Politik

Südsudan vor Hungerkatastrophe "Uns läuft die Zeit davon"

Wo gekämpft wird, kann nicht gesät werden.

Wo gekämpft wird, kann nicht gesät werden.

(Foto: REUTERS)

Die Summe klingt gewaltig: Die internationale Gemeinschaft verspricht dem Südsudan mehr als 600 Millionen US-Dollar. Für Ralf Südhoff, Leiter des World Food Programms WFP in Deutschland, ist die Summe trotzdem nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Er fürchtet, dass alles noch viel schlimmer wird.

n-tv.de: Die Geberkonferenz für den Südsudan ist zu Ende, es hat neue Zusagen gegeben, wie bewerten Sie die Ergebnisse?

Ralf Südhoff: Auf der einen Seite sind die mehr als 600 Millionen US-Dollar, die zugesagt wurden, sehr viel Geld. Auf der anderen Seite ist es nicht einmal die Hälfte dessen, was gefordert wurde und was alle Hilfsorganisationen zusammen im Südsudan brauchen würden. Die Folgen könnten verheerend sein, insbesondere wenn man bedenkt, dass solche Zusagen ja teils gar nicht oder auch sehr spät tatsächlich eingelöst werden.

Was ist die größte Herausforderung für die Hilfe im Südsudan?

Die größte Herausforderung ist neben den fehlenden Mitteln der Zugang zu den Menschen. Das ist sehr schwierig durch die Kämpfe im Land und wird noch einmal erschwert durch die jetzt einsetzende Regenzeit. Vor allem letzteres ist tragisch, weil Helfer schon seit Januar darauf hinweisen, dass uns die Zeit davonläuft und wir jetzt sehr schnell Mittel brauchen. Die Chance, Nahrungsmittel über Land zu den Menschen zu bringen, endet im Lauf des Juni mit dem einsetzenden Regen. Dann werden zwei Drittel des Landes per Lastwagen nicht mehr erreichbar sein.

Was bedeutet das für Ihre Hilfe?

Wir mussten jetzt schon Luftbrücken einrichten und die Nahrungsmittel zu den Menschen fliegen. Das kann man in begrenztem Ausmaß auch tun, es ist nur unsagbar teuer. Hilfe aus der Luft kostet im Schnitt 35 mal mehr, als wenn man die Möglichkeit hat, den Menschen mit Lastwagen Nahrungsmittel zu bringen. Man kann dann umgekehrt auch 35 mal weniger helfen.

Ist die Lage im Südsudan denn typisch dafür, wie sich eine humanitäre Krise entwickelt?

Sie ist typisch für die schlimmste Krise, die man sich vorstellen kann. Auf der einen Seite leiden immer mehr Länder unter massiven internen Konflikten. Aktuell sind das der Südsudan, Syrien, auch die Zentralafrikanische Republik - die drei ganz großen Krisenherde, denen wir uns im Moment gegenübersehen. Zum zweiten ist die große Herausforderung, dass vor allem solche Länder auch oft schon unter den Folgen des Klimawandels leiden. In den letzten zehn, zwanzig Jahren gab es weltweit viermal mehr Wetterdesaster, Stürme, Hurrikans und Dürren. Länder wie Südsudan leiden unter weniger Regen. In Syrien ist das ganz ähnlich. Es kommt hinzu, dass die Ernten in Krisenzeiten stark rückläufig sind plus die internen Kämpfe. Viele Bauern trauen sich gar nicht mehr, aufs Feld zu gehen und essen in ihrer Not das Saatgut auf. So kommen sie in eine Abwärtsspirale, die wir jetzt eben auch im Südsudan befürchten. Die nächste Ernte wird schlecht und die nächste Krise wird umso schlimmer. Wenn nicht sehr schnell etwas geschieht, wird Ende des Jahres im Südsudan eine Hungersnot ausbrechen.

Dabei hatte es im vergangenen Jahr noch Fortschritte bei der Ernährungssicherheit im Südsudan gegeben. Auch schien sich seit der Staatsgründung die politische Lage zu stabilisieren. Warum gibt es immer wieder Rückschläge?

