Politik

Kommentar Die EU sollte Schottland nicht abweisen

2014-09-18T062832Z_2085731312_GM1EA9I143Z01_RTRMADP_3_SCOTLAND-INDEPENDENCE.JPG8305093347419193674.jpg

Heute könnten sich die Schotten für einen eigenen Staat entscheiden. Ihr Ziel wäre es dann, EU-Mitglied zu werden. Das sollte man ihnen nicht verwehren, immerhin haben sie für ihren radikalen Weg gute Gründe.

Von Deutschland aus betrachtet wirkt es befremdlich, was sich da in Schottland tut. Dem Land geht es gut, es hat weniger Arbeitslose als der Rest Großbritanniens, weniger Armut, dazu Ölreserven. Er herrscht keine Not, die es unbedingt erforderlich machte, sich von London loszusagen. Und nun hat im Regionalparlament seit dreieinhalb Jahren eine Partei die absolute Mehrheit, die das Wort "national" im Namen trägt. Heute will sie ihre Ankündigung wahr machen, ein eigenständiges Schottland zu schaffen. Zerreißen dort Populisten ohne Not einen stabilen Staat? Machen sich die wohlhabenden Schotten mit dem Öl davon, das eigentlich allen Briten zustünde? Und muss man so ein Land dann auch noch in die EU aufnehmen?

Ja, das sollte man, denn jenseits aller Dudelsack-Romantik haben die Schotten gute Gründe, sich vom Vereinigten Königreich loszusagen. Das vielleicht wichtigste der vielen Argumente ist die soziale Gerechtigkeit. Große Teile des Volksvermögens liegen bei wenigen, oft adeligen Familien. Auch die Einkommen klaffen zwischen sehr niedrig und sehr hoch auseinander. Die aktuelle wirtschaftsliberale Politik der Cameron-Regierung ist nicht dazu geeignet, an dieser Situation etwas zu ändern. Die Unabhängigkeit Schottlands ist auch eine soziale Idee. Ihre Gegner sind auch deswegen so aufgebracht, weil sie den Verlust ihrer Privilegien fürchten.

Überreste der Monarchie und angestaubte Rituale

Dass es sich die Schotten zutrauen, ihr Land selbst zu regieren, hat mit dem gut funktionierenden Regionalparlament zu tun. Es arbeitet ganz anders als die Volksvertretung in London, wo sich normalerweise nur zwei Parteien gegenüberstehen und die stärkere über das Regierungsprogramm alleine entscheiden kann. Das System in Edinburgh ist auf Konsens und Koalitionen ausgelegt, auch Minderheiten können es ins Parlament schaffen. Die Überreste der Monarchie in London wie das "House of Lords" und die angestaubten Rituale schrecken die Menschen ab. In Schottland gibt es so etwas nicht. Das Verlangen nach Unabhängigkeit ist auch ein Verlangen nach mehr und besserer Demokratie.

Dass das Parlament in Edinburgh auf lange Zeit von den "Nationalisten" beherrscht wird, ist nicht anzunehmen. Die SNP bekam bei der letzten Wahl Stimmen aus allen Lagern, weil sie am glaubwürdigsten die Unabhängigkeit vorantrieb. Wenn dieses Ziel erreicht ist, werden sich die Wähler wieder den anderen Parteien zuwenden. Im Mai 2016 wird gewählt. Wenn Schottland den Antrag auf EU-Mitgliedschaft stellt, könnte sich das Parteiensystem schon wieder normalisiert haben.

Es wäre unfair von Spanien, sich quer zu stellen

Widerstand gegen einen EU-Beitritt wird zum Beispiel von Spanien erwartet. Denn die Aufnahme würde die Katalanen stärken, die mit ihrer Unabhängigkeit Spanien viel Wirtschaftskraft entziehen würden. Doch auch die Katalanen haben das Recht, über sich selbst zu bestimmen. Der Konflikt zwischen Madrid und Barcelona ist keine EU-Angelegenheit und sollte nicht auf dem Rücken der Schotten ausgetragen werden.

Ein unabhängiges Schottland wäre kein Schurkenstaat, sondern eine moderne Demokratie, so demokratisch geschaffen wie kaum ein anderes Land auf der Erde. Sofern es auch noch die formalen Kriterien erfüllt, sollte die EU Schottland als neues Mitglied willkommen heißen – selbstverständlich und so bald wie möglich.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen