Klare Ansagen für kleine Männer Wie Jungenerziehung ihren Schrecken verliert
15.04.2014, 09:41 Uhr
Jungen gelten als problematischer als Mädchen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Jungen und männliche Jugendliche sind nicht immer pflegeleicht. Sie fordern Eltern und Erzieher gern heraus, manchmal so sehr, dass die Erwachsenen an ihre Grenzen stoßen. Der Pädagoge Reinhard Winter plädiert deshalb für eine Erziehung mit klaren Ansagen.
Wenn Reinhard Winter in eine Schule geht, fragt er ganz naiv nach den Kindern, die den Lehrern die meisten Sorgen bereiten. Ist diese Frage erst einmal beantwortet, geht es meist nur noch um Jungen. Denn 80 bis 90 Prozent der Problemkandidaten sind männlich. Sie stören, sind aggressiv und scheinen nicht altersentsprechend entwickelt.
Winter forscht seit Jahrzehnten über Jungen und weiß um die Herausforderung, Söhne zu erziehen. Doch er wird auch in seinem neuen Buch "Jungen brauchen klare Ansagen" nicht müde, zuallererst zu sagen: "Mit einem Jungen zusammenzuleben, einen Sohn ins Leben zu begleiten, ist ein großes Glück." Fast scheint es, als würde das sonst allzu schnell in Vergessenheit geraten.
Führung statt Hilflosigkeit
"Ich wundere mich oft, wie es sein kann, dass ein Fünfjähriger seiner Mutter auf dem Kopf rumtanzt und dramatische Schimpfwörter sagt und sie sich überhaupt nicht helfen kann", beschreibt Winter im Gespräch mit n-tv.de einen klassischen Konflikt. Winter setzt darauf, dass es in der Erziehung nicht ohne klare Ansagen und ohne eine stabile Haltung der Eltern geht, und nennt das Führung. Auf keinen Fall will er diese Führung als autoritäre Erziehungsidee verstanden wissen, wie sie beispielsweise als Lob der Disziplin seit einiger Zeit wieder modern zu sein scheint.
"Es geht ganz klar nicht um autoritäres Verhalten. Autoritär ist es immer, wenn es ein Hierarchieverhältnis ist oder Macht eine große Rolle spielt, wenn ich das Kind entwerte oder auf Disziplin und andere Sekundärtugenden setze." Für Winter ist autoritäres Verhalten letztlich eine Form von Gewalt. Doch Drohungen, Strafen und Angst sind keine Basis für eine gute Beziehung zum eigenen Kind. "Worauf ich hinauswill, ist, die Qualität der Beziehung zu verändern und zu verbessern."
Winter argumentiert, dass Eltern Mädchen meist etwas mehr behüten, ihnen engere Grenzen setzen. Man könnte auch sagen, mehr Halt geben. Genau das fehlt aber vielen Jungen, zumal sie meist aktiver und impulsiver sind. Außerdem haben sie häufig ein stärkeres Interesse an Rang und Status. Dieses Interesse hat Folgen: "Wenn ich ein Status-Interesse habe, einfach weil ich mich aus dem Körperlichen heraus dafür interessiere, dann will ich auch von der Autoritätsfigur, die vor mir steht, wissen: kann die das halten, hat die wirklich eine höhere Position oder kann ich meine Position verbessern?" Jungen fragen also immer wieder neu die Qualität der Beziehung ab. Ist sie so oder so, eindeutig oder mehrdeutig, klar oder schwammig? "Deshalb brauchen sie vom Gegenüber in der Tendenz mehr Eindeutigkeit und Klarheit."
Aber der Sozial- und Geschlechterforscher sieht noch einen weiteren Grund, warum Jungen nach Führung verlangen. "Viele Männlichkeitsbilder gehen ein bisschen in Richtung Größenwahn. Diese Bilder erfinden die Jungen ja nicht selber, sondern sie werden gesellschaftlich angeboten, auch über Playmobil und Lego. Wenn die Jungen sich an diesen Heldenfiguren orientieren, dann gehört zu einem Heldentypus dazu, dass er dem Anführer folgt." Dafür müsse man allerdings sicher sein, dass man dem Anführer vertrauen kann. Also frage der Junge: "Kann ich diese Autorität anerkennen, ist sie gefüllt oder nur eine Fassade? Wenn es aus ihrer Sicht keine ehrenhafte Macht ist, führt das bei einem Teil der Jungen zu Rebellion."
