Inside Wall Street Der alte Mann und die Kehrtwende
04.08.2010, 07:49 UhrIn Sachen Steuersenkungen für die Reichen hat Alan Greenspan als Chef der Notenbank den damaligen US-Präsidenten George W. Bush unterstützt. Heute hält er das für einen Fehler.
"Greenspeak” nannte es die Wall Street früher, wenn sich Alan Greenspan zur Wirtschaft äußerte. Der ehemalige Notenbank-Chef war dafür bekannt, so vage und schwammig zu formulieren, dass auch Experten meist nicht wussten, was er eigentlich gesagt hatte. Heute ist das anders: Als Privatier äußert sich Greenspan klar und deutlich und legt dabei manch überraschende Wende hin.
Wenn Alan Greenspan spricht, dann findet das nicht mehr vor der offiziellen Kulisse statt, die der Mann einmal gewohnt war. Fast 20 Jahre lang trat er schließlich regelmäßig vor beiden Kammern des Kongresses zum Rapport an. Heute sitzt Greenspan meist im Sessel einer Talkshow. Da hat er mehr Publikum als früher, doch die wichtigsten Zuhörer sind dieselben: Die Abgeordneten und Senatoren, denen Greenspan früher berichtete, schauen weiterhin zu. Den jüngsten Auftritt bei "Meet the Press" wird sich im Capitol niemand entgehen lassen haben.
Da saß Greenspan und musste sich zum aktuell meist diskutierten Thema in Washington äußern: Wie soll die Regierung mit den Steuersenkungen für die Reichen verfahren, die 2001 unter George W. Bush eingeführt worden sind? Greenspan hatte seinerzeit für die Steuersenkungen gestimmt und sie sogar für notwendig befunden, "den gefährlich hohen Haushaltsüberschuss abzubauen". Man brauche die Mehreinnahmen nicht, so Greenspan damals, während die Wirtschaft mit dem gesparten Geld wachsen und neue Arbeitsplätze schaffen könne.
Teure Steuersenkungen
Das ist natürlich nicht geschehen. Das System der "trickle-down economics", nach dem Steuersenkungen für Bosse und Konzerne zu Wachstum und Arbeitsplätzen führen und dadurch letztlich der Mittel- und Unterschicht helfen, ist seit der Präsidentschaft von Ronald Reagan das Credo der Republikaner. Geklappt hat das System noch nie. Wenn Unternehmen weniger Steuern zahlen, führt das im allgemeinen nicht zu Wachstum und neuen Jobs, sondern zu höheren Profitmargen, steigenden Aktienkursen und phantastischen Boni für das Management.
Den Staat kamen die Steuersenkungen indes teuer zu stehen. Uncle Sam entgingen hunderte von Milliarden Steuereinnahmen, was – gemeinsam mit den horrenden Ausgaben für die Kriege in Irak und Afghanistan – der Hauptgrund dafür ist, dass die USA zum Ende der Bush-Regierung mit dem höchsten Haushaltsdefizit aller Zeiten da stand. Begonnen hatte man mit dem höchsten Überschuss, der in acht Jahren unter Bill Clinton eingefahren worden war.
Die Republikaner in Washington haben aus der Geschichte nicht gelernt. Sie kämpfen mit aller Macht dafür, die Steuersenkungen, die laut dem Bush-Konzept Ende dieses Jahres auslaufen sollen, noch für einige Jahre zu verlängern. Auf Unterstützung von Alan Greenspan, einst ein treuer Lakai von George W. Bush, können sie sich aber nicht mehr verlassen. Die Steuersenkungen zu verlängern, so der alte Fed-Chef, hätte "desastöse Folgen für die amerikanische Wirtschaft". Steuersenkungen mit geborgtem Geld könne und dürfe man sich nicht leisten. Das Argument, wonach Steuersenkungen durch das stärkere Wachstum, das sie brächten, für sich selbst zahlten, entkräftet Greenspan knallhart: "Das tun sie nicht."
Dass er vor einem knappen Jahrzehnt für eine solche Maßnahme plädiert habe, so Greenspan, gehöre zu den "30 Prozent, die ich während meiner Amtszeit falsch gemacht habe". Er habe damals auf zu optimistische Prognosen gebaut. Darüber kann man wohlgemerkt noch immer streiten. Kritiker warfen dem Fed-Chef schon immer seine Nähe zu George W. Bush vor, in der er häufig nicht kritisch argumentierte, sondern den Kurs des Weißen Hauses unterstützte.
Quelle: ntv.de