Necrópolis Cristóbal Colón Havannas Totenstadt erzählt Geschichten
07.02.2012, 09:55 Uhr
Die Necrópolis Cristóbal Colón in Havanna.
(Foto: dpa)
Die Verehrung der Toten sagt viel über die Kultur der Lebenden. In Havanna befinden sich auf einem der größten Friedhöfe Lateinamerikas etwa zwei Millionen Gräber. Viele sind prunkvoll, andere vergessen. Und manchmal wird auch ein Sarg als Trommel benutzt.

Die Totenstadt gehört mit einer Fläche von 56 Hektar und mehr als zwei Millionen Gräbern zu den größten Friedhöfen in Lateinamerika.
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"Gute Idee, eine Stadt zu ergründen. Ein Friedhof erzählt viel über die Menschen", sagt der Taxifahrer auf der Fahrt zur Necrópolis Cristóbal Colón. Die Totenstadt von Havanna ist nach Christoph Kolumbus benannt, der im spanischen Sevilla begraben liegt. Auch in der kubanischen Hauptstadt ist der Entdecker an vielen Stellen unsterblich, im Stadtteil Vedado als Namensgeber für einen der größten Friedhöfe Lateinamerika. Die Necrópolis wurde 1871 eingerichtet und prunkt auf 56 Hektar Fläche als eine Stadt in Weiß. Marmor ist das dominierende Gestein. Im gleißenden Sonnenlicht blendet es geradezu. Mehr als zwei Millionen Menschen sollen hier begraben sein - etwa so viele, wie Havanna aktuell Einwohner hat.
An diesem Vormittag herrscht in der Necrópolis Hochbetrieb. Nicht alle Begräbnisse verursachen einen Massenauflauf, einmal verschwindet ein Sarg fast völlig ohne Publikum in der Erde. Ab und zu taucht ein Oldtimer auf - der Friedhof ist befahrbar. Dass sich katholische Tradition gut mit afrikanischen Riten vereinbaren lässt, beweist eine mehr als 100 Menschen zählende Trauergemeinde. Nach der Messe in der Zentralkapelle des Friedhofes zieht die Menge mit Trommeln zum Grab. Selbst der Sarg des Toten wird als Perkussionsinstrument genutzt. An der letzten Ruhestätte ist keine Eile zu erkennen. In Sprechgesängen erinnern mehrere Männer an den Verblichenen, die Gemeinde stimmt bisweilen als Chor in den Refrain ein.
Führungen auf Französisch, Englisch und Russisch

1987 wurde der Friedhof zum Nationaldokument ernannt. Damit steht er zugleich unter Denkmalschutz
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Seit die Totenstadt 1987 zum Nationaldenkmal ernannt wurde, kommen immer mehr Touristen her. "Wir haben über 160.000 ausländische Gäste pro Jahr", erzählt die Frau am Einlass. Von denen wird ein Obolus verlangt. Führungen auf Französisch, Englisch und Russisch sind im Angebot. Viele Touristen entdecken den Friedhof aber lieber auf eigene Faust, eine Broschüre hilft bei der Suche nach Gräbern Prominenter. Auch die Musiker Rubén Gonzáles und Ibrahim Ferrer aus dem "Buena Vista Social Club" oder Dichter Alejo Carpentier sind hier bestattet. Das Grab von Schachweltmeister José Raúl Capablanca ziert eine große Dame-Figur. Revolutionäre liegen hier neben Kolonialherren, Generäle neben einfachem Fußvolk.
Mit Stolz in der Stimme verkündet das Personal die Dimensionen der Anlage. Reichlich 24 Kilometer lang ist das "Straßennetz" des Friedhofes und 35.000 Quadratmeter sind als Grünfläche ausgewiesen, auch wenn man zwischen all dem vielen Weiß heute nach etwas Grün ziemlich suchen muss. Das war zu Zeiten der Gründung noch anders. Der spanische Architekt Calixto de Loira y Cardoso hatte seinen Entwurf für die Gräberstätte dem Grundriss eines römischen Heerlagers nachempfunden und weiträumig geplant. Noch auf Fotos aus den 1920er Jahren sind weite Rasenflächen auszumachen, die nur vereinzelt von prächtigen Grabmälern unterbrochen werden. Heute stehen die Gräber dicht nebeneinander, manchmal muss man sich geradezu durchschlängeln.
Deutsche Spuren
Auch deutsche Spuren lassen sich in der Necrópolis finden. Während des deutsch-französischen Krieges 1870/71 war es vor der Küste Havannas zu einer Schlacht gekommen, bei der ein paar Seeleute ihr Leben verloren. Deutsche, die in Kuba lebten, ließen für ihre toten Landsleute später auf dem Colón-Friedhof einen Grabstein errichten. An anderen Stellen hat die ägyptische Kultur Architekten inspiriert: Sie bauten Mausoleen in Pyramidenform. Manche Gräber wirken geradezu monumental und lassen etwas von der Bedeutung ahnen, die zumindest die Hinterbliebenen den Gestorbenen zumaßen. Ohnehin hat jede Epoche ihre architektonischen Stile hinterlassen. Neogotik oder Neobarock, Art Deco oder Eklektizismus - die Necrópolis umfasst viele Epochen.
Ein Grab genießt Kultstatus und ist immer geschmückt. Es enthält die Überreste der Milagrosa, der Wundertätigen. Amelia Goyri war 1901 an den Folgen einer Totgeburt gestorben. Das Kind wurde zu Füßen seiner Mutter bestattet. Witwer José Vicente Adot soll das Grab jeden Tag besucht und ihm dabei nie den Rücken zugewandt haben. Als man es nach Jahren öffnete, waren die Leichname angeblich unversehrt. Zudem soll das Kind in den Händen der Mutter gelegen haben. Auch solche wundersamen Geschichten gehören zur Necrópolis Colon. Heute gilt die Milagrosa als Schutzheilige der Schwangeren. Und noch immer wendet ihr beim Umrunden des Grabes niemand den Rücken zu. Ein "Muchas gracias, Milagrosa" ist hier immer zu hören.
Quelle: ntv.de, Jörg Schurig, dpa