Brandsätze halten Berlin in Atem Bahn setzt 100.000 Euro aus
12.10.2011, 19:49 Uhr
Die Bundespolizei zeigt am Berliner Hauptbahnhof Präsenz.
(Foto: dapd)
16 Brandsätze hat die Polizei in und um Berlin gefunden, doch von den Tätern fehlt jede Spur. Die Bahn stellt eine Belohnung für ihre Ergreifung in Aussicht. Unterdessen streitet die Politik um die Bewertung der Anschläge. Verkehrsminister Ramsauer spricht von "Terrorismus", das Innenministerium sieht keine Hinweise auf linke terroristische Strukturen.
Nach immer neuen Funden von Brandsätzen an Bahnanlagen im Großraum Berlin hat die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen übernommen. Es bestehe der Verdacht der "verfassungsfeindlichen Sabotage", erklärte ein Sprecher der Behörde. Das Bundeskriminalamt (BKA) sei mit der Aufklärung beauftragt worden.

Die Signale stehen auf Rot: Im Zug- und S-Bahnverkehr kommt es zu Verzögerungen.
(Foto: dpa)
Die Bahn setzte eine Belohnung von 100.000 Euro für die Ergreifung der Täter aus. Am dritten Tag in Folge wurden in Berlin an Gleisen der Bahn entdeckt. Dadurch waren zeitweise zwei der drei wichtigen ICE-Verbindungen von und nach Berlin gestört. Bundesweit verspäteten sich seit Montag rund 2000 Züge. Zehntausende Reisende waren betroffen.
Hauptstadt "im Pausenmodus"
Die Politiker sind uneins, ob es sich bei den Taten um eine neue Dimension linksextremer Gewalt handelt. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) verurteilte die versuchten Brandstiftungen als "verbrecherische terroristische Anschläge".
Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe ist unter anderem zuständig für die Verfolgung terroristischer Gewalttaten. Ein Sprecher sagte, "Ausmaß und Anzahl der Anschläge" sprächen für eine besondere Bedeutung des Falles. "Verfassungsfeindliche Sabotage" setze voraus, dass sich die Täter "absichtlich für Bestrebungen gegen den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze" einsetzen.
Nach den ersten Anschlägen war ein Bekennerschreiben im Internet aufgetaucht. Eine linksradikale Gruppe protestierte darin gegen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan. Dort hieß es, die Sabotagehandlungen sollten die Hauptstadt "in den Pausenmodus" zwingen.
Verfassungsschutz: Kein Rückhalt in Bevölkerung
Der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Wolfgang Bosbach, sagte bei n-tv, dass linksextremistische Gewalttaten in diesem Jahr deutlich gestiegen seien. Er rief dazu auf, "äußerst wachsam" zu sein. Deutschland habe "massive Probleme insbesondere mit dem gewaltbereiten Linksextremismus".

