Osteuropa Abkopplung möglich?
18.04.2008, 14:45 UhrVon Angelika Millendorfer, Leiterin des Osteuropa-Aktienteams bei Raiffeisen Capital Management
Die osteuropäischen Aktienindizes haben sich in den vergangenen Jahren verdreifacht bis verfünffacht und sich auch im bereits stark von der Finanzkrise geprägten zweiten Halbjahr 2007 insgesamt besser behauptet als die meisten etablierten Börsen. Gepaart mit der engen wirtschaftlichen Anbindung an Europa und einer starken Binnenkonjunktur hat das etliche Kommentatoren dazu veranlasst, von einem ‚decoupling’ zu sprechen, d.h. von einer Abkopplung der osteuropäischen Emerging Markets von den etablierten Industrienationen, vor allem von den USA. Seit dem Jahreswechsel folgen die osteuropäischen Börsen allerdings weitgehend den entwickelten Märkten und zeigen ähnlich wie diese kräftige Kurseinbußen. Inwieweit ist ein Abkoppeln von der sich ausweitenden Krise in den USA aus heutiger Sicht tatsächlich realistisch und was folgt daraus für Aktieninvestments in Osteuropa?
Es ist zunächst zu unterscheiden zwischen einer Abkopplung der Aktienkursentwicklung und einer realwirtschaftlichen Abkopplung. Von der Schwäche der US-Wirtschaft ist in Osteuropa derzeit kaum etwas zu spüren. Die fallenden Aktienkurse sind daher vor allem eine Folge global gesunkener Risikobereitschaft, der Ängste vor einer weiteren Ausbreitung der Finanzkrise und der Erwartung, dass eine Rezession in den USA letztlich überall in der Welt zu stärkerer wirtschaftlicher Abschwächung führen wird. Sollten sich diese Befürchtungen für Osteuropa nicht oder weniger stark bewahrheiten, dann dürften die aktuellen Kursverluste vorübergehender Natur sein.
Wie wahrscheinlich aber ist eine realwirtschaftliche Abkopplung?
Für eine solche sprechen vor allem drei Faktoren: Erstens ist Osteuropa kaum direkt gegenüber den USA exponiert – lediglich 2-4% der Exporte gehen in die USA, 40-60% hingegen in die Eurozone. Eine US-Rezession könnte daher nur indirekt wirken, indem sie das Wachstum in Asien und der EU so stark vermindert, dass infolge dessen auch die osteuropäische Exportwirtschaft getroffen wird. Zweitens macht der private Konsum einen stark steigenden Anteil an der Wirtschaftsleistung aus. Drittens verleihen der längerfristig angelegte Ausbau der Infrastruktur und der allgemeine wirtschaftliche Aufholprozess eine gewisse Stabilität gegenüber weltwirtschaftlichen Einflüssen.
Auf der anderen Seite dürfte eine Rezession in den USA auch die Wirtschaft im Euroraum spürbar beeinträchtigen. Dies wird auch die osteuropäischen Exporteure treffen - wenngleich zeitlich verzögert und abgeschwächt. Desweiteren sind die meisten osteuropäischen Volkswirtschaften stark von ausländischen Kapitalzuflüssen abhängig. Sollte sich die internationale Finanzkrise noch längere Zeit hinziehen und sich die Liquiditätsverknappung ausweiten, dann drohen hier erhebliche wirtschaftliche Turbulenzen. Ein stärkerer Rückgang ausländischer Kapitalzuflüsse könnte unter anderem fallende Währungen, höhere Zinsen und weiter steigende Inflation bewirken und auf diese Weise die Binnennachfrage untergraben. Einige Länder, beispielsweise Tschechien und die Slowakei, könnten über fallende Importe und steigende Exporte diesen inländischen Nachfragerückgang wahrscheinlich größtenteils ausgleichen. Andere scheinen weniger gut für eine solche Situation gewappnet. Insgesamt zeigt sich diesbezüglich eine recht große Heterogenität in Osteuropa. Eine Sonderstellung nimmt zweifellos Russland ein. Dank – stark ölpreisbedingt – hoher Außenhandelsüberschüsse und sprudelnder Steuereinnahmen dürfte das Land auch im Fall externer Finanzschocks und einer globalen Wirtschaftsabschwächung recht gut gerüstet sein, solange der Ölpreis nicht dramatisch einbricht.
Langfristige Aussichten sind positiv
Insgesamt scheinen die meisten osteuropäischen Staaten aufgrund der wirtschaftlichen Fortschritte im vergangenen Jahrzehnt strukturell wesentlich besser gerüstet als zu früheren Zeitpunkten, um auch eine globale Schwächephase und etwaige Finanzmarktturbulenzen gut zu überstehen und um anschließend auf den Pfad überdurchschnittlichen Wachstums zurückzukehren. Russland erscheint in dieser Hinsicht derzeit besonders aussichtsreich.
Zusammenfassend erscheint es wenig sinnvoll, von einer Abkopplung Osteuropas zu sprechen, wenn sich diese aufstrebenden Volkswirtschaften im Gegenteil gerade immer stärker in die Weltwirtschaft integrieren und ausländische Investoren eine zunehmend größere Rolle spielen. Treffender ist es, eine gewachsene Widerstandsfähigkeit dieser Staaten zu konstatieren. Mit einer langfristigen Perspektive können und sollten Anleger daher auch künftig auf Osteuropa und Russland setzen, beispielsweise mit dem seit vielen Jahren erfolgreichen Raiffeisen Osteuropa-Aktienfonds oder mit dem neuen Raiffeisen Russland-Aktienfonds.
Quelle: ntv.de