Die meisten Jungen sind ansprechbar
Ein Kern des Jungenproblems ist nach Winters Ansicht, dass Schwierigkeiten sehr wohl gesehen werden. "Dabei werden die Jungen als Symptomträger gebrandmarkt, aber es wird nicht gefragt, woran liegt das denn wirklich?" Es werde viel gejammert und das Problem statistisch belegt, aber es werde zu wenig nach der Bedürfnislage von Jungen gefragt. "Doch die Jungen werden über die Art der Beziehung gefördert oder gebildet. Und wenn die nicht stimmt, scheren die Jungen aus."
Allerdings scheren von 15 Jungen in einer Gruppe höchstens 4 bis 5 aus und legen ein "kreativ schwieriges Verhalten" an den Tag. Die schaffen es dann möglicherweise, die ganze Gruppe aufzumischen, wobei 10 Jungen eigentlich ansprechbar sind. Gerade an den gut integrierten und sozial kompetenten Jungen kann man aber sehen, wie heranwachsende männliche Menschen gut begleitet werden können. "Das sind nämlich meist Jungen, die sich auf eine klare Führung und einen guten Beziehungshintergrund stützen können."
Sieben Ratschläge zum Nachdenken
Mit diesem Hintergrund können Eltern und Lehrer sogar die schwierige Zeit der Pubertät relativ gelassen überstehen. Denn vor allem mit größeren Jungen funktioniert kein Prinzip mehr, das sich letztlich auf Überlegenheit und Macht gründet. Winter beschreibt diese Tatsache mit einem sehr konkreten Bild. "Einen kleinen Jungen kann ich an einer Hand schnappen und hochlupfen, dann ist der weg von der Straße. Ab der Pubertät geht das nicht mehr und man sollte das auch nicht versuchen." Natürlich sitzen auch Eltern von Pubertierenden immer noch am längeren Hebel. Doch im täglichen Zusammenleben ist das keine Basis für eine gute Beziehung. "Dazu muss man wissen, dass dem Menschen das Kooperieren angeboren ist, nicht die Konfrontation und das Kämpfen." Eltern müssten sich dabei aber auch selbst gut in den Blick nehmen: Auch mit ihren schlechten Seiten sind Jungen oft so etwas wie ein Spiegel der Eltern.
Sieben Schritte zur gelingenden Jungenerziehung schlägt Winter in seinem Buch vor. Einer der wichtigsten: "Wenn man bei jedem kleinen Konflikt gleich gekränkt ist und aus der Beziehung geht, dann kann man nicht erwarten, dass der Junge mitspielt." Winter rät Eltern deshalb in besonders emotionalen Situationen zu einer kurzen Auszeit. Sie könnten beispielsweise sagen: "Stopp, so geht das nicht. Ich bin gerade so aufgeregt, wir reden in einer halben Stunde darüber." Dann merke der Junge, dass er eine Grenze überschritten hat, die Eltern müssen aber nicht gleich über Konsequenzen verhandeln. Haben sich alle wieder ein wenig beruhigt, kann man mit kühlem Kopf agieren und wahrscheinlich auch besser in der Beziehung mit dem Jungen bleiben.
Winter gibt aber auch Dinge zu bedenken, die auf den ersten Blick wenig mit den täglichen Kämpfen mit Jungen zu tun haben scheinen. Er fragt nach dem Wertehintergrund, vor dem Mütter und Väter agieren. Schon im Nachdenken darüber, so seine Erfahrung, nehmen viele Eltern eine ganz andere innerliche Haltung ein. So kann beispielsweise der Konflikt über ausufernde Computerzeiten ganz anders besprochen werden, wenn der Vater seine Entscheidung so begründe: "Ich sage das, weil mir Gesundheit wichtig ist, nicht weil ich dich unterdrücken will. Und der Junge wird über seine Gesundheit nachdenken und vielleicht weniger lange am Computer sitzen." Vielleicht aber auch nicht. Aber sogar in diesen Phasen sind Klarheit und Nähe gut, ebenso wie Zuversicht und Gelassenheit.
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Quelle: ntv.de