Neue Angriffsziele Energieversorgung im Visier
12.10.2006, 17:43 UhrIslamistische Terrorgruppen nehmen nach Einschätzung der Geheimdienste zunehmend die weltweite Energieversorgung ins Visier, um die westlichen Staaten zu destabilisieren. In den vergangenen Jahren sei die Zahl der Anschläge gegen die Energieinfrastruktur deutlich gestiegen, sagte der Chef des Bundesnachrichtendienstes, Ernst Uhrlau, am Donnerstag bei einer BND-Konferenz zum Thema Energiesicherheit in Berlin.
Neben einer höheren Zahl von Bombenanschlägen gegen Pipelines, Kraftwerke und Raffinerien habe sich auch die Qualität der Angriffe deutlich verändert, sagte Uhrlau vor Geheimdienst- und Energieexperten aus mehr als 60 Ländern. Hätten Terrorgruppen früher eher Ziele von regionaler Bedeutung wie Öl-Leitungen einzelner Länder angegriffen, sei heute eine Beeinträchtigung der globalen Energieversorgung Ziel radikaler Gruppen. Als Vorreiter bei der Identifizierung der Energieversorgung als strategischem Ziel für Anschläge hat der BND das islamistische El-Kaida-Netzwerk von Osama bin Laden ausgemacht. "El-Kaida hat seit etwa drei Jahren auch die Weltenergieversorgung ins Fadenkreuz genommen und damit Anschlagsoptionen für die islamischen Terrornetzwerke definiert", sagte Uhrlau.
Mehr als 100 Anschläge pro Jahr
Der Chef der BND-Abteilung internationaler Terrorismus, Heiner Wegesin, bezifferte die Zahl der Anschläge auf Ölfördereinrichtungen, deren Mitarbeiter und auf Pipelines allein im Irak seit 2003 auf mehr als 300. Daneben gebe es zunehmend professionell organisierte Anschläge auch in Saudi-Arabien und im Jemen. Ein Abflauen der Angriffe gegen die Ölförderung ist nach Einschätzung des BND-Experten nicht zu erwarten. Durch die religiöse Propaganda gegen die Plünderung islamischer Ressourcen durch "westliche Kreuzfahrer" sei eine "stabile Motivationslage" für Anschläge gegeben. Allerdings könne bezweifelt werden, dass radikal-islamische Gruppen über die Fähigkeit zu einem fatalen Anschlag mit weit reichenden Auswirkungen auf die Weltwirtschaft verfügten. Möglicherweise müssten strategisch besonders bedeutsame Transportrouten für Öl künftig dennoch – zumindest zeitweise – auch militärisch geschützt werden, sagte der Experte.
Kritik an Machtpolitik über Rohstoffe
Uhrlau wies wie Kanzleramtschef Thomas de Maiziere dem Streben nach einer sicheren Energieversorgung eine zentrale Rolle in der Sicherheitspolitik für die kommenden Jahrzehnte zu. "Fragen der Energiesicherheit werden die globale Sicherheitsagenda im 21. Jahrhundert wesentlich mitbestimmen."
De Maiziere zeigte sich besorgt über zunehmende terroristische Angriffe auf die Energieversorgung westlicher Staaten. "Die Sicherung der weltweiten Energieinfrastruktur muss gesichert werden, sie ist an vielen Stellen verwundbar durch Anschläge und Kriege", sagte der CDU-Politiker. Man verzeichne eine "signifikante Zunahme der Bedrohung der internationalen Energie-Infrastruktur durch Terrorismus."
De Maiziere kritisierte das Bestreben rohstoffreicher Länder, ihre Energiereserven zunehmend als politische Waffe einzusetzen. Ohne Staaten wie Russland, den größten Gasexporteur nach Deutschland, beim Namen zu nennen, sagte der Kanzleramtsminister, einige Länder seien dabei, ihre Gas- und Ölreserven als "Machtwährung zu entdecken oder wiederzuentdecken". Dies führe zu einer "tiefgreifenden Veränderung der geopolitischen Landschaft", mit weit reichenden Konsequenzen.
Der Kanzleramtschef kündigte an, die Bundesregierung werde die Versorgungssicherheit mit Energie zu einem Schwerpunkt ihrer Präsidentschaft der führenden Industriestaaten (G-8) im kommenden Jahr machen. "Die Energieversorgung Europas kann keineswegs als gesichert angesehen werden", bilanzierte er.
Quelle: ntv.de