Politik

Craxi vor Augen Berlusconis Obsession

Der alte Mann und die junge Prostituierte: Berlusconi und Ruby.

Der alte Mann und die junge Prostituierte: Berlusconi und Ruby.

(Foto: dpa)

Italien ist keine Demokratie mehr, wie wir sie kennen. Wer hier Fernsehen schaut, muss auf alte DDR-Erfahrungen zurückgreifen: Aus den Dementis muss man sich die Nachricht rückwärts zusammenbasteln. Berlusconis Kampf gegen das Recht droht das Land in den Abgrund zu reißen.

Für Stefania Craxi haben sich tausende Richter und Staatsanwälte zusammengeschlossen, um Silvio Berlusconi den Garaus zu machen. Nichts von dem, was nun in Mailand gegen Berlusconi vorgebracht wird, ist wahr. Es ist alles eine Erfindung, Teil einer gigantischen Verschwörung. Stefania Craxi ist die Tochter von Bettino Craxi, des Sozialistenführers, der 1995 auf der Flucht vor den Haftbefehlen aus Mailand ins Exil nach Tunesien flüchtete, wo er auch starb. Die Mailänder Staatsanwälte hatten ihm 10 Jahre Haft wegen Bestechlichkeit aufgebrummt - für die Tochter war er ein unschuldig Verfolgter, ein Menetekel für den armen Silvio Berlusconi, dem nun Ähnliches droht.

Nein, das ist nicht das schlechte Script von Charlie Sheen, der sich jetzt in Italien ein neues Thema sucht. Nein, ich habe nicht schlecht geschlafen. Das ist leider die Wirklichkeit Italiens: ein Premier, der einen Rundumkrieg gegen die Justiz in all ihren Rängen und Formen führt, weil er sich als politischer Verfolgter sieht. Dem es nicht passt, dass er derzeit in vier Gerichtsverfahren als Angeklagter auf der Bank sitzt: Zeugenbestechung, zweimal Steuerhinterziehung und nun auch noch Amtsmissbrauch und Anstiftung zur Prostitution. Im Hintergrund drohen noch zwei weitere Verfahren, noch einmal Amtsmissbrauch in Rom, wegen des Drucks auf Journalisten in der RAI, und die schlimmste mögliche Anklage, Beihilfe zur Mafia, weil er über seinen alten Weggefährten und Gründer seiner ersten Partei Forza Italia Marcello Dell’Utri Kontakte zur Mafia gehabt haben soll.

Niemand könne so viel Böses verbrochen haben, meinen die Fans von Berlusconi. Worum es dabei im Detail geht, weiß dabei niemand. Kein RAI-Sender und schon gar keiner seiner eigenen Sender hat die Anklagen und Verfahren gegen ihn jemals erläutern dürfen. Das ist das eherne Gesetz des italienischen Fernsehens. Die besten Stücke darf man hier nicht erzählen. So ist das öffentliche Bewusstsein leergefegt von Fakten. Im Fernsehen gibt es nur Meinungen, keine Fakten. Keine Dokumentarfilme, keine politischen Reportagen. Allenfalls Buchleser und Internauten sind informiert.

Wer in Italien Fernsehen schaut, muss auf alte DDR-Erfahrungen zurückgreifen: Aus den Dementis muss man sich die Nachricht rückwärts zusammenbasteln. Um die Fälle richtig zu verstehen, reicht das natürlich nicht.

Prozessverschleppung lohnt jetzt nicht

Berlusconi selbst tritt am ersten Prozessauftakt vermutlich noch nicht auf.

Berlusconi selbst tritt am ersten Prozessauftakt vermutlich noch nicht auf.

(Foto: AP)

Mit dem Fall Ruby, der ab diesem Mittwoch in Mailand verhandelt wird, ist die Mega-Verschwörung gegen Berlusconi zu einem dramatischen Höhepunkt gekommen. Alle Mittel, mit denen Berlusconi die anderen Klagen abwehren konnte, greifen hier nicht mehr. Im Normalfalle nutzten die Anwälte Berlusconis die Verkürzung der Verjährungsfristen als Allzweckwaffe. Dank der eigenen Parlamentsmehrheit wurden diese in vielen Verfahren so abgekürzt, auch bei laufenden Verfahren, das Berlusconis Fälle selbst kurz vor dem endgültigen Urteil davon kam weil die Verfahren im letzten Augenblick eingestellt werden mussten: Eine kleine, aber nette Besonderheit des italienischen Rechtssystems, welche die Fristen nicht ruhen lässt, auch wenn der Prozess läuft. Prozessverschleppung lohnt sich also immer in Italien.

Im Falle Ruby funktioniert das aber nicht: Die Straftaten sind erst vor wenigen Monaten begangen worden und Berlusconi selber hat die Fristen hier noch verlängern lassen, um sich ein Image als unnachsichtiger Verfolger der Prostitution den richtigen Anstrich zu geben. Das wendet sich nun gegen ihn.

Verachtung für den "geilen alten Mann"

In einer normalen Demokratie mit einer freien Presse wäre seine letzte und einzige Verteidigungsstrategie überhaupt nicht denkbar: Die Hölle kalt lügen. Alles abstreiten, behaupten, Bunga-Bunga sei ein Scherz, man habe nur Coca Cola light bei den Nächten in Berlusconis Villa in Arcore getrunken und die Mädchen seien um 11 Uhr abends alle wieder zuhause gewesen. Im Internet kann jeder die Anklageschrift, die auf mittlerweile 22 CDs passt, nachlesen. All die abgehörten Telefonaten der Damen, es sind mittlerweile 43, wie sie ums Geld feilschen, wie sie von Festen berichten, wie sie untereinander offen zugeben, dass sie es für Geld tun, für viel Geld, all die Verachtung für den alten geilen Mann, wie sie ihn immer wieder nennen. Ein sexkranker Mann, das ist klar für jeden, der diese Nächte journalistisch verfolgen muss.

Karima El Mahroug, besser bekannt als "Ruby", lässt im TV-Interview ein paar Tränen kullern.

Karima El Mahroug, besser bekannt als "Ruby", lässt im TV-Interview ein paar Tränen kullern.

(Foto: dpa)

Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Je mehr Anklagen gegen Berlusconi erhoben werden, desto mehr glaubt ein Teil Italiens an die Verschwörung gegen ihn: Deswegen, so sinniert Frau Craxi, habe Berlusconi auch das Recht, sich Gesetze auf den Leib schneidern zu lassen: "ad personam", wie es hier gebildet heißt, was aber die Substanz nicht ändert. Es ist der Missbrauch des Parlaments für die allerprivatesten Zwecke einer Person.

Putin ist ein Waisenknabe

Das Parlament lässt sich missbrauchen, weil die Abgeordneten von ihm ernannt worden sind - in einer festgelegten Liste, wie in einer Diktatur. Kein Wähler kann noch entscheiden, ob er in seinem Wahlkreis lieber einen anderen Kandidaten als den anderen möchte: Es gibt nur einen nationalen Wahlkreis und eine Mehrheitsprämie für die Partei, die die relativ stärkste ist. Das ist keine Demokratie mehr, wie wir sie kennen. Und Berlusconi ist sich sicher, dass er immer eine Stimme mehr haben wird: Er hat das Fernsehen, privat wie staatlich, er hat den größten Medienkonzern, er hat die Werbung in seiner Hand, er hat Versicherungen, Banken, Telekommunikationsunternehmen, er steckt in allem und jedem. Putin ist ein Waisenknabe dagegen.

Nur die Justiz ist formal noch unabhängig. Die Regierung kann der Staatsanwaltschaft keine Weisungen geben: Auch das will Berlusconi noch ändern, die geplante Justizreform sieht genau diese Unterordnung vor. Nicht das mickrige Wirtschaftswachstum, die mit 25 Prozent extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit, die immense Staatsverschuldung von über 120 Prozent sind das erste Thema auf der Regierungsagenda in Rom: nein, immer wieder die Justiz. Es ist eine Obsession, die Italien in den Abgrund zu ziehen droht. Das ganze Land redet nur über die Justiz, die Berlusconi verfolgt: Weil Berlusconis Medien leichterhand die Themen setzen können.

Viele, sehr viele Italiener haben Berlusconis Partei ergriffen, ohne wenn und aber.

Berlusconi ist Seele und Körper Italiens - des einen Teils. Eine Hälfte Italiens hat sich vollkommen mit ihm identifiziert. Sein Kampf gegen die Justiz ist auch ihr Kampf. Jeder Erfolg gegen die Steuereintreiber ist auch ihr Erfolg, ihre Hoffnung.

Udo Gümpel ist Italien-Korrespondent von n-tv.

Udo Gümpel ist Italien-Korrespondent von n-tv.

Silvio Berlusconis Angst ist, so zu enden, wie sein politischer Ziehvater Bettino Craxi, Empfänger der größten Bestechungsgelder der italienischen Geschichte, gestorben im Exil, in Tunesien, von Haftbefehlen verfolgt, von den alten Weggenossen vergessen, in der Öffentlichkeit verfemt: Das ist die große Angst, die Silvio Berlusconi seit 20 Jahren antreibt, die ihn zum Politiker werden ließ, die ganz Italien seit 1993 lähmt.

Quelle: ntv.de

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