Japans unpopulärer Premier Kan muss führen
14.03.2011, 12:04 UhrEin Land braucht gerade in schwierigen Zeiten starke Politikerpersönlichkeiten. Japan hat mit Naoto Kan einen Ministerpräsidenten, der vor dem verheerenden Erdbeben eigentlich schon abgeschrieben war. Nun muss er das Kaiserreich durch die schwere Krise steuern.
Totgesagte leben länger. Das ist eigentlich ein abgedroschener Spruch. Aber auf Naoto Kan trifft er mit Fug und Recht zu.
Die Erdbebenkatastrophe und ihre verheerenden Begleiterscheinungen machen den 64-Jährigen über Nacht weltbekannt. Medienwirksam präsentiert sich Japans Ministerpräsident als Macher, lässt sich mit dem Hubschrauber über die Unglücksregion fliegen. Voller Sorgen schaut er auf die Atomreaktoren von Fukushima herab, wo fieberhaft versucht wird, einen Super-GAU zu verhindern. Japan befinde sich in der schwierigsten Situation seit dem Zweiten Weltkrieg, formuliert Kan einen bedeutungsschweren Satz.
Zynisch gesagt: Die Naturkatastrophe hat Kan wohl - vorerst - sein Amt gerettet. Der alles andere als eloquente Regierungschef stand vor dem Erdbeben mächtig unter Beschuss. Nur wenige Stunden vor dem Tsunami stand ihm das Wasser innenpolitisch buchstäblich bis zum Hals. Kan machte eine Spendenaffäre zu schaffen. Zuvor musste der Premier aus dem gleichen Grund sogar seinen Außenminister Seiji Maehara in die Wüste schicken. Die Japaner hatten von Kan, seiner Regierung und der von ihm geführte Demokratische Partei (DPJ) die Nase voll. Aber dann kam das große Beben.
Kan hat bereits nachgewiesen, dass er ein politisches Stehaufmännchen ist. Affären begleiteten seinen politischen Weg. 1996 musste er - damals noch Mitglied der konservativen Neuen Partei Sakigake - als Gesundheitsminister im Kabinett des liberaldemokratischen Regierungschefs Ryutaro Hashimoto zurücktreten. Ihm wurden Skandale um Kolibakterien in einer Schulmensa und um HIV-verseuchte Blutkonserven zum Verhängnis.
Aber in der - stärker als in Deutschland - auf Personen orientierten japanischen Politik verschwand Kan nie in der Versenkung. Ein geschickter Schachzug war dabei der Aufbau der DPJ - gemeinsam mit Abtrünnigen aus den Reihen der jahrzehntelang regierenden konservativen Liberaldemokraten (LDP) und ehemaligen Sozialdemokraten. Kan mischte an vorerster Font mit.
Vor dem Beben unten durch
Mit ihrem Sieg bei den Unterhauswahlen 2009 lösten die Demokraten die LDP an der Regierung ab. Der studierte Physiker und Patentanwalt Kan wurde unter Ministerpräsident Yukio Hatoyama Wirtschafts- und Finanzminister. Innerparteiliche Machtkämpfe überstand er ohne Blessuren. Mehr noch: Am 4. Juni 2010 löste er als neuer Hoffnungsträger Hatoyama als Regierungschef ab. Kan war am Ziel.
Allerdings verscherzte er es sich sehr schnell mit seinen Landsleuten. Neben der Spendenaffäre war seine Wirtschafts- und Finanzpolitik unpopulär. Im Kampf gegen die Krise und das horrende Haushaltsdefizit - die Staatsverschuldung beträgt in Japan derzeit 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - versuchte Kan vor der Katastrophe, den reformunwilligen Japanern eine höhere Verbrauchssteuer aufzudrücken. Zudem plante er die dringend notwendige Reform der Sozialsysteme. Die Wähler im Land der aufgehenden Sonne senkten bereits mehrheitlich ihre Daumen gegenüber der Kan-Regierung.
Nun ist Kan als Katastrophenmanager gefragt. Bislang machen er und seine Regierungsmannschaft allerdings keine gute Figur. Vor allen Dingen seinen Sprecher Yukio Edano ließ Kan an einer zu langen Leine. Dieser sonderte widersprüchliche Angaben zur Lage an den Reaktoren des AKW Fukushima ab. Die Japaner reagierten darauf zu Recht verunsichert.
"Kan sollte das jüngste Erdbeben als eine der größten Krisen Japans erkennen und Führungsstärke zeigen", forderte die Tokioter Zeitung "Yomiuri Shimbun". Auch eine Zusammenarbeit der Regierung mit der Opposition sei dringend notwendig. Kan hat die große Chance, sein ramponiertes Ansehen wieder aufzupolieren. Bislang fehlt allerdings der Nachweis, dass er ein starker Krisenpremier ist.
Quelle: ntv.de