In diesem Fall liegt das eindeutig an internen Kämpfen und der Unverantwortlichkeit lokale Führer, die den Konflikt teils noch anheizen. Der Südsudan hat ja erst vor drei Jahren die Unabhängigkeit errungen und sich vom Norden gelöst. Damit gab es die Möglichkeit, ein Land, das quasi nicht existierte, von Grund auf neu aufzubauen. Das war und ist auch wegen der Öleinnahmen eine echte Chance. Nun haben sich aber die beiden führenden Figuren in diesem Land zerstritten, nicht zuletzt, weil sie sich anderen Ethnien zugehörig fühlen. Viele sagen aber auch, dass es im Kern um den Zugriff auf besagte Ölreserven geht. Wenn solche internen Konflikte nicht eingedämmt werden können, werden viele Länder keine Chance haben, dauerhaft Armut und Hunger hinter sich zu lassen. Aber es nützt den Menschen vor Ort gar nichts, wenn wir sagen, die Krise ist zu einem guten Teil hausgemacht. Die Menschen hungern und brauchen Hilfe.

Wie wirkt sich die Einschätzung, dass viel an den Problemen selbst verschuldet ist, auf die Spendenbereitschaft aus?

Man kann zwei Dinge feststellen. Die Menschen haben nur Aufmerksamkeit für einen Krisenherd, und das war lange Zeit Syrien. Mittlerweile kann man selbst mit Syrien nicht mehr durchdringen, weil alle mit gutem Grund auf die Ukraine schauen. Wenn man dann drei große Krisen auf höchster Notstufe hat, wie zur Zeit - und das gab es noch nie, dass wir mit Syrien, Südsudan und der Zentralafrikanischen Republik mit drei sogenannten Level-Drei-Krisen gleichzeitig konfrontiert sind - dann überfordert das Privatspender total.

Was tun Sie dagegen?

Wir müssen vor allem an die Regierungen appellieren, dass sie verantwortlich handeln und rechtzeitig helfen. Wenn die Unterstützung zu spät kommt, braucht es viel mehr Hilfe, um zu verhindern, dass aus einer Krise eine Katastrophe wird. Wenn wir jetzt in den friedlichen Teilen des Südsudan den Bauern Saatgut bereitstellen, können wir die Krise noch eindämmen. Aber dafür war das, was die Geberkonferenz beschloss, eindeutig zu wenig.

Was machen Sie jetzt mit dem Geld?

Wir nutzen das Geld, für das wir extrem dankbar sind, um dort, wo die Regenzeit noch nicht eingesetzt hat, Nahrungsmittel in Lagerhallen zu deponieren. So können wir in den nächsten Wochen und Monaten, wenn man diese Regionen nicht mehr erreichen kann, unsere Hilfe absichern. Und wir unterstützen vor allem die hunderttausenden Flüchtlinge in den Nachbarstaaten, die vor dem Konflikt geflohen sind.

Meist reichen kleine Spenden, um im Zielland viel zu bewirken. Vielleicht können Sie das mal vorrechnen?

Wir brauchen etwa 30 Euro, um eine komplette Flüchtlingsfamilie mit Kindern einen Monat lang zu versorgen. Wer ein Kind eine Woche lang unterstützen will, müsste dafür nur fünf Euro aufbringen. Man kann schon mit wenig Geld viel bewirken.

Im Südsudan sind eine Million Menschen auf der Flucht, was bedeutet das für jeden Einzelnen jeden Tag?

Menschen, die auf der Flucht sind, haben alles hinter sich gelassen. Sie sind tagelang gelaufen, um das nackte Leben zu retten, haben ihr Zuhause verloren, das Dach über dem Kopf, ihren Besitz und jede Möglichkeit, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Ich war kurz vor Weihnachten in einem Flüchtlingscamp und habe für die Kinder Schokoladen-Nikoläuse mitgebracht. Ein kleiner Junge, dem ich einen davon schenkte, sagte sofort, dass er den auf keinen Fall essen wolle. Als ich fragte, warum, sagte er: Das ist das erste Spielzeug, das er seit Monaten sieht. Er hat alles in seinem Dorf zurückgelassen, nun lebte er in einem Container, wo es dringendere Dinge gibt als Spielzeug. Die Lage ist für Millionen Menschen dramatisch, ohne Aussicht, wann es ihnen wieder besser geht. Das ist eine immense Herausforderung, wenn gleichzeitig die Welt wegschaut.

Mit Ralf Südhoff sprach Solveig Bach

Quelle: ntv.de

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