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Schweigen ist Gold "The Artist" trifft den richtigen Ton

Hier wird getanzt, nicht gesprochen.

Hier wird getanzt, nicht gesprochen.

(Foto: AP)

Wie man einen Oscar-Favoriten zaubert? Man nehme einen süßen Hund und einen schneidigen Hauptdarsteller, stelle ihnen eine wunderschöne Frau zur Seite und würze das Ganze mit viel Humor. Fertig. Ach so: Auf Farben und Dialoge muss man natürlich verzichten. "The Artist" sorgt so für gute Laune und stellt nebenbei ganz Hollywood auf den Kopf.

Verliebt: Peppy Miller.

Verliebt: Peppy Miller.

(Foto: dapd)

Ein französischer, schwarz-weißer Stummfilm soll der große Oscar-Favorit sein? Ja, ist er, und das zu Recht. "The Artist" entbehrt zwar der Farbe und des gesprochenen Wortes, aber er ist so federleicht und unterhaltsam, die Schauspieler sind so bestechend, die Details so subtil und witzig, die Musik so mitreißend und der Hund so sü…, sagen wir: talentiert, dass die einhundert Minuten kein bisschen langweilig werden. Stattdessen kann man nicht anders, als das Kino mit einem Lächeln zu verlassen. Regisseur und Drehbuchautor Michel Hazanavicius, der jahrelang um sein Projekt kämpfen musste, legt einen Streifen vor, der heutige Seh- und Hörgewohnheiten über Bord wirft, um sie neu zu sortieren und wieder zusammenzusetzen.

Doch keine Angst, "The Artist" ist kein avantgardistischer Kunstfilm, sondern eine reizende Liebesromanze, begleitet von Witz und Slapstick und untermalt von Musik, die geradewegs aus den 20er Jahren zu kommen scheint. Es ist das Jahrzehnt von George Valentin, dem großen Stummfilmstar, der mit seinem Hund und Co-Star "Jack" Leinwandabenteuer auf der ganzen Welt erlebt. Für seinen Produzenten ist er ein Goldesel, die Menschen, vor allem die Frauen, liegen ihm zu Füßen. Kein Wunder, dass auch Tänzerin Peppy Miller seinem Charme erliegt. Ihre Schönheit, ihre Grazie und nicht zuletzt der Schwung ihrer Beine lassen allerdings auch das Herz des Leinwandstars höher schlagen. Doch Valentin ist verheiratet - und so fördert er zwar die junge Statistin, eine Romanze bleibt beiden jedoch verwehrt.

Karriere am Ende: George Valentin und Hund "Jack" (dargestellt von Uggie).

Karriere am Ende: George Valentin und Hund "Jack" (dargestellt von Uggie).

(Foto: dapd)

Ohnehin hat Valentin ganz andere Sorgen. So wie sich das Jahrzehnt dem Ende zuneigt, sind auch die Tage des Stummfilms gezählt. Umwerfend sind die Szenen, in denen Valentin erstmals mit der neuen Technik des Tonfilms konfrontiert wird. Sein Produzent ist begeistert, doch der Schauspieler - ganz der große Künstler - weist die Neuerungen lachend zurück. Ihm könne die neue Technik nichts anhaben, glaubt er, und doch taucht der geräuschvolle Schrecken in seinen Albträumen auf: Das auf dem Tisch abgestellte Wasserglas ist nicht mehr lautlos, sondern macht Geräusche, genau, wie die gesamte Welt um ihn herum. Nur Valentin selbst bleibt stumm - er liebt diese behagliche Stille.

Es ist die Sprachlosigkeit des Alten gegenüber dem Neuen. "The Artist" zeigt, wie neue Technik Menschen ausschließen kann, die sich dem Fortschritt verweigern oder aber von ihm ausgeschlossen werden. Und wie neue Entwicklungen Altes in Frage stellen und verdrängen. In schnellen, rastlosen Zeiten von Internet, sozialen Netzwerken und E-Books ein wichtiger Denkanstoß.