Beamte stellen Brandsätze in der Nähe des Berliner Bahnhofs Staaken sicher.
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Zugleich kritisierte er es als einen "kapitalen politischen Fehler" des Senates in Berlin, dass in den letzten Jahren über 3000 Stellen im Polizeibereich abgebaut wurden. "In keiner anderen deutschen Großstadt hat es bei der Polizei einen so massiven Stellenabbau gegeben wie hier in Berlin. Hier brauchen wir die politische Trendwende." Die Bürger müssten wachsam sein.
Auch Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann zeigt sich in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" besorgt: "Der Linksextremismus eskaliert zum Linksterrorismus." Die jüngsten Anschlagsversuche auf Bahnanlagen seien keine Zufallstaten mehr. "Das ist eine weitere Verschärfung im Rahmen einer ganzen Kette linksextremistischer Anschläge." Schünemann erinnerte an die in den 70er Jahren aktiven Revolutionären Zellen: "Der Weg von Brandanschlägen zu gezielten Mordanschlägen ist nicht weit."
Innenministerium sieht keinen neuen Linksterrorismus
Das Bundesinnenministerium sieht dagegen nach den versuchten Brandanschlägen auf Bahnanlagen in Berlin noch keinen neuen Linksterrorismus in Deutschland. Es gebe bislang keine Hinweise darauf, dass aus den linksextremistischen Strukturen bereits linksterroristische Vereinigungen im Sinne des Strafgesetzbuches geworden seien, sagte Ministeriumssprecher Jens Teschke. "Trotzdem sind wir der Ansicht, dass wir auf der Hut sein und allen Strukturen im Ansatz entschieden entgegenwirken müssen, die sich zum Linksterrorismus entwickeln können."
Der Verfassungsschutz geht von einer isolierten Einzelgruppe aus. "Derartige Angriffe auf Infrastruktur, mit dem Ziel maximalen Schaden zu verursachen, sind auch für die gewaltbereite Szene in Berlin eine Besonderheit", sagte Verfassungsschutzchefin Claudia Schmid dem "Tagesspiegel". Die Sabotageaktion sei ein Eigentor für die Täter. "Für Anschläge in dieser Dimension gebe es kaum Rückhalt, weil damit die ganz normale Bevölkerung getroffen wird." Bereits der Brandanschlag auf Kabelstränge am S-Bahnhof Ostkreuz im Mai sei in der Szene umstritten gewesen.
Polizei rechnet mit weiteren Funden
Die Polizei geht davon aus, dass alle Brandsätze gleichzeitig von mutmaßlich linksextremistischen Tätern deponiert wurden. Insgesamt wurden bislang mindestens 16 Brandsätze in der Hauptstadt und dem Umland sichergestellt. Die Polizei schloss nicht aus, dass es noch weitere Sprengsätze gibt. Bislang konnten keine Täter gefasst werden. Verletzt wurde niemand.

Die Polizei geht davon aus, dass noch weitere Brandsätze entdeckt werden könnten.
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An der ICE-Strecke Richtung Hannover wurden an der Landesgrenze zu Brandenburg Überreste eines gezündeten Brandsatzes gefunden. Er war vermutlich schon am Montag explodiert, hatte aber die Kabel kaum beschädigt, so dass der Zugverkehr nicht beeinträchtigt wurde. In der Nähe lagen noch zwei weitere Brandsätze, die nicht gezündet hatten. Offenbar sorgt das beständig regnerische Wetter dafür, dass kein Feuer entsteht.
In der Nähe des Bahnhofes Südkreuz südlich der Innenstadt entdeckten Polizisten im Lauf des Tages zwei Brandsätze. Einer lag am S-Bahnring, der zweite wenige hundert Meter entfernt.
Die Täter verwendeten meist Plastikflaschen, die mit Benzin gefüllt und mit Zündern versehen waren. Sie wurden in Kabelschächten deponiert und sollten Leitungen zerstören, mit denen Weichen und Signale gesteuert werden. Eine Gefahr für Menschen sahen Experten nicht, weil bei einem Ausfall der Technik alle Züge gestoppt werden.
Sicherheit soll erhöht werden

Der Sicherheitsbeauftragte der Bahn, Gerd Neubeck.
(Foto: dpa)
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich kündigte an, dass die uniformierten und zivilen Streifen verstärkt würden. Zudem würden Hubschrauber eingesetzt. Der CSU-Politiker sagte, er sei "außerordentlich besorgt" wegen der Anschläge und Anschlagversuche. Die Bahn prüft nach Angaben des Sicherheitschefs Gerd Neubeck, ob weiteres Sicherheitspersonal eingestellt wird.
Der Bahn-Sicherheitsbeauftragte schloss nicht aus, dass in den nächsten Tagen weitere Brandsätze gefunden werden. "Sie müssen sich das so vorstellen, dass wir die Strecken rund um Berlin in Kreisen, die wir immer erweitern, absuchen. Dabei ist es natürlich denkbar, dass man auf weitere Brandsätze stößt", sagte Neubeck. Die Fahrgäste müssten sich trotzdem keine Sorgen machen.
Quelle: ntv.de, ghö/dpa