"Weglaufen heißt nicht, im Stich lassen" Was geschah wirklich in Afghanistan?
29.05.2013, 17:57 Uhr
Ein Trupp der Kommando Spezialkräfte (KSK) während der Klimazonenausbildung beim "Marsch in der Wüste".
(Foto: dpa)
Das deutsche Einsatzführungskommando bestätigt, dass afghanische Polizisten aus einem Gefecht flohen, bei dem Taliban-Kämpfer einen KSK-Soldaten erschossen. Dass die Afghanen die Deutschen im Stich ließen, will die Bundeswehr daraus aber nicht ableiten. Nur eine diplomatische Floskel?
Seit Tagen wird darüber gerätselt, ob deutsche Elite-Soldaten von afghanischen Polizisten bei einem tödlichen Gefecht mit Taliban-Milizen im Stich gelassen haben. Jetzt nimmt erstmals die Bundeswehr zu den Berichten Stellung und tut sich schwer mit einer Erklärung. Demnach bestätigte das Einsatzführungskommando, wonach afghanische Polizisten bei den Kämpfen flohen. Der Vorfall sei "in den Medien vom Ablauf her richtig dargestellt worden", sagte der stellvertretende Befehlshaber, Konteradmiral Rainer Brinkmann, in Potsdam. Er versuchte dem Eindruck entgegenzuwirken, die Afghanen hätten die Deutschen im Stich gelassen. "Das ist aus unserer Sicht in dieser Diktion falsch."
Auch die afghanische Polizei hatte die Medienberichte dementiert. "Ich weise energisch Beschuldigungen zurück, dass die Polizei während dieses Feuergefechts davongerannt ist", sagte der Polizeisprecher der Provinz Baghlan, Dschawid Bascharat.
"Zweimal im Stich gelassen"
Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" hatte unter Berufung auf Bundestagsabgeordnete berichtet, die Polizisten seien teilweise bis zu 700 Meter weit geflohen, als der deutsch-afghanische Trupp am 4. Mai in der Provinz Baghlan unter Beschuss geraten sei. Die KSK-Soldaten hätten das Feuer erwidert und Luftunterstützung angefordert, woraufhin neben zwei deutschen Kampfhubschraubern auch amerikanische Kräfte eingegriffen haben sollen. Ein US-Kampfflugzeug bombardiert die Stelle, an der die Aufständischen vermutet wurden.
Stunden nach dem Bombardement seien Polizisten und Soldaten an den Ort des Luftschlags zurückgekehrt und in einen Hinterhalt geraten. Dabei wurde ein 32 Jahre alter Hauptfeldwebel der Bundeswehr aus kurzer Distanz von mehreren Kugel tödlich getroffen. Ein weiterer KSK-Soldat wurde verwundet.
Laut "FAZ" hatte sich die Polizeieinheit dabei abermals "fluchtartig" aufgelöst. Während die verbliebenen KSK-Soldaten gekämpft hätten, hätten sich die Afghanen in sicherem Abstand aufgehalten. Der gefallene und der verwundete Soldat hätten knapp zwei Stunden nicht abtransportiert werden können. Die namentlich nicht genannten Abgeordneten, auf die sich die "FAZ" berief, waren von Generalinspekteur Volker Wieker unterrichtet worden. Auch deutsche Sicherheitskreise bestätigten den "FAZ"-Bericht. Später berichtete auch die "Süddeutsche Zeitung" unter der Überschrift "Zweimal im Stich gelassen".
"Spiegel Online" meldete, Wieker habe vor führenden Verteidigungspolitikern eingeräumt, dass man die Zusammenarbeit mit den Afghanen neu überdenken müsse. Der Vorfall ist von besonderer Bedeutung, weil die Planung des internationalen Afghanistan-Engagements darauf ausgerichtet ist, dass die afghanischen Sicherheitskräfte sich in naher Zukunft selbst helfen können.
Sicherheitslage deutlich schlechter
Die Bundeswehr veröffentlichte zudem eine korrigierte Statistik, nach der die Aufständischen im Zuständigkeitsgebiet der Bundeswehr im vergangenen Jahr weit häufiger angegriffen wurden als bisher bekannt. Demnach gab es 1228 sicherheitsrelevante Zwischenfälle und damit 241 mehr als im Vorjahr, was einem Anstieg von einem Viertel entspricht. Bisher waren nur 1009 Anschläge und Angriffe für 2012 erfasst.
Die neuen Zahlen gab Brinkmann in der kurzfristig einberufenen Pressekonferenz in Potsdam bekannt. Der Anstieg sei "die logische Konsequenz der Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die Afghanen", so Brinkmann. Diese habe Gegenreaktionen der Taliban hervorgerufen.
Quelle: ntv.de, ppo/dpa