Feuerwerk an Witz und Komik

Valentin freilich ist uneinsichtig. Er plant einen letzten großen Wurf, einen selbst produzierten Stummfilm. Es wird ein grandioser Flop. Hinzu kommt der Schwarze Freitag an den Börsen und die Scheidung von seiner Frau - der einstige Star steht innerhalb kurzer Zeit vor dem Nichts. Nur Peppy, inzwischen mit Tonfilmen zum umjubelten Star avanciert, hat ihre einstige Liebe, ihren Entdecker nicht vergessen. Wäre dieser doch nur nicht so stolz …

Bejo und ihr Ehemann, Regisseur Hazanavicius, bei der Verleihung der Golden Globes.

Bejo und ihr Ehemann, Regisseur Hazanavicius, bei der Verleihung der Golden Globes.

(Foto: picture alliance / dpa)

Ein glänzendes Lachen, ein schmaler Schnurrbart - fertig ist der Stummfilmstar. Jean Dujardin glänzt in dieser Rolle, die mehr als einmal an den großen Errol Flynn erinnert. Dujardins gekonnte Mimik lässt seine Sprachlosigkeit schnell vergessen, sie erinnert vielmehr daran, dass kleinste Gesten ausreichen, um große Gefühle zu transportieren. So wird vor allem der erste Teil von "The Artist", in dem Valentin noch der große Star ist, zu einem atemlosen Feuerwerk an Witz und Komik. Der Sturz des Helden bremst auch das Tempo des Streifens, jedoch gewinnen die Figuren an Format, weil den Schauspielern mehr Raum geboten wird.

Dieses Lächeln, dieses Augenzwinkern, diese perfekte Eleganz

An Dujardins Seite spielt Bérénice Bejo den neuen Star Peppy Miller. Sie ist in dieser Rolle so zauberhaft, dass man erahnen kann, warum die Menschen frühere Diven vergötterten, warum diese "stummen" Schauspielerinnen so unnahbar schienen. Dieses Lächeln, dieses Augenzwinkern, diese Körpersprache, diese perfekte Eleganz - das kann nicht von dieser Welt sein. Unterstützt werden beide von starken Nebenrollen, bei denen Hund Uggie als "Jack" und John Goodman als mächtiger Produzent hervorstechen.

Man kann dem Film ein Übermaß an Nostalgie vorwerfen, aber vielleicht ist gerade das der Grund, warum Hollywood "The Artist" zu Füßen liegt. Es ist eine Hommage an die einstige imperiale Pracht der Filmmetropole, an seine gigantischen Stars, die jungen Starlets und Zigarre-rauchenden Produzenten. Vor allem aber strotzt "The Artist" nur so vor guter Laune - und der Film tut keinem weh. "Boulevard der Dämmerung" von Billy Wilder verarbeitete eine ähnliche Thematik 1950 wesentlich bitterer, zumal damals noch Schauspieler mitspielten, die den Sprung vom Stumm- zum Tonfilm selbst erlebt und nicht geschafft hatten, darunter Gloria Swanson, Erich von Stroheim und Buster Keaton. Diese Schattenseiten Hollywoods, den schnell verblassenden Starruhm, den permanenten Wunsch nach Erneuerung und jungen Stars, deutet "The Artist" in seinen traurigen Stellen an, überspielt dies aber immer wieder mit Humor.

Nichtsdestotrotz: In Zeiten von 3D und endlos wiedergekäuten Neuaufgüssen haben Regisseur Hazanavicius und Produzent Thomas Langmann ein Experiment gewagt - und gewonnen. Unzählige Preise und Auszeichnungen, darunter , hat "The Artist" bislang eingesammelt. Und es dürfte keinem die Sprache verschlagen, wenn von den zehn Oscar-Nominierungen - unter anderem für Film, Regie, Originaldrehbuch, Hauptdarsteller Dujardin, Nebendarstellerin Bejo und die Filmmusik - einige am Ende die Trophäe auch abräumen. Denn lange nicht mehr hat ein Film so ungewöhnlich frisch und zauberhaft vom Kino und seinen Träumen erzählt.

Quelle: ntv.de

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