Kamikaze-Einsatz stabilisiert die Lage Armee füllt Reaktor mit Wasser
19.03.2011, 11:44 Uhr
Millionen Liter Wasser sollen helfen.
(Foto: dpa)
Stundenlang schießen die Freiwilligen am AKW Fukushima mit Spezialfahrzeugen Wasser auf den erhitzten Reaktor 3. Die japanische Regierung meldet dabei Erfolge: Das Reaktorbecken habe sich etwas gefüllt. Auch in Sachen Stromanschluss gibt es Bewegung. Schlechte Nachrichten kommen aus der Umgebung des AKW. Bei Untersuchungen wird festgestellt, dass Spinat und Milch verseucht sind. In Tokios Trinkwasser wird radioaktives Jod entdeckt.
Der verzweifelte Kampf der Japaner gegen die drohende Kernschmelze in den schwer beschädigten Atomreaktoren in Fukushima dauert an. Die Regierung verkündete aber hoffnungsvolle Botschaften. Am hochproblematischen Reaktor 3 sei eine Verbesserung zu beobachten. "Wir glauben derzeit, dass sich die Situation stabilisiert hat", sagte Regierungssprechers Yukio Edano. Die Kühlung von außen durch Wasserbeschuss zeige Wirkung. In dem Reaktorbecken habe man jetzt mehr Wasser festgestellt.
Seit dem Mittag spritzten Armee und Feuerwehr wieder mit Spezialfahrzeugen tonnenweise Meerwasser auf den Reaktor 3. Wie der Fernsehsender NHK berichtete, dauerte die Aktion mehrere Stunden. Am Ende hätten die Experten dann 1260 Tonnen Wasser über den Reaktor geschüttet. Das helfe, die Temperatur zu senken und zu verhindern, dass radioaktive Strahlung nach außen gelange. Nach Angaben von Verteidigungsminister Toshimi Kitazawa sollen die Reaktoren fortan "rund um die Uhr" statt wie bisher phasenweise besprüht werden. Erschwert wird der Einsatz durch die hohe Strahlung, die einen Aufenthalt nahe der Reaktorgebäude nur kurzzeitig erlaubt.
Anders als in den Nachbarreaktoren lagert im Innern der Ruine von Block 3 auch das hochgefährliche Plutonium. Es wird befürchtet, dass der Wasserstand in dem Becken für Brennstäbe bedrohlich niedrig ist. Auch Reaktor 4 solle in Kürze von außen mit Wasser gekühlt werden, sagte Edano. In dem Kühlbecken für die alten Brennstäbe stehe noch etwas Wasser, hieß es.
Strom liegt, Erfolg offen
Gleichzeitig versuchen Techniker, die eigene Kühlung des havarierten Kraftwerks wieder in Gang zu setzen. Dafür muss zunächst die Stromversorgung wiederhergestellt werden. Stromkabel wurden inzwischen bis zu den Reaktoren 1 und 2 verlegt. So soll die Kühlung wieder angeworfen werden, die nach der Flutwelle keine Stromversorgung mehr hatte. Ob die Wasserpumpen und Leitungen noch funktionieren, ist aber unklar. Im Block dürfte der innere Druckbehälter des Reaktors durch eine Explosion beschädigt worden sein.
In die Dächer der Reaktoren 5 und 6, in denen ältere Brennstäbe lagern, wurden Löcher gebohrt, durch die Wasserstoff entweichen kann. Die Explosionen in anderen Reaktoren seien vermutlich durch Wasserstoff ausgelöst worden, hieß es auf der Internetseite der Internationalen Atomenergie-Behörde IAEA.
Die Situation in den Reaktoren 5 und 6 war jedoch bereits als stabil eingeschätzt worden. Die Abklingbecken dort werden nach IAEA-Angaben mit Notstrom aus Dieselgeneratoren des Reaktors 6 gekühlt. Zuletzt hatte die Nachrichtenagentur Kyodo berichtet, dass die Temperatur im Abklingbecken von Block 5 sinkt.
Ein weiteres Spezialfahrzeug zur Kühlung ist auf dem Weg zu dem Atomkraftwerk. Wie NHK berichtete, könne die Maschine Wasser aus sehr großer Höhe versprühen. Das Fahrzeug sei in Deutschland gebaut worden und pumpe normalerweise flüssigen Beton.
Die Arbeiten mussten kurz unterbrochen werden, als ein Nachbeben der Stärke 6,1 die Region Ibaraki südlich des havarierten Atomkraftwerks Fukushima erschütterte. Eine Tsunami-Warnung wurde nicht ausgegeben. In der Hauptstadt Tokio waren die Erschütterungen des Bebens ebenfalls zu spüren.
Schwellenwert erhöht
Bei den Rettungsversuchen am AKW bekommen die Arbeiter immer mehr radioaktive Strahlung ab. Betreiber Tepco erhöhte die Obergrenze erneut von 100 auf nun 150 Millisievert pro Noteinsatz. Die neue Vorgabe gelte "für einige Arbeiter im Außeneinsatz, weil die aktuellen Probleme beispiellos sind und sofortige Maßnahmen erfordern", zitierte NHK die Begründung von Tepco.
150 Millisievert sind so viel Strahlung, wie in Deutschland verteilt über die Spanne von 150 Jahren als gerade noch verträglich gelten würde. Laut Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) verstärken höhere Dosen an radioaktiver Strahlung das Risiko von Krebserkrankungen. Dem Sender NHK zufolge kündigte Tepco an, keinen Arbeiter erneut in den Einsatz zu schicken, falls er zuvor mehr als 100 Millisievert ausgesetzt worden war.
Lebensmittel verseucht
Spinat und Milch aus der Umgebung der defekten Reaktoren sind bereits radioaktiv verstrahlt, die Strahlenwerte überschritten die zulässigen Höchstgrenzen. Auch in der südlicheren Präfektur Ibaraki sei belasteter Spinat entdeckt worden. In Tokios Trinkwasser fanden sich leichte Spuren von radioaktivem Jod.
Eine akute Gesundheitsgefährdung sei aber derzeit nicht zu erwarten, sagte Edano. Wer ein Jahr lang von der belasteten Milch trinken und den ebenfalls verstrahlten Spinat essen würde, nehme eine Strahlendosis von der Stärke einer Röntgenuntersuchung auf.
Nun gehe es darum, weitere Daten zu sammeln. Es müsse geklärt werden, wie häufig eine solche Verstrahlung auftrete. Es soll auch untersucht werden, wohin die betroffene Milch und der Spinat gebracht worden seien. Falls nötig, werde der weitere Transport eingeschränkt. Edano rief die Bevölkerung zu Besonnenheit auf. Zum Jod im Trinkwasser sagte ein Sprecher des Wissenschaftsministeriums, dass alle gemessenen Werte deutlich unter den zulässigen Grenzwerten lägen.
Leichen machen Probleme
Die Gemeinden in den japanischen Unglücksgebieten berichten über Probleme mit den vielen Toten. Einem Bericht der Zeitung "Yomiuri" zufolge sind die Krematorien überfordert. In den betroffenen Provinzen werde nun überlegt, die Toten zu beerdigen, was in Japan sonst nicht üblich ist, weil es fast nur Feuerbestattungen gibt. Die provisorischen Leichenhallen reichten bei weitem nicht aus, schreibt das Blatt. Außerdem fehlt Eis zur Kühlung der Toten. In einigen Gemeinden reihen sich die Toten in Sporthallen aneinander. Früher oder später drohten erhebliche Hygieneprobleme, zitiert die Zeitung die Behörden. Der Bau von Baracken für die Überlebenden begann vielerorts mit Problemen. Weil Benzin und Diesel knapp seien, konnte Baumaterial nicht geliefert werden.
Für die rund 400.000 Menschen in Notunterkünften verbesserte sich die Lage durch leicht steigende Temperaturen etwas. In den besonders stark betroffenen Präfekturen Miyagi und Iwate wurden tagsüber 10 Grad Celsius gemessen, doch nachts bleibt es weiter kalt. Zudem ist für Sonntag erneut Regen und Schnee angesagt. Besonders für alte Menschen ist das Leben in den spartanisch ausgestatteten und schlecht geheizten Unterkünften schwierig. Teilweise gibt es kein laufendes Wasser und keinen Strom.
Acht Tage nach dem Erdbeben lag die Zahl der Toten nach Polizeiangaben bei 7320, 11.370 Menschen wurden noch vermisst. Die Chance, noch Überlebende zu finden, gilt aber als sehr gering.
Die meisten Deutschen haben die japanische Hauptstadt Tokio und ihre Umgebung inzwischen verlassen. Der überwiegende Teil sei nach Westjapan oder ins Ausland gereist. "Ich schätze, dass sich weniger als tausend deutsche Staatsbürger noch in ganz Ostjapan aufhalten", sagte ein Botschaftssprecher. Im Ballungsgebiet Tokio-Yokohama lebten bis zum Erdbeben etwa 3500 Deutsche.
Quelle: ntv.de, jmü/dpa/rts/AFP