Der Tag

Fünf Jahre "Wir schaffen das" Andreas Tölke: "Ärmel hochkrempeln und anpacken"

2015 gehörte es ja fast zum guten Ton, zum sommerlichen Grillabend einen Syrer im Schlepptau zu haben. Die Republik war ergriffen von ihrer Willkommenseuphorie, eine ur-deutsche Qualität kam zum Tragen: Ärmel hochkrempeln und anpacken. 2020 ist das strukturelle Problem beinahe nicht mehr sichtbar. Der allergrößte Teil der Geflüchteten versucht Fuß zu fassen, mit den Helden von damals an ihrer Seite. Initiativen, Einzelkämpfer, Organisationen, die sich nonstop engagieren, Arbeitsplätze und Wohnungen finden, Behördenkram erledigen. Und ganz nebenbei vermitteln, wo die Menschen angekommen sind. Zum Beispiel, wie man als junger Mann in Deutschland dem anderen Geschlecht begegnet - für viele ein echtes Mysterium. Flirten, annähern, ein "Nein" als "Nein" hinnehmen - Wissen, das oft fehlt.

Kulturvermittlung ist das A und O gelungener Integration und kann nur auf Augenhöhe und mit Respekt stattfinden. Die Geflüchteten sind jetzt da - so zu tun, als könnte man über restriktive Auslegung von Gesetzen das Problem lösen, indem die Menschen einfach "irgendwie" wieder verschwinden, ist weder rechtsstaatlich noch sinnvoll in der multikulturellen Gesellschaft, in der wir längst leben. Deutschland kennt das Thema "Gastarbeiter", "Fremde" aus den Fünfzigern und Sechzigern - die Gettos, die heute beklagt werden, haben wir selbst geschaffen. Wir haben die Menschen, die angekommen sind, in Ruhe gelassen. Den Fehler sollten wir auf keinen Fall wiederholen. Dann schaffen wir das.

Andreas Tölke war Journalist, ist Flüchtlingshelfer und Vorstand von "Be an Angel e.V." sowie Gründer des Restaurants "Kreuzberger Himmel".

Quelle: ntv.de

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