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Bin ich ein People Pleaser? Von der Last, zu sehr an andere zu denken

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Wer nie Nein sagt, wird auf die Dauer unglücklich.

Wer nie Nein sagt, wird auf die Dauer unglücklich.

(Foto: picture alliance / PHOTOPQR/NICE MATIN/MAXPPP)

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(Foto: IMAGO/Westend61)

Es gibt sie überall, diese hilfsbereiten Menschen, die nie Nein sagen, noch Kuchen backen oder eine Präsentation wuppen. Was für alle anderen nützlich sein mag, erweist sich für diese People Pleaser oft als ernst zu nehmendes Problem. Ulrike Bossmann ist Diplom-Psychologin, Therapeutin und Coach. Sie berät Menschen, die einfach nicht Nein sagen können. Denn es gibt Wege, der Harmoniefalle zu entkommen.

ntv.de: Was ist People Pleasing überhaupt?

Ulrike Bossmann: Es geht um Menschen, die sehr viel Wert darauf legen, dass es den anderen gut geht, dass sie es den anderen recht machen und die das Wohlbefinden der anderen über ihr eigenes stellen.

Ist man so geboren oder wird man so?

Es gibt mehrere Faktoren, die psychologisch eine Rolle spielen. Menschen, die später mehr darüber nachdenken, was andere denken, brauchen und wollen, als über das, was sie selbst vielleicht brauchen oder wollen, haben bestimmte Erfahrungen in der Kindheit gemacht. Oft war ein bestimmtes Verhalten wichtig, um sich die Liebe, Wertschätzung, Anerkennung oder auch einfach nur Zugehörigkeit zu sichern. Mehr Frauen als Männer sind People Pleaser. Das hat sicher auch mit Geschlechterrollen und der typischen Sozialisation von Mädchen und Frauen zu tun, die sich eher anpassen sollen. Sie werden schon im Sandkasten aufgefordert, ihr Spielzeug zu teilen und etwas abzugeben. Das wird als süß bewertet. Wenn sie ein bisschen selbstbewusster auftreten, ecken sie vielleicht auch eher an. Es gibt aber auch allgemeine gesellschaftliche Entwicklungen, die dazu beitragen.

Welche sind das?

Insgesamt wird alles schneller und dichter, das gilt wahrscheinlich für uns alle. Die To-do-Listen sind nie abgearbeitet und wir könnten in allen Lebensbereichen, ob privat oder im Job, immer noch mehr machen. Grundsätzlich sind wir alle soziale Wesen, es ist uns nicht egal, wie es den anderen um uns herum geht. Das kann dazu führen, eigene Bedürfnisse zu vernachlässigen. Wenn ich meine eigenen Pausen wegstreiche, kann ich natürlich viel mehr Aufgaben erledigen, kann für die Kollegin oder die Kinder auch noch da sein. Ich beobachte auch, dass wir immer mehr bewerten und auch immer stärker bewertet werden. Social Media trägt dazu einiges bei. Wenn ich mein Auto in der Werkstatt hatte oder beim Essen war, werde ich nach einer Bewertung gefragt. Das hat auch Vorteile, weil wir uns natürlich durch Feedback weiterentwickeln können. Aber es stellt den Fokus sehr stark auf diese Bewertung und wir werden mehr und mehr dazu verleitet darauf zu achten, was welche Bewertung der anderen nach sich zieht. Vielleicht halte ich dann eine sachlich sehr gut begründete Kritik zurück oder mache etwas, wozu ich gar keine Lust und Kraft mehr habe.

In einem Team ist es sicher gut, wenn man sich auch füreinander interessiert, wie es einem geht und ob man gut klarkommt. Was ist am People Pleasing problematisch?

Wir alle möchten lieber mit netten und hilfsbereiten Menschen arbeiten, das ist klar. Der Unterschied zum People Pleasing ist, dass man gar nicht mehr frei ist in der Wahl. Möchte ich jetzt gerade helfen und habe ich überhaupt die Kapazitäten? Ich bin vielleicht noch nicht mal zuständig, aber ich lasse alles stehen und liegen. Und das nicht, weil ich eine bewusste Entscheidung getroffen habe. Das macht das People Pleasing problematisch. Vielleicht spreche ich etwas Kritisches nicht an, weil ich es nicht so schlimm finde. Das wäre ein normales Verhalten. Wenn ich mich aber nie traue, etwas Kritisches anzusprechen oder einen Konflikt aktiv zu bewältigen, weil mir Harmonie so wichtig ist und ich Angst davor habe, dass die anderen mich nicht mehr mögen oder ich ein schlechter Mensch bin, wenn ich es tue, dann wird es problematisch.

Welche Folgen kann das haben?

Die Diplom-Psychologin Ulrike Bossmann berät Menschen zu Fragen der psychischen Gesundheit.

Die Diplom-Psychologin Ulrike Bossmann berät Menschen zu Fragen der psychischen Gesundheit.

(Foto: Ulrike Bossmann, privat)

Die Konflikte brodeln einfach weiter. Vielleicht entsteht daraus schlechte Stimmung im Team oder in der Familie. Wichtige Dinge und bestimmte Perspektiven werden gar nicht angesprochen und Menschen, die dauerhaft über ihre Grenzen gehen, sind prädestinierte Kandidaten für Burnout. Wenn ich zugunsten anderer permanent Aufgaben übernehme, meine eigenen Projekte zurückstelle, gehe ich persönlich unbefriedigt nach Hause. Die eigene Arbeit bleibt vielleicht liegen. Irgendwann fällt das auch auf die Beziehung zurück, weil man es dem anderen übelnimmt.

Was sind denn Anzeichen dafür, dass man ein People Pleaser ist?

Wenn Menschen merken, dass sie sich permanent Sorgen oder Gedanken darüber machen, was die anderen über einen denken. People Pleaser werden Situationen, die sie mit anderen erlebt haben, im Nachgang gedanklich noch fünfmal durchgehen. Sie fragen sich, habe ich zu viel gesagt oder habe ich das falsch formuliert? Oder hätte ich mich lieber anders verhalten sollen? Ich hoffe, ich bin der anderen Person da nicht zu nahegetreten. People Pleaser denken tatsächlich immer erst an die anderen und nicht an sich selbst. Sie fragen sich nicht, wie hätte ich eigentlich gerne das Weihnachtsfest, sondern es geht zuerst um die Frage: Was erwarten die anderen? Was ist für die anderen bequem? Es ist keine Option, die eigenen Bedürfnisse und Wünsche mitzudenken oder eigene Interessen durchzusetzen, wenn sie denen der anderen zuwiderlaufen. Dieses "Ich opfere mich für die anderen auf", ist ganz klassisch. Ich stelle meine eigenen Pausen, meine eigene Selbstfürsorge zurück und fühle mich schlecht. Daran ist sehr eng das Selbstwertgefühl gekoppelt. Ich fühle mich nur toll, wenn die anderen mir sagen, dass sie mich brauchen. Aber ich fühle mich wahnsinnig schlecht, wenn ich denke, ich habe jemanden vielleicht enttäuscht oder verletzt.

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Warum sollten People Pleaser ihr Verhalten ändern?

Ein einfacher Grund ist, es kostet sie viel, weil sie entweder pausenlos erschöpft sind oder sich auch über andere ärgern, die vermeintlich rücksichtslos sind. Sie sind auch immer in der Gefahr, ausgenutzt zu werden. Man wird außerdem freier, wenn das Selbstwertgefühl nicht mehr davon abhängt, ob man den anderen zufrieden gestellt hat. Jeder Mensch sollte ein Gefühl für den eigenen Selbstwert entwickeln und die Überzeugung: "Ich bin, so wie ich bin, richtig." Gute Beziehungen halten einen Konflikt oder eine gegenteilige Meinung aus. Diese Erfahrung fehlt diesen Menschen.

Vermutlich gibt es Strategien, wie man zumindest ein bisschen weniger People Pleaser werden kann. Welche sind das?

Menschen können beobachten, in welchen Situationen neige ich eigentlich dazu? Wo bin ich gefällig? Wo stelle ich meine Meinung zurück? Wo schweige ich, obwohl ich eigentlich was zu sagen hätte? Das geht auch, ohne den Anspruch zu haben, irgendetwas anders zu machen. Plötzlich merkt man bewusst, in wie vielen Situationen; manche offensichtlich, andere weniger offensichtlich; man zum People Pleasing neigt, eigenes zurückhält oder -stellt. Meine Erfahrung ist, dass Menschen dann häufig merken, so will ich eigentlich nicht sein. Ich rate, fang dort an, wo es leicht ist, etwas anders zu machen. Das ist vielleicht dort, wo Menschen nach deiner Meinung fragen. People Pleaser sagen dann häufig: "Das ist mir egal" oder "Was ist dir lieber?" Sie stellen Rückfragen oder enthalten sich der Meinung. Aber wenn mich jemand fragt: Möchtest du gerade lieber zum Mittagessen Italienisch oder Griechisch essen? Dann versuche ich zu antworten. Entweder das, was ich möchte oder wenn ich das noch nicht weiß, dann irgendwas. Es geht erst mal darum, diese Ermächtigung zu erlangen und anzufangen, die eigene Perspektive zu berücksichtigen. Ich gebe manchmal auch einfach die Hausaufgabe, "Don't please"-Tage einzulegen. Einen Tag lang bist du nicht gefällig. Das heißt nicht, nicht freundlich zu sein, aber eben nicht gefällig zu sein. Das ist ein großer Unterschied.

Was ist daran so schwierig?

People Pleaser müssen eigene Interessen, Hobbys, Wünsche, Ziele entdecken oder wieder entdecken. Sie brauchen eine neue Erfahrung, die da heißt: Es ist in Ordnung, wenn ich mich zeige und anderen zumute. Die rennen nicht weg, wenn ich mal was Kritisches sage oder wenn ich mal unbequem bin. Es wird sogar geschätzt. Wenn jemand nur wenig von sich zeigt, dann habe ich auch weniger, was ich respektieren kann. Manchmal sammeln People Pleaser auch innerlich Groll an, aus dem dann eine passiv-aggressive Haltung entstehen kann. Im Extremfall hat man davon gar nichts mitbekommen, weil der People Pleaser sich überhaupt nicht positioniert hat. Das macht es einfach schwer, Standpunkte abzugleichen oder dauerhaft auf Augenhöhe zu sein. People Pleaser, die plötzlich anfangen, auch mal Nein zu sagen, sich abzugrenzen, eine Position zu vertreten, haben viel zu gewinnen.

Was verändert sich, wenn man weniger gefällig ist?

Egal, ob im Privaten oder im Job, ich werde plötzlich wieder mehr gefragt, ob ich etwas tun kann. Vorher wurde es vielleicht vorausgesetzt. Eigene Ideen können nicht mehr von anderen vermarktet werden, weil ich sie selbst einbringe. Vielleicht wird man für neue Projekte eingeladen. Viel ist auch zu gewinnen mit Blick auf Beziehungen auf Augenhöhe. Es geht ja darum, die anderen ernst zu nehmen und das, was sie brauchen. Und genauso eben auch sich selbst. Das heißt nicht, nur noch an sich zu denken. Ich denke, es gibt einen Energiegewinn, aber auch eine Lebendigkeit, weil ich eigene Dinge plötzlich wieder oder überhaupt erst verfolge, die ich jahrelang überhaupt nicht in den Blick genommen habe. Dann kann ich Menschen wiederum mit einer ganz anderen inneren Gelassenheit begegnen und viel entspannter sein. Vielleicht ist auch wieder mehr Zeit für genau die richtigen und wichtigen Menschen oder Projekte, weil ich stärker differenziere und nicht mehr überall ja sage.

Mit Ulrike Bossmann sprach Solveig Bach

Quelle: ntv.de

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