell auf sich allein gestellt", sagt der ehrenamtliche DGzRS-Vorsitzende Gerhard Harder. Das Jubiläum wird mit einem umfangreichen Programm - vom Festakt im Rathaus über eine Schiffstaufe auf dem Marktplatz in Bremen bis hin zur Schiffsparade in Bremerhaven - gefeiert. Auch der Bundespräsident und Schirmherr der Seenotretter, Joachim Gauck, hat sich angekündigt. Seine Lebensgefährtin Daniela Schadt wird Taufpatin eines Seenotrettungsbootes für die Lübecker Bucht. Die dortige Station in Neustadt ist eine von insgesamt 54, die die DGzRS rund um die Uhr betreibt.
Ohne Freiwilligenarbeit geht es nicht
"Obwohl die Seeschifffahrt immer sicherer wird, liegen die Einsatzzahlen in den letzten zehn Jahren auf hohem Niveau", sagt Harder. Das liege vor allem daran, dass der Seeverkehr, aber auch der Segel- und Motorsport zunehme. 180 Festangestellte beschäftigt die Gesellschaft, aber noch viel mehr Freiwillige unterstützten sie: mehr als 800. Einer von ihnen ist Roger Riehl. Seit 1973 arbeitet der Wangerooger in seiner Freizeit bei der DGzRS.
Sein Geld hat er als Betriebsleiter eines Freizeitbads verdient, inzwischen ist der 65-Jährige in Rente. Seit 30 Jahren fährt er als Vormann, heute auf dem Seenotrettungsboot "Wilma Sikorski". "Ich habe mich von jeher der Seefahrt verbunden gefühlt", begründet er sein Engagement. Für ihn sei es selbstverständlich, Leuten in Gefahr zu helfen. Dass es für ihn selbst im Einsatz auch gefährlich werden könnte, war ihm am Anfang nicht bewusst. "Da kommt man erst mit der Zeit hinter, wenn man ein paar wilde Fahrten hinter sich hat", erzählt Riehl. Vor 20 Jahren kamen zuletzt zwei Seenotretter ums Leben. Damals verunglückte ihr Schiff auf dem Rückweg von einem Einsatz im Orkan vor Borkum. Eine ungewöhnlich hohe See hatte das Schiff manövrierunfähig gemacht, bis es schließlich unterging.
Respekt, aber keine Angst
Eine solche Extremsituation musste Vormann Riehl nie erleben. Er weiß aber, dass es jederzeit dazu kommen kann. "Man muss gesunden Respekt haben, aber wenn man Angst hat, bringt das nichts." Dennoch: Niemand werde gezwungen, einen Einsatz zu fahren, betont Harder. "Das ist immer die freie Entscheidung des Seenotretters." Als Riehl am 12. September 2014 zum Einsatz aus dem Hafen fuhr, gab es für ihn und seine Besatzung keine Gefahr - wohl aber für Dirk Scholz. "Wir haben nicht damit gerechnet, ihn zu finden", erinnert sich Riehl.
Ein Hubschrauber, der zufällig in der Nähe war, hatte bereits abgedreht, weil der Pilot nichts im Wasser entdeckt hatte. Als der Hubschrauber wegflog, "war das der Tiefpunkt", sagt Scholz, der auf Wangerooge ein Jugendgästehaus betreibt und mit seiner Jolle schon über 100 Mal zwischen Festland und Insel gesegelt war. Das Sichtfeld war wegen der hohen See sehr begrenzt. "Als ich dann das Seenotrettungsboot sah, dachte ich, nun muss ich nicht mehr sterben", sagt Scholz. Riehl und seine Crew dachten zunächst, da schwimme ein Kanister im Wasser. Beim Näherkommen stellte sich heraus, dass es der Seesack war, an dem sich Scholz festklammerte. Jolle segelt der erfahrene Freizeitskipper seit dem Unglück nicht mehr. "Das musste ich meiner Freundin versprechen." Dafür kaufte er sich einen Fischkutter: "Der ist stabiler."
Quelle: ntv.de, Janet Binder, dpa