Migration

Allzeit bereit Greenspan in New York

Die Börsenkolumne aus New York von Lars Halter
 
Eigentlich hatte in dieser Woche Ben Bernanke das Geschehen an der Wall Street dominieren sollen, doch jetzt ist ihm sein Vorgänger in die Parade gefahren. Am Montag stehen kritische Kommentare von Alan Greenspan im Mittelpunkt aller Diskussionen, und am Dienstag besucht der "Maestro" die Wall Street sogar persönlich.
 
Um 12 Uhr mittags wird Greenspan zu einer Signierstunde beim Buchhändler Borders erwartet, dessen Filiale unmittelbar neben der New York Stock Exchange schon am frühen Morgen von Fans umlagert sein wird. Ob Greenspan danach noch auf dem Parkett vorbeischauen wird, ist nach Angaben der NYSE noch nicht sicher. Unstrittig ist aber, dass man ihm dort eine Menge Fragen stellen würde.
 
Doch scheut sich Greenspan nicht, Anworten zu geben. In seinem aktuellen Buch "The Age of Turbulence", das jetzt auf den Markt gekommen ist, setzt sich der ehemalige Fed-Chef mit der aktuellen Situation an den Märkten und mit den 18 Jahren seiner Amtszeit auseinander. Dabei bleibt er seinem alten Prinzip treu, nicht allzu eindeutig Stellung zu beziehen. So meint er, dass Inflation und weiter fallende Häuserpreise zwar ein großes Problem seien, aber wohl nicht in eine Rezession führen müssten. Dennoch nennt er die Aussichten "trübe“"– daraus kann nun jeder machen was er will.
 
Charakter zeigt Greenspan auf jeden Fall, wenn er das Schalten und Walten seines Nachfolgers beurteilt. Bernanke und sein Offenmarktausschuss seien bisher "sehr sensibel" verfahren, zumal sie mit Umständen zu kämpfen hätten, die im selbst erspart geblieben seien. Greenspan nennt das Ende des disinflationären Trends und den globalen Kostenanstieg. Diese deuteten darauf hin, dass die Fed langfristig bei einer schärferen Zinspolitik bleiben müsse – ein Dämpfer für viele, die sich schon am Dienstag eine Zinssenkung erhofft hatten.
 
Abgesehen vom Lob an seinem Nachfolger bemüht sich Greenspan auch sonst sehr um offene und selbstkritische Reflektion. Für die Wahlniederlage von George Bush dem Älteren sei er zwar genau so wenig verantwortlich wie für die Blase in 2000, doch verdiene er auch nicht unbedingt den Ehrentitel "Maestro", dem ihm viele an der Wall Street gegeben haben.
 
"Ich habe viel Lob bekommen für Entwicklungen, die eigentlich eher mit dem Untergang der Sowjetunion zu tun hatten als mit mir", gesteht Greenspan und bezieht sich direkt auf den Fall der Berliner Mauer und die Wiedervereinigung Deutschlands. 1990 hätte man gesehen, wie unterschiedlich erfolgreich sich zwei Länder mit gleicher Lage und Geschichte unter zwei verschiedenen Wirtschaftssystemen entwickelt hätte – das hätte nicht zuletzt die Wachstumsmärkte in der dritten Welt dazu gebracht, die Regeln der freien Marktwirtschaft zu beachten.
 
Doch nicht nur mit sich selbst ist Greenspan ehrlich, auch seine Partei geht er mit harten Bandagen an. Die Republikaner hätten die Wahlniederlage im vergangenen Jahr verdient. Als die Partei mit George W. Bush anno 2000 die Wahl gewonnen hatte, habe er sich angesichts eines Haushaltsüberschusses und eines republikanischen Kongresses im siebten Himmel geglaubt. Dann habe das Machtstreben der Partei alles zunichte gemacht.
 
Zu dieser Machtpolitik gehörten bekanntlich zahlreiche Steuersenkungen, die Greenspan scharf kritisiert. Langfristig sei der Haushalt nur in den Griff zu bekommen, wenn Steuern erhöht oder Sozialleistungen gestrichen würden. Für die Taktik der Politiker, drängende Probleme wie die finanzielle Schieflage vor allem bei Renten und Krankenversicherung einfach wegzuschieben, kennt Greenspan nur ein Wort: "unmoralisch".

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen