Merkels dritte Kanzlerschaft "Politischer Zenit ist überschritten"
17.12.2013, 19:31 Uhr
Kanzlerschaft, die dritte. Angela Merkel hat ihr Ziel erreicht. Sie regiert das Land vier weitere Jahre. Mit ihrer dritten Kanzlerschaft zementiert die CDU-Chefin ihre Macht. Doch neben der Freude vieler Wähler und Politiker über ihre Wiederwahl startet in den deutschen Tageszeitungen eine Debatte über die Zukunft der alten und neuen Bundeskanzlerin: Beginnt jetzt der Abstieg der mächtigsten Frau der Welt, die im Jahr 2017 zwölf Jahre regiert haben wird? Läuft nun der Countdown für den Tag, an dem Merkels Kanzlerschaft endet? Oder tritt sie 2017 noch einmal an?

Bundespräsident Gauck überreicht Merkel im Schloss Bellevue die Ernennungskurkunde und wünschte ihr "eine gute Hand und Erfolg".
(Foto: imago/Metodi Popow)
Die Ausgangslage für die neue alte Kanzlerin ist nach Ansicht des Main Echos nicht einfach. Grund: "Mit Sigmar Gabriel hat Merkel einen Superminister an ihrer Seite, der lieber heute als morgen ihren Job übernehmen will". Nach Ansicht des Kommentators aus Aschaffenburg ist Merkel "in der Vergangenheit oft unterschätzt worden. Sie hat mit ihrem politischen Geschick Freund und Feind regelmäßig überrascht. In dieser Groko könnte aber auch sie an ihre machtpolitischen Grenzen stoßen. Denn ein Gabriel wird sich deutlich geschickter verhalten als die Westerwelles oder Röslers".
Die Zeitungsgruppe Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung aus Niederbayern ist durch das Abstimmungsergebnis, bei dem Merkel 32 Stimmen aus den Reihen der Großen Koalition fehlen, alarmiert: "Mit einem überragenden Ergebnis ist sie zur Bundeskanzlerin gewählt worden, doch im Parlament hat es aus den Reihen der Koalition einige Nein-Stimmen mehr gegeben, als Merkel erwartet haben dürfte. Für sie zweifellos auch eine Warnung".
Weniger dramatisch sieht die Eßlinger Zeitung das Abstimmungsergebnis: "Angela Merkel ist wieder Bundeskanzlerin. Das ist nun nicht besonders überraschend, allenfalls die relativ hohe Zahl der Gegenstimmen lässt aufhorchen". Für das Blatt aus Rheinland-Pfalz stellt dies jedoch "zum Start der Bundesregierung nicht mehr als einen Schönheitsfehler dar. Es ist eben politisch nahezu risikolos, in einer geheimen Wahl seinem Unmut freien Lauf zu lassen, wenn dem eigenen Lager nur eine zahlenmäßig schwache Opposition gegenübersteht. Sei's drum, die Regierungschefin wird es verschmerzen, denn mit ihrer dritten Wiederwahl gehört sie endgültig in den Kreis der 'Großen' in der Union und in der deutschen Politik".
Der in Bonn herausgegebene General-Anzeiger wirft die Frage auf, ob Merkel denn volle vier Jahre in ihrer dritten Amtszeit bleiben werde - und kommt zu dem Schluss, dass es der bestätigten Regierungschefin nicht "an der physischen Leistungsfähigkeit und dem emotionalen Engagement" mangele. Aber, so der Kommentar der nordrhein-westfälischen Zeitung: "Sie hat aus nächster Nähe erlebt, wie eine außenpolitisch gewiss historische Persönlichkeit wie Helmut Kohl mit dem Beharren auf einer fünften Kanzlerkandidatur 1998 für die CDU und sich selbst eine unmögliche Situation schuf. Langzeit-Kanzler werden irgendwann lästig, medial schwer vermittelbar und sie verlieren an Durchsetzungskraft".
Die Mitteldeutsche Zeitung hegt "angesichts des Koalitionsvertrages ernsthafte Zweifel", ob eine dritte Amtszeit von Angela Merkel dem Land gut tun werde. Nach Ansicht des Hallenser Blattes fehlt der CDU-Politikerin "eine Vision für das, was auch noch nach dieser Legislaturperiode passieren" müsse: "Mit diesem Vertrag und den guten Gaben versucht sie sich über die kommenden vier Jahre zu retten. Mehr schafft sie damit nicht. Menschlich verständlich, denn ihr Amt kostet viel Kraft. Außerdem, die mächtigste Frau der Welt kann nicht noch mächtiger werden. Die Kanzlerin hat ihren politischen Zenit überschritten. Für sie hat nun so etwas wie die zweite und letzte Amtszeit eines US-Präsidenten begonnen. Deshalb kann sie im Schloss Bellevue so unbeschwert lächeln".
"Freiwillig und geordnet jedenfalls wird Merkel sich nicht zurückziehen oder gar einen Nachfolger aufbauen", konstatiert die Berliner Zeitung. Das liege nicht in ihrer Natur und nicht in der Natur der CDU, heißt es aus der Hauptstadt: "Merkel hat Helmut Kohl aus dem Amt geputscht. Und auch Kohl ist in einer Abfolge von Intrigen und Machtkämpfen in seine Ämter gekommen. Wer also wissen will, wer Merkel nachfolgt, darf nicht in der Reihe ihrer engen Vertrauten suchen. Der Judas wird irgendwann an der Peripherie der Macht erscheinen".
Desillusioniert von den Erwartungen an Merkel gibt sich das Delmenhorster Kreisblatt: "Im Fall der Generation Merkel darf man wohl davon ausgehen, dass die jüngeren Leute nicht so begeistert sind. Was die Kanzlerin in den zukunftsträchtigen Themen Rente, Gesundheit und demografischer Wandel bislang geleistet hat, kann man getrost unter der Rubrik 'Ferner liefen ...' abfeiern. Aber das dürfte die alte und neue Regierungschefin kaum kümmern. Sie wird auf nationalem und internationalem Parkett weiter Politik nach Stimmungslage machen - egal wer wo Minister oder Ministerpräsident ist und was so alles im Koalitionsvertrag steht".
Leise Bedenken werden auch bei der Stuttgarter Zeitung laut: "Angela Merkel meidet jede inhaltliche Polarisierung, reagiert auf die äußeren Umstände, moderiert mehr als dass sie führt. Dem Land hat dies nicht schlecht getan, Deutschland ist nahezu unbeschadet durch die Finanz- und Eurokrise gekommen. Soweit wäre also alles gut - nagte da nicht zunehmend der Zweifel, dass sich die Jetzt-Bezogenheit, der Mangel an Umbauwillen, diese Modernisierungsunlust in einigen Jahren bitter rächen werden".
Die Lübecker Nachrichten appellieren an Merkels Mut früherer Tage: "(…) etwa als es darum ging, Arbeit durch sinkende Lohnnebenkosten wieder bezahlbar zu machen. Stattdessen wird eine der ersten Amtstaten der Regierung sein, die fällige Senkung der Rentenbeiträge zu verhindern. 'Deutschlands Zukunft gestalten', so hat die Große Koalition ihre Arbeit überschrieben. Die dritte Amtszeit der nun komplett sozialdemokratisierten Angela Merkel startet mit Wahlgeschenken für Alte, statt mit Visionen für Junge. Dabei hätte die Kanzlerin noch einmal die Chance, richtig zu zeigen, was sie kann".
Zusammengestellt von Susanne Niedorf
Quelle: ntv.de