Schlagfertiger EU-Kandidat Oettinger überrascht
14.01.2010, 16:38 UhrDer designierte Energie-Kommissar zeigt sich bei der Anhörung im EU-Parlament ungewohnt schlagfertig: Oettinger gibt sich als überzeugter Europäer, distanziert sich von der Atomkraft und pariert auch heikle Fragen zum Verhältnis zu antisemitschen Kreisen. "Gut vorbereitet" und "souverän", urteilen selbst Kritiker des scheidenden Ministerpräsidenten.
Feuerprobe bestanden: So lautete das allgemeine Urteil nach der Anhörung des designierten deutschen EU-Energiekommissars Günther Oettinger im Europaparlament. Heikle Fragen zu seiner Unternehmensnähe, zur Atomenergie aber auch zu seinem Verhältnis zu Juden konterte der 56-Jährige mit Schlagfertigkeit und Angriffslust. Selbst Sozialdemokraten und Grüne stellten dem CDU-Mann ein überwiegend positives Zeugnis aus. So urteilte etwa der Grünen-Abgeordnete Reinhard Bütikofer beim Internetdienst Twitter, dass Oettinger "gut vorbereitet" und "souverän" gewesen sei.
Oettinger beherzigte den Tipp seines Vorgängers Günter Verheugen, vor den EU-Abgeordneten aus den 27 Mitgliedsländern nicht als deutscher Platzhirsch aufzutreten. "Ich bin nicht der deutsche Kommissar, ich bin der von Deutschland vorgeschlagene Kommissar", sagte der scheidende baden-württembergische Ministerpräsident.
Die europäischen Volksvertreter stimmen am 26. Januar über die neue EU-Kommission ab. Bis dahin müssen sich die Anwärter jeweils gut dreistündigen "Kreuzverhören" stellen. Europas "Geschäftsführung" soll dann am 1. Februar die Arbeit aufnehmen.
Oettingers "drei Säulen"
Durch Europabegeisterung war Oettinger bisher nicht aufgefallen, auch nicht bei seiner ersten Vorstellung gegenüber dem Parlament. Wer deshalb aber ein Kreuzverhör erwartet hatte, wurde enttäuscht. Die Parlamentarier gaben Oettinger ausgiebig Gelegenheit, seine Vorstellungen zu Energiefragen für die kommenden fünf Jahre darzulegen. So kündigte Oettinger für Anfang nächsten Jahres einen "Aktionsplan" zum Energiesparen an und schloss zur Zufriedenheit der Grünen auch gesetzliche Zwänge nicht aus.

Die Abgeordneten der 27 EU-Staaten müssen die Mitglieder der Kommission absegnen.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Als "drei Säulen" bezeichnete Oettinger Wettbewerbsfähigkeit, Nachhaltigkeit und Versorgungssicherheit. "Wir brauchen den umfassenden Richtungswechsel in der Energiepolitik", sagte er. Notwendig seien eine kohlenstoffarme Wirtschaft, mehr Energiesicherheit und Solidarität der EU-Staaten miteinander besonders bei der Gasversorgung. Die EU will die sogenannte Energieeffizienz bis 2020 um 20 Prozent verbessern. Dabei handelt es sich bisher um ein rein freiwilliges Ziel.
"Nicht Botschafter für Kernkraft"
Atomkraftgegnern aus Österreich kam er etwa mit der Ankündigung entgegen, er "respektiere die Aufgabenverteilung" und dass Kernkraft Aufgabe der Mitgliedstaaten sei. "Ich sehe mich als Moderator, nicht als Botschafter für Kernkraft. Es gibt Länder, für die die Nuklearkraft eine langfristige, und nicht nur eine Brückentechnologie ist", sagte er. "Beides habe ich zu respektieren."
Und Abgeordnete aus Polen und anderen osteuropäischen Ländern zeigten sich angenehm überrascht über seine Distanzierung von der Ostsee-Pipeline, die russisches Gas unter Umgehung dieser Länder direkt nach Deutschland pumpen soll. Die ganzen Nettigkeiten veranlassten den FDP-Politiker Jorgo Chatzimarkakis zu der Frage, ob Oettinger auch bereit sei, einmal "die Boxhandschuhe anzuziehen", wie bisher gegenüber der Kanzlerin.
Kritische Fragen musste sich Oettinger insbesondere in punkto Unternehmensnähe gefallen lassen. Auf die Frage des Luxemburger Grünen Claude Thurmes, ob er nicht den Bossen großer Energiekonzerne wie RWE und Eon zu nahe stehe, antwortete Oettinger: Er habe einmal auf einer Benefizveranstaltung für Kinder Skat mit RWE-Chef Jürgen Großmann gespielt. "Er kann ordentlich spielen, und hat auch ordentlich verloren", sagte Oettinger und hatte die Lacher auf seiner Seite.
Filbingers Schatten
Oettingers umstrittene Äußerungen zur NS-Zeit kamen bei dem dreistündigen Frage- und Antwort-Spiel im Parlamentsausschuss für Industrie, Forschung und Energie nicht zur Sprache. 2007 hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel den Ministerpräsidenten öffentlich zurückpfeifen müssen, nachdem er seinen Vorgänger Hans Filbinger als "Gegner des Nationalsozialismus" bezeichnet hatte.
Die schwedische Sozialdemokratin Marita Ulvskog legte dann aber doch den Finger in die Wunde. Die Abgeordnete verlangte Auskunft, was es mit Oettingers Mitgliedschaft in dem Studienzentrum Weikersheim auf sich habe - einer von Filbinger mitbegründeten rechtskonservativen Denkfabrik, die wegen antisemitischer und homophober Äußerungen in der Kritik stand. Oettinger antwortete, er habe die Mitgliedschaft niedergelegt und pflege eine "von Vertrauen und Freundschaft" geprägte Beziehung zur jüdischen Gemeinschaft.
"Wahrheit erst auf dem Platz"
Auch mit Eurokraten-Englisch versuchte Oettinger zu überzeugen. Begriffe wie "green energy" (grüne Energie) und "smart grid" (intelligentes Energienetz) gingen dem durchweg schwäbelnden Stuttgarter flüssig über die Lippen. Gelegentlich rettete er sich allerdings auch in Platitüden. Nach seinem Energiekonzept für Verbraucher befragt sagte er: "dass jeder Mann und jede Frau eine warme Wohnung hat und warmes Wasser."
Am Schluss bedankte sich der sichtlich erleichterte Oettinger bei den Abgeordneten: "Vielen Dank für eine Atmosphäre, die angenehmer war, als mir alle vorhergesagt haben." Sein neues Amt dürfte er zum 1. Februar nun problemlos antreten können. Sein baden-württembergischer Landsmann Bütikofer warnte aber vor zu vielen Vorschusslorbeeren: "Um es in der Fußballsprache zu sagen: gute Trainingsleistung, aber die Wahrheit kommt erst auf dem Platz."
Quelle: ntv.de, tis/AFP/